lâri adj. ja-St., Nps und Npw: ‚leer,
frei von; inanis‘ 〈Var.: -ea-; -e〉. Im Akk.
Sg.f. leara (Nps) steht -ea- für umgelautetes
-â- (vgl. Schatz 1927: § 65). — Mhd. lære,
lær, md. lêr(e) adj. ‚leer, ledig‘, frühnhd. ler
adj. ‚leer, ungefüllt, bar, mittellos, wirkungs-
los, inhaltslos, bedeutungslos, frei, ledig, un-
belastet‘, mit leren händen ‚ohne Geschenk‘,
ler abgehen ‚wirkungslos bleiben‘, die lere
figur ‚Trugbild‘, nhd. leer adj. ‚ohne Inhalt,
ohne Sinn‘.
Ahd. Wb. 5, 641; Splett, Ahd. Wb. 1, 528; Köbler, Wb.
d. ahd. Spr. 705; Schützeichel⁷ 193; Graff 2, 243; Le-
xer 1, 1834 f.; Frühnhd. Wb. 9, 971 ff.; Diefenbach,
Gl. lat.-germ. 290 (inanis); Götz, Lat.-ahd.-nhd. Wb.
324 (inanis); Dt. Wb. 12, 507 ff.; Kluge²¹ 430; Kluge²⁵
s. v. leer; Pfeifer, Et. Wb.² 778 f.
In den anderen germ. Sprachen entspre-
chen: as. lāri adj. ‚leer‘ im Hel, mndd. lēre
adj. ‚leer, ledig, bar‘ (regional begrenzt, hd.
Fremdwort in ndd. Texten); mndl. laer adj.
‚leer‘ (nur selten verwendet; nicht hierher ge-
hörig ist ndl. laar ‚offene Stelle im Wald‘,
das vorwiegend in ON begegnet [z.B. Ros-
lar ‚Roselare‘], die Vorform ist urgerm. *χlēra-
< vorurgerm. *kleh₁-ro-); ae. ge-lǣr(e) adj.
‚leer, hungrig‘, me. lēr(e) ‚leer, inhaltslos,
nutzlos, unnötig‘, ne. dial. leer adj. ‚leer [auf
den Magen bezogen], hungrig‘: < westgerm.
*lēzii̯a-. Das dehnstufige Adj. ist vom st.v.
V lesan (s. d.) abgeleitet. Da bei lesan der
grammatische Wechsel bereits im 9. Jh. aus-
geglichen wird (prät.pl. lârum > lâsum), löst
sich das Adj. lâri aus dem Paradigma und
die Verbindung zum Verb wird aufgehoben.
Das Adj. selbst scheint in der Sphäre des
Ackerbaus aufgekommen zu sein und bed.
zunächst ‚was aufgelesen werden kann‘ (vom
abgeernteten, zur Nachlese bereiten Feld),
was für die landlosen Bevölkerungsteile von
großer Wichtigkeit war. Aus der Bed. ‚abge-
räumt‘ hat sich ‚nichts enthaltend‘ entwi-
ckelt, das nicht nur auf Ackerflächen, son-
dern auch auf Gefäße, Räume und schließ-
lich Abstraktes bezogen und damit im Sinne
von ‚inhalts-, bedeutungslos, nichtssagend‘
verwendet werden konnte.
Seebold, Germ. st. Verben 332; Heidermanns, Et. Wb.
d. germ. Primäradj. 381; Tiefenbach, As. Handwb.
231; Sehrt, Wb. z. Hel.² 322; Berr, Et. Gl. to Hel. 235;
Lasch-Borchling, Mndd. Handwb. 2, 1, 789; Verwijs-
Verdam, Mndl. wb. 4, 42 f.; Vries, Ndls. et. wb. 379
(s. v. laar¹); Et. wb. Ndl. Ke-R 164 (s. v. laar);
Holthausen, Ae. et. Wb. 192 (gelǣre²); Bosworth-
Toller, AS Dict. 406; Suppl. 352; Suppl. 2, 33; ME
Dict. s. v. lēr(e) adj.; OED² s. v. leer adj.¹. — A. Lind-
qvist, PBB 51 (1927), 99—103 (zur Bed.); Müller-
Frings 1966—68: 1, 200 (zum Erbwortcharakter von
as. lāri); Matzel 1990: 130 f.
Westgerm. *lēzii̯a- < vorurgerm. *lēsii̯ó- <
*leh₁sii̯ó- ist ohne parallele Bildungen.
S. lesan.