lîhanAWB st.v. I (prät. lêh, liwum, part.prät.
giliwan), Gl. 1,155,14 (Sam, 820/830, bair.).
747,12 (Clm. 22201, 12. Jh.); 2,488,10 (St.
Gallen, StiftsB 134, 10. Jh., alem.) und Gl.
in Freiburg, Hs. 981 (10. Jh., alem.), bei O:
‚leihen, verleihen, ausleihen, geben, gewäh-
ren, (Gewinn) verschaffen; fenerare, prae-
stare‘ 〈Var.: präs. lich-; prät. lech-〉. Das st.
Verb zeigt grammatischen Wechsel, bei prä-
figiertem farlîhan findet sich neben dem
Part.Prät. farliwan bereits früh neugebilde-
tes farlihan (vgl. Braune-Reiffenstein 2004:
§ 330 Anm. 2). — Mhd. lîhen st.v. ‚leihen,
verleihen‘, frühnhd. leihen ‚jmdn. etw. bor-
gen, sich etw. borgen, gewähren, zugeste-
hen‘, das har zu etw. leihen ‚den Kopf für
etw. hinhalten‘, nhd. leihen st.v. ‚gegen die
Verpflichtung der Rückgabe jmdm. vorüber-
gehend etw. zur Verfügung stellen oder etw.
von jmdm. annehmen, borgen‘.
Ahd. Wb. 5, 946; Splett, Ahd. Wb. 1, 542; Köbler, Wb.
d. ahd. Spr. 722; Schützeichel⁷ 200; Starck-Wells
374; Schützeichel, Glossenwortschatz 6, 80; Berg-
mann-Stricker, Katalog Nr. 162. 186. 681. 895; See-
bold, ChWdW9 520; Graff 2, 122 f.; Lexer 1, 1917;
Frühnhd. Wb. 9, 867 ff.; Diefenbach, Gl. lat.-germ.
229 (fenerari). 457 (prestare); Dt. Wb. 12, 688 ff.;
Kluge²¹ 434; Kluge²⁵ s.v. leihen; Pfeifer, Et. Wb.²
787. — DRW 8, 1166—1170.
Das Wort hat in fast allen älteren germ.
Sprachen Entsprechungen: as. līhan st.v. I
‚gewähren‘ (Gen), mndd. līen, līgen st.
v. (prät. lē[i]ch, lēgen, part.prät. [ge-]lē-
gen) ‚leihen, ausleihen, leihweise überlas-
sen‘; andfrk. līan st.v. ‚verleihen, ausleihen;
commodare, praestare‘ (WPs, nur 3.sg.präs.
liet, 2.sg.prät. *liwe [Hs. luuue]), mndl.
liën ‚leihen, verleihen‘ (selten, häufiger ist
verliën; s. firlîhan), nndl. ersetzt durch le-
nen ‚verleihen‘ (s. lêhanôn); bei Richthofen,
Afries. Wb. 897 u. a. gebuchtes līa ‚leihen‘
existiert nicht, belegt ist nur das von lēn n.
(s. lêhan) abgeleitete sw. Verb afries. lēna,
leina ‚übertragen, belehnen mit‘; ae. līon,
lēon st.v. I ‚leihen, gewähren‘ (Verbum con-
tractum durch Ausfall von -h- vor Vokal),
ersetzt durch me. lēnen ‚dss.‘; aisl. ljá sw.v.
III ‚leihen‘, das im grammatischen Wechsel
zu leiga sw.v. ‚leihen, borgen‘ steht (Spuren
des st.v. I *léa sind erhalten in: 1.sg.präs. lé,
part.prät.nom.pl.n. léner; vgl. Noreen [1923]
1970: § 483 Anm.), aschwed. lea; got. lei-
ƕan st.v. I ‚leihen, borgen; δανείζειν‘, leiƕan
sis ‚sich borgen‘: < urgerm. *līχu̯e/a-.
Fick 3 (Germ.)⁴ 367; Seebold, Germ. st. Verben
327 f.; Tiefenbach, As. Handwb. 241; Sehrt, Wb. z.
Hel.² 338; Berr, Et. Gl. to Hel. 245 f.; Lasch-Borch-
ling, Mndd. Handwb. 2, 1, 811 (lîen¹); Schiller-
Lübben, Mndd. Wb. 2, 690; ONW s.v. līan; Verwijs-
Verdam, Mndl. wb. 4, 564; Franck, Et. wb. d. ndl.
taal² 374 f. (s.v. leen); Vries, Ndls. et. wb. 388 (s.v.
leen); Et. wb. Ndl. Ke-R 194 f. (s.v. leen); Holthausen,
Ae. et. Wb. 203; Bosworth-Toller, AS Dict. 633 f.;
Suppl. 2, 45; ME Dict. s. v. lēnen v.³; Vries, Anord. et.
Wb.² 359 (ljá²); Jóhannesson, Isl. et. Wb. 733; Fritz-
ner, Ordb. o. d. g. norske sprog 2, 542 f.; Holthausen,
Vgl. Wb. d. Awestnord. 183; Magnússon, Ísl. Orðsb.
568 (ljá²); Feist, Vgl. Wb. d. got. Spr. 327; Lehmann,
Gothic Et. Dict. L-29. — Brunner 1965: §§ 373. 383
Anm. 4; Campbell [1959] 1997: § 153.
Ahd. lîhan usw. < urgerm. *līχu̯e/a- gehört
zu einer gemeinidg. Wz. *lei̯ku̯- ‚zurück-
lassen, verlassen‘, die einzelsprachlich u. a.
als thematische Bildung (Aor./Präs.) oder
Nasalpräs. fortgesetzt ist. Urgerm. *līχu̯e/a-
nun könnte sowohl auf vorurgerm. *lei̯ku̯e/o-
als auch auf vorurgerm. *li-né/n-ku̯- zurück-
gehen. Da im Germ. aber der thematische
Typus verallgemeinert wurde und auch kei-
nerlei Relikte eines Nasalpräs. überliefert
sind, ist *lei̯ku̯e/o- die wahrscheinlichere
Vorform. Diese hat eine genaue Entspre-
chung im thematischen Wz.präsens gr. λείπω
‚verlasse, lasse‘ < vorurgr. *lei̯ku̯e/o-. Im
Germ. ist es zu einer Bed.verengung bzw.
-verschiebung von ‚zurücklassen, verlassen‘
→ ‚leihweise überlassen, leihen‘ gekommen.
Bildungen mit Nasal begegnen im Indoiran.,
Gr., Lat., Arm. und Kelt.: Ai. riṇákti ‚ver-
lässt, überlässt‘ und jav. irinaxti ‚verlässt‘ <
uridg. *liné/n-ku̯e/o-. Hierher gehörig sind
auch gr. λιμπάνω ‚verlasse‘ und lat. lin-
quō ‚lasse zurück, hinterlasse, überlasse‘ <
urit. *linku̯e/o-. Auch air. léicid*, -léici*
‚lassen, entlassen, überlassen, zurücklas-
sen‘ kann über *lēg- < *lĩgu̯- lautgesetzlich
auf *linku̯e/o- zurückgeführt werden (vgl. P.
Schrijver, Ériu 44 [1993], 41. 44). Arm.
lkՙanem ‚verlasse‘ setzt *liku̯-- fort, das aus
*li-né/n-ku̯- umgebildet ist. Die 3.sg.aor. arm.
(e)likՙ basiert auf einem thematischen Aor.
uridg. *é-liku̯-e-t, der auch in gr. ἔλιπε fort-
gesetzt ist. Einen Wz.aorist präsentiert ai.
prá rikthāḥ ‚ragst hinaus über‘ < *(léi̯ku̯-)/
*liku̯-.
Auf ein altes Perf. *le-loi̯ku̯-h₂e gehen ai.
rireca ‚hat verlassen‘ und gr. λέλοιπα ‚bin
weg von‘ zurück sowie mit Verlust der Re-
duplikation apreuß. inf. po-laikt ‚bleiben‘
und alit. 3.sg.präs. liekti ‚bleibt‘, das im Neu-
lit. als thematisiertes lìkti (liekù, likaũ) ‚blei-
ben, zurücklassen‘, lett. likt (lìeku, liku) ‚las-
sen, legen, setzen, bestimmen‘ erscheint. Na-
salinfigiertes apreuß. po-līnka, lit. dial. liñ-
ka sind Neubildungen zum Prät. (vgl. Stang
1966: 311. 344 f.).
Daneben existieren noch zahlreiche nomi-
nale Ableitungen von *lei̯ku̯-. Für das Germ.
sind u. a. anzuführen: Vorurgerm. *loi̯ku̯-áh₂-
> urgerm. *lai̯u̯ō-, das in aisl. leiga f. ‚Mie-
te, Pacht, Zinspflicht‘ fortgesetzt ist sowie
mit Suff. *-no- gebildetes vorurgerm. *lói̯ku̯-
no- > urgerm. *lai̯χu̯na-, das sich u. a. in ahd.
lêhan (s. d.) zeigt.
Zur Herkunft von urgerm. *-lif (< vorurgerm. *-liku̯-
o-) in Num. wie lit. vienúolika, ahd. einlif, got. ainlif
‚elf‘, ahd. zwelif, got. twailif ‚zwölf‘, lit. trýlika
‚dreizehn‘ usw. s. einlif.
Walde-Pokorny 2, 396 f.; Pokorny 669f.; LIV² 406 ff.;
NIL 451—453; Mayrhofer, KEWA 3, 59; ders., EWAia
2, 457 f.; Bartholomae, Airan. Wb.² 1479 f. (s. v.
raēk-); Cheung, Et. dict. of Iran. verb 307 f.; Horn,
Grdr. d. npers. Et. Nr. 638; Frisk, Gr. et. Wb. 2, 99 f.;
Chantraine, Dict. ét. gr. 628 f.; Beekes, Et. dict. of Gr.
1, 844 f.; Walde-Hofmann, Lat. et. Wb. 1, 808 f.;
Ernout-Meillet, Dict. ét. lat.⁴ 361; de Vaan, Et. dict. of
Lat. 344; Thes. ling. lat. 7, 2, 1460 ff.; Hübschmann,
Arm. Gr. Nr. 184; Martirosyan, Et. dict. of Arm. 310;
Trautmann, Balt.-Slav. Wb. 154; Berneker, Slav. et.
Wb. 1, 717 f.; Fraenkel, Lit. et. Wb. 372 f.; Smoczyń-
ski, Słow. et. jęz. lit. 355f.; Mühlenbach-Endzelin,
Lett.-dt. Wb. 2, 467—469; Karulis, Latv. et. vārd. 1,
535 f.; Trautmann, Apreuß. Spr.denkm. 404; Mažiulis,
Apreuß. et. Wb. L-P 318; Smoczyński, Lex. d. apreuß.
Verb. 278 f.; Fick 2 (Kelt.)⁴ 242; Matasović, Et. dict.
of Proto-Celt. 240; Schumacher, Kelt. Primärverb.
454—456; Hessens Ir. Lex. 2, 60; Kavanagh-Wodtko,
Lex. OIr. Gl. 624 f.; Dict. of Irish A-401. L-75 ff. —
Kuiper 1937: 113. 117. 173. 213; Klingenschmitt
1982: 180. 269—271; G. Meiser, FS Rix 1993: 305—
310; Olsen 1999: 782; Schmitt 2007: 135. 145. 152. —
Vries, Anord. et. Wb.² 351 (leiga¹).