jagônAWB sw.v. II, im Abr (1,16,24 [Pa,
Ka]) und weiteren Gl., in MF, bei O, NBo,
NMC, Nps und Npw: ‚jagen, (an-)treiben,
verfolgen, hetzen, vertreiben, in die Flucht
schlagen; agere, agitare, cogere, compellere,
deicere, depellere, exagitare, exterminare,
fugare, impetere, insectari, insequi, minare,
persequi, quatere, sequi, venari, ventilare‘,
subst. Part.Präs. ‚Jäger; venator‘ 〈Var.: iak-;
-en; part.prät. kiiegit〉. Für -ô- tritt mitun-
ter, vorwiegend im Frk., -e- oder -a- ein, in
Nps kommen im Konj.Präs. Formen nach der
ēn-Flexion vor (vgl. J. Schatz, FS Sievers
1925: 356. 359). — Mhd. jagen ‚jagen, ver-
folgen, treiben‘, nhd. jagen ‚schnell ver-
folgen, hetzen, zu fangen oder zu erlegen
suchen, eilen‘.
Ahd. Wb. 4, 1775 f.; Splett, Ahd. Wb. 1, 431; Köbler,
Wb. d. ahd. Spr. 640; Schützeichel⁷ 168; Starck-Wells
315. 823; Schützeichel, Glossenwortschatz 5, 103 f.;
Seebold, ChWdW8 172; ders., ChWdW9 452; Graff 1,
579 f.; Lexer 1, 1467; Diefenbach, Gl. lat.-germ. 18
(agitare). 250 (fugare). 300 (insequi). 610 (venari);
Götz, Lat.-ahd.-nhd. Wb. 26 (agere). 28 (agitare). 111
(cogere). 121 (compellere). 280 (fugare). 342 (in-
sectari). 483 (persequi). 604 f. (sequi); Dt. Wb. 10,
2213 ff.; Kluge²¹ 329 (s.v. Jagd); Kluge²⁵ s.v. jagen;
Pfeifer, Et. Wb.² 593 f. — Raven 1963—67: 2, 73 f. —
DRW 6, 372 ff.; LM 5, 270; B. Bulitta, RGA² 16, 2 ff.
Das Wort hat nur kontinentalwestgerm. Ent-
sprechungen: mndd. jāgen ‚jagen, eilen, ver-
folgen‘; frühmndl. jaghen (a. 1240), mndl.
jagen, yagen, nndl. jagen ‚jagen, verfolgen,
treiben‘; afries. jeia, jagia, jegia ‚jagen,
verfolgen, vertreiben, in die Flucht schla-
gen‘, nwestfries. jeie unr.v. ‚auf die Jagd
gehen, antreiben, eilen, schnell gehen‘, sa-
terfries. joagje ‚jagen, brünstig sein, eilen,
herumirren, fahren‘: < westgerm. *i̯agōi̯e/a-.
Spätaisl. jaga ‚jagen, treiben‘, adän. iage,
jeghe, ndän. jage, norw. (bm., nn.) jage,
schwed. jaga sind aus dem Mndd. entlehnt.
Fick 3 (Germ.)⁴ 329; Tiefenbach, As. Handwb. 194
(Gl. 1,297,18 iacada als ahd. Beleg ausgewiesen);
Lasch-Borchling, Mndd. Handwb. 2, 1, 474 f.; Schil-
ler-Lübben, Mndd. Wb. 2, 396 f.; VMNW s. v. jaghen²;
Verwijs-Verdam, Mndl. wb. 3, 1001 ff.; Franck, Et.
wb. d. ndl. taal² 278; Vries, Ndls. et. wb. 284; Et. wb.
Ndl. F-Ka 559; Hofmann-Popkema, Afries. Wb. 254;
Richthofen, Afries. Wb. 857; Fryske wb. 10, 31 ff.;
Dijkstra, Friesch Wb. 2,26; Fort, Saterfries. Wb. 117;
Vries, Anord. et. Wb.² 289; Jóhannesson, Isl. et. Wb.
1035; Fritzner, Ordb. o. d. g. norske sprog 2, 224;
Holthausen, Vgl. Wb. d. Awestnord. 144; Falk-Torp,
Norw.-dän. et. Wb. 470; Magnússon, Ísl. Orðsb. 427
(jaga¹); Nielsen, Dansk et. ordb. 210; Ordb. o. d.
danske sprog 9, 733 ff.; Torp, Nynorsk et. ordb. 245 f.;
NOB s.v. jage; Hellquist, Svensk et. ordb.³ 417;
Svenska akad. ordb. s.v. jaga.
Wie auch andere, nur im Kontinental-
westgerm. belegte Wörter mit anlautendem
j-, ist ahd. jagôn usw. etym. dunkel. Die
verschiedenen Versuche, das Wort außer-
germ. anzuschließen, überzeugen nicht:
1. Abzulehnen ist ein älterer Vorschlag, der
westgerm. *i̯agōi̯e/a- mit ai. yahú-, yahv-,
yahvá-, alles rigved. Epitheta von Gewäs-
sern, des Sohnes oder der Mütter, die wohl
‚jung, jugendfrisch‘ bedeuten, verbindet. Das
trifft auch auf aav. yazu- ‚jugendlich, jung,
jüngst‘, jav. yazu- ‚jüngst‘ zu, die eher zu
ai. yu n. ‚Leben, Lebenszeit‘ (uridg. *h₂ói̯u-,
gen.sg. *h₂i̯éu̯s), yúvan- ‚jung, jugendlich‘
(s. jung) gehören, falls es sich bei yahú- usw.
um einen Fortsetzer von uridg. *h₂i̯e-ĝh-u-
mit Wz.erweiterung zur Wz. uridg. *h₂ei̯-
handelt (Lubotsky 1988: 45). Auch ai. hate
‚erstrebt, begehrt‘ und gr. ῑ̓χαίνω ‚begehre,
strebe‘, die Franck, a. a. O. hierher stellt, ha-
ben nichts mit ai. yahú- usw. zu tun, sondern
gehören zur Wz. uridg. *Hei̯ĝh- ‚bedürfen,
begehren‘.
2. Gleichfalls fragwürdig ist der alte, zuerst
von Buttmann [1825] 1865: 1, 219 f. vorge-
schlagene Vergleich von gr. διώκω ‚verfol-
ge, treibe weg‘ mit ahd. jagôn usw., da beide
Formen kaum auf eine gemeinsame Vor-
form zurückzuführen sind. E. Seebolds (in
Kluge²⁵ s. v. jagen) Rückführung von gr.
διώ-κω < vorurgr. *dis-i̯ōk-? ist lautlich
nicht möglich (zur unsicheren Etym. von
διώκω vgl. Chantraine, Dict. ét. gr. 289;
Frisk, Gr. et. Wb. 1, 402; Beekes, Et. dict. of
Gr. 1, 507 f.).
3. Der Vergleich von westgerm. *i̯agōi̯e/a-
mit lit. jóti ‚reiten, austreiben‘, das wie ai.
yti ‚fährt, zieht dahin, bewegt sich‘ auf ei-
ne Vorform uridg. *h₁i̯eh₂- weist und letzt-
endlich wohl zu uridg. *h₁ei̯- ‚gehen‘ gehört,
führt nicht weiter.
4. Russ. dial. jáglit’ ‚vor Begierde bren-
nen, nach etwas trachten‘, jáglit’sja ‚sich
rühren, sich bewegen, vorwärtsgehen‘ (zu
jáglyj ‚heftig, eifrig, geschwind‘), wruss.
jáhlić ‚heiß herbeisehnen, durch Bitten be-
lästigen‘: Diese Wörter gehören vielleicht
mit Ablaut in der Wz. (uridg. *[H]i̯ōgu̯- bzw.
*[H]i̯ogu̯-) zu lit. jėgà (Akz.-Kl. 4) ‚Kraft,
Stärke‘, jgti, jėgiù ‚vermögen, stark sein‘,
lett. jēga [jȩ̃ga] ‚Kraft, Verstand‘, jēgt [jẽgt],
jēdzu [jȩ̃dzu] ‚verstehen, begreifen, sich be-
mühen‘; dazu gr. ἥβη f. ‚Jugendkraft, Mann-
barkeit‘. Die Formen setzen am ehesten
uridg. *(H)i̯ēgu̯-eh₂- bzw. *(H)i̯eh₁gu̯-eh₂-
‚Kraft, Jugend-kraft‘ voraus, sofern mit Smo-
czyński, Słow. et. jęz. lit. 232 der Akzent der
lit. Formen geneuert und der der lett. der
eigentlich zu erwartende ist. Aufgrund des
sicher anzusetzenden wz.ausl. uridg. Labio-
velars *gu̯ wegen der balt. und gr. Formen ist
eine Verbindung mit jagôn usw. nicht mög-
lich.
5. Heth. ēkt ‚Jagd, Netz‘, luw. aggati ‚dss.‘ <
*yekt-, zu einer idg. Wz. *i̯eg- ‚jagen‘ (vgl.
E. Hamp, IF 83 [1978], 119 f.; Melchert
1984: 14 und Anm. 26; ders. 1994: 156;
S. E. Kimball, IF 99 [1994], 84 f.). Puhvel
1984 ff: 1—2, 259 f. verwirft diese Etym.
(„wholly improbable“), aber sein Vergleich
mit lat. ictus ‚Hieb, Stoß‘ ist noch weniger
wahrscheinlich. Wenn heth. ēkt tatsächlich
auf *yek-t- zurückgehen kann — was Puhvel
nicht ausdrücklich bestreitet —, wäre der Ver-
gleich mit ahd. jagôn lautlich möglich, wenn
man urgerm. Suffixbetonung annimmt. Ge-
gen diese Etym. spricht indes, dass eine idg.
Wz. angesetzt wird, die nur im Heth. und
Westgerm. bezeugt ist und sonst keine Spur
hinterlassen hat, und dass die Grundbed. von
jagôn eher ‚nachjagen, verfolgen‘ als ‚fan-
gen‘ ist.
Trotz dieser älteren Einwände gilt die ge-
rade angedeutete Verbindung von heth. ēkt
mit ahd. jagôn, jagôd st.m. in neueren Ar-
beiten als sicher (Kimball 1999: 361 f.;
Rieken 1999: 143 ff; Kloekhorst, Et. dict. of
Hitt. 235 f., wenngleich die weiteren An-
schlüsse unterschiedlich gesehen werden:
Für das Heth. geht Rieken 1999: 145 f. von
zwei möglichen Paradigmen aus, einem
akrostatischen oder einem holodynamischen:
uridg. nom. *í̯k-t(-s), akk. *i̯ók-t-, gen.
*i̯ék-t-s bzw. uridg. nom. *i̯ék-ōt(-s), akk.
*i̯ék-t-, gen. *ik-té-s. „Damit ließe sich
auch mhd. jaget ‚Jagd‘ vereinbaren, wenn
dieses durch Thematisierung von *i̯ék-ōt-
und analogische Übernahme der Wurzelform
des Verbs jag-ōn entstanden ist.“ (Rie-
ken 1999: 146). „Ahd. jagôn selbst stellt
wohl eine denominale Ableitung zu *i̯ok-
éh₂- ‚Jagd‘ dar.“ (a. a. O. Anm. 683). Nach
Kloekhorst, a. a. O. geht ahd. jagôd dagegen
auf *i̯ok-ōt-o- zurück. Diese letzte Form lässt
sich noch präzisieren: uridg. *i̯ok-ṓt-o- >
urgerm. *i̯a-ōþ-a- > ahd. jagôd. Beide
Vorschläge sind in der vorliegenden Form
aber problematisch: Bei dem Vorschlag von
Rieken muss ein weiteres unbelegtes Ab-
straktum postuliert werden, das ein ererbtes
t-stämmiges Abstraktum beeinflusst haben
müsste. Nimmt man aber die ehemalige Exi-
stenz eines uridg. *i̯ok-éh₂- ‚Jagd‘ an, ist die
Annahme der Fortsetzung des im Heth. be-
legten t-Stamms auch im Urgerm. nicht
mehr zu motivieren, da dann jagôd eine
reguläre innergerm. Dentalableitung zu ur-
germ. *i̯a-ō-i̯e/a- sein kann (vgl. Krahe-
Meid 1969: 3, § 124 [S. 158]). Und Kloek-
horsts Lösung macht eine Betonung not-
wendig, die in den mutmaßlich zugrun-
deliegenden uridg. Paradigmen nirgends auf-
scheint. Zudem bleibt ohnehin der se-
mantische Zusammenhang zwischen ‚Jagd‘
und ‚(Jagd-)Netz‘ problematisch.
Weitere Anschlüsse sind noch unsicherer: Abzuleh-
nen ist eine Verbindung des heth. Worts mit lat. ictus,
-ūs ‚Hieb, Stoß‘, da dieses wie das zugehörige Ver-
bum īcō ‚schlage, treffe‘ auf die Wz. uridg. *h₂ei̯k̂-
‚aufspießen‘ zurückgeht, deren anl. *h₂- im Heth. ei-
nen Reflex hätte hinterlassen müssen. Am wahr-
scheinlichsten bleibt die Verbindung mit lat. iaciō
‚werfe‘, das als sekundäre -k-Erweiterung (im Prä-
sensstamm?) zu uridg. *Hi̯eh₁- ‚werfen‘ bzw. uridg.
*(h₃)i̯eh₂- (Müller 2007: 100) gestellt wird. Aus uridg.
*Hi̯eh₁-k-/*Hih₁-k- → *Hi̯h̥₁-k- bzw. *(h₃)i̯eh₂-k-/
*(h₃)ih₂-k- → *(h₃)i̯h̥₂-k- ‚etw. eifrig zu erlangen ver-
suchen, etw. verfolgen‘ (Müller, a. a. O.) können so-
wohl die lat. als auch die germ. Formen hergeleitet
werden, vorausgesetzt, dass — wie dargestellt — in bei-
den Sprachfamilien in der Schwundstufe die Sylla-
bifizierung der Wz. nach der Vollstufe ausgeglichen
worden ist. Wenn Suffixbetonung des dem denomi-
nalen ōn-Verbs zugrunde liegenden Subst. vorur-
germ. *(h₃)i̯h̥₂-k-éh₂- angenommen wird, ergibt sich
urgerm. *i̯a- lautgesetzlich. Sollte diese Analyse
zutreffen, wären ai. yā- ‚bitten, flehen, fordern,
verlangen‘ (< uriir. *[H]i̯aH-, also ggf. < uridg.
*[h₃]i̯eh₂-) bzw. ai. yā-c- ‚bitten, verlangen, zu
erlangen suchen‘ (das eine Erweiterung von ai.
yā- sein dürfte), av. yā-s- ‚dss.‘ weitere wz.verwand-
te Anschlüsse. Unter diesen Gegebenheiten ist
dann aber das westgerm. Verb von heth. ēkt- in je-
dem Fall zu trennen, da hier ein Reflex des inl.
*-h₂- vorhanden sein müsste. Eine definitive
Entscheidung, ob nun mit uridg. *Hi̯eh₁-k-´ oder
*(h₃)i̯eh₂-k-´ für das germ. Wort zu rechnen ist, kann
nicht getroffen werden. Die Semantik spricht für
letzteres.
Walde-Pokorny 1, 195 f.; Pokorny 502. 503; LIV² 222.
226. 261; Mayrhofer, KEWA 3, 14 f. 16 f.; ders.,
EWAia 2, 408 f.; Frisk, Gr. et. Wb. 1, 402. 620;
Chantraine, Dict. ét. gr. 289. 404 f.; Beekes, Et. dict.
of Gr. 1, 507 f.; Walde-Hofmann, Lat. et. Wb. 1, 666 f.
670; Ernout-Meillet, Dict. ét. lat.⁴ 303 f. 305; de
Vaan, Et. dict. of Lat. 292 f. 295; Berneker, Slav. et.
Wb. 1, 1, 443; Vasmer, Russ. et. Wb. 3, 480; ders., Ėt.
slov. russ. jaz. 4, 544; Fraenkel, Lit. et. Wb. 192;
Smoczyński, Słow. et. jęz. lit. 232; Mühlenbach-End-
zelin, Lett.-dt. Wb. 2, 111 f.; Karulis, Latv. et. vārd. 1,
354; Kloekhorst, Et. dict. of Hitt. 235 f. — Schrijver
1991: 171.