kerienAWB, kerrenAWB sw.v. I, seit dem Ende
des 8. Jh.s in Gl., MF: ‚kehren, (aus-)fegen,
über etw. hinstreichen, -schleifen, etw. be-
streichen, etw. hinwegfegen, mit großer
Kraft forttragen; mundare, scopare, terere,
verrere‘ 〈Var.: ch-〉. — Mhd. kern, keren
sw.v. ‚kehren, fegen‘, nhd. kehren sw.v. ‚rei-
nigen, sauber machen, säubern, von Staub/
Schmutz befreien‘.
Ahd. Wb. 5, 132 f.; Splett, Ahd. Wb. 1, 444; Köbler,
Wb. d. ahd. Spr. 656; Schützeichel⁷ 175; Starck-Wells
328; Schützeichel, Glossenwortschatz 5, 197 f.; See-
bold, ChWdW8 175; ders., ChWdW9 463; Graff 4,
466; Lexer 1, 1555; Diefenbach, Gl. lat.-germ. 519
(scobare); Götz, Lat.-ahd.-nhd. Wb. 418 (mundare);
Dt. Wb. 11, 406 ff.; Kluge²¹ 362; Kluge²⁵ s. v. kehren²;
Pfeifer, Et. Wb.² 646. — Riecke 1996: 606.
In den anderen germ. Sprachen entsprechen:
mndd. kēren ‚kehren, fegen‘; frühmndl. ke-
ren, mndl. keren, kerien, kerren, nndl. keren
‚fegen, sauber machen‘. Die genaue Vorform
ist unklar und von der weiteren Einbindung
im germ. Kontext abhängig. Zwei An-
schlussmöglichkeiten existieren:
1. Falls es sich um ein denom. Verb handelt,
ist die Vorform urgerm. *kari̯e/a- eine Ab-
leitung von urgerm. *karō- ‚Schmutz‘. Das
Subst. ist in ahd. ubarkara ‚Kehrricht‘ (s. d.
[ebenfalls zur Etymologie]) fortgesetzt, wo-
mit nisl. kar ‚Schmutz (an neugeborenen
Lämmern und Kälbern)‘ zu vergleichen ist.
Diese Herleitung ist aber problematisch, da
ahd. -kara und aisl. kar (davon wieder
abgeleitet nisl. kara, nnorw. kare, nschwed.
kara ‚scharren, kehren‘) wohl eher aus dem
früh und reichhaltig bezeugten Verb rück-
gebildet sind.
2. Daher geht Riecke 1996: 606 von ei-
ner deverbalen Bildung urgerm. *karzii̯e/a-
aus, wozu er auch ae. cyrran, me. chāren,
ne. char(e) ‚kehren, wenden‘ stellt. Doch
liegt hier wahrscheinlich eine Verwechs-
lung mit ahd. kêren ‚kehren, wenden‘ (s. d.)
vor.
Eine Vorform urgerm. *karzii̯e/a- und damit
eine Anbindung an der Wz. uridg. *ĝers-
‚drehen, biegen‘ ist so unerweisbar.
Fick 3 (Germ.)⁴ 39 f.; Lasch-Borchling, Mndd. Hand-
wb. 2, 1, 542; Schiller-Lübben, Mndd. Wb. 2, 447;
VMNW s. v. keren³; Verwijs-Verdam, Mndl. wb. 3,
1344; Franck, Et. wb. d. ndl. taal² 300; Vries, Ndls. et.
wb. 312; Holthausen, Ae. et. Wb. 48; Bosworth-Toller,
AS Dict. 190; ME Dict. s. v. chāren v.¹; OED² s. v.
chare | char v.¹; Falk-Torp, Norw.-dän. et. Wb. 1,
496 f.; Magnússon, Ísl. Orðsb. 446; Torp, Nynorsk et.
ordb. 258; NOB s. v. kare; Hellquist, Svensk et. ordb.³
445; Svenska akad. ordb. s. v. kara v. — Bammes-
berger 1965: 105.
Als Alternative, die hier vorgeschlagen wird,
käme die Verbalwz. uridg. *h₂g/ĝer- ‚sam-
meln, (zusammen-)holen, nehmen‘ in Frage,
die sonst nur im Gr. in gr. hom. ἀγέροντο ‚sie
versammelten sich‘, der Neubildung ἀγείρω
‚versammle‘ und in gr. myk. a-ko-ra, gr.
ἀγορά f. ‚Versammlung‘ belegt ist. Die ur-
germ. Form *kari̯e/a- wäre dann eine uridg.
Kausativ-Iterativ-Bildung *h₂g/ĝor-éi̯e/o-
‚immer wieder sammeln‘. In diesem Fall
wäre eine Bedeutungsverengung von ‚im-
mer wieder sammeln‘ über ‚immer wieder
Schmutz/Dreck sammeln‘ zu ‚kehren‘ ein-
getreten.
Walde-Pokorny 1, 590 f.; Pokorny 382 f.; LIV² 276;
Frisk, Gr. et. Wb. 1, 8 f. 13 f.; Chantraine, Dict. ét. gr.
9 f. 12 f.; Beekes, Et. dict. of Gr. 1, 10. 14.
S. ubarkara.