lûttarAWB adj., im Voc, Abr und weiteren
Gl., MF, MH, T, OT, B, GB, O, WB, WK,
NBo, NMC, Nps Npg, Npw, LeidW, WH,
Prs A, Prs B, GGB II: ‚rein, unvermischt,
makellos, glänzend, lauter, vornehm, ehr-
würdig, bloß; clarus, limpidus, liquens, li-
quidus, lucidus, merus, mundus, nitidus, ob-
rizum, praeclarus, probatus, purgatus, pu-
rus, serenus, simplex, sincerus, vitreus‘, in
der Verbindung in lûttara inti in einfalta wîs
‚schlechthin und einfach; pure‘ 〈Var.: hl-;
-iu-; -t-, -td-, -tz-, -zz-; -tr-, -er-, -ir-, -ur-;
-er〉. In der Position vor r tritt bei t die ahd.
Lautverschiebung nicht ein. Das durch die
westgerm. Konsonantengemination entstan-
dene tt wird nach langem Vokal oft zu t
vereinfacht (Braune-Reiffenstein 2004: § 92;
Simmler 1974: 305 ff.). Diese einfache Kon-
sonanz überwiegt in späterer Zeit und setzt
sich im Mhd. durch (Braune-Reiffenstein
2004: § 96. Anm. 4). Der Wortanlaut hl- ist
abgesehen von Gl. 1,373,9 (um 1000 und
11. Jh.) ausschließlich im 8. und 9. Jh. be-
legt. Die Varianten 〈-tz-〉 und 〈-zz-〉 be-
ruhen wahrscheinlich auf hyperkorrekter
Schreibung, wobei letztere auch durch ana-
logischen Einfluss von folgendem wazzeron
entstanden sein könnte (Sanders 1974: 280
und Anm. 915). — Mhd. lûter, liuter adj.
‚hell, rein, klar, lauter, aufrichtig, unver-
mischt, ausschließlich, lediglich, bloß‘, früh-
nhd., nhd. lauter adj. ‚rein, unvermischt, un-
getrübt, aufrichtig, ehrlich‘. Seit dem 16. Jh.
wird der erstarrte Nom.Sg. in der Bed. ‚le-
diglich, bloß, nur‘ verwendet (Dt. Wb. 12,
383; Pfeifer, Et. Wb.² 775). Das Adj. ist in
FlussN und davon abgeleiteten ON belegt
und bezeichnet die Eigenschaft des Wassers,
klar und ungetrübt zu sein: z.B. Lauterbach,
Lutter, Lutterbeck, Lauterburg, Lüder (Solm-
sen 1922: 47 f.; Bach 1952 ff.: 2, 1, § 298, 1).
Ahd. Wb. 5, 1449 ff.; Splett, Ahd. Wb. 1, 577; Köbler,
Wb. d. ahd. Spr. 747; Schützeichel⁷ 211; Starck-Wells
390; Schützeichel, Glossenwortschatz 6, 201 f.;
Seebold, ChWdW8 201; ders., ChWdW9 548; Graff 4,
1105 ff.; Lexer 1, 1996; Frühnhd. Wb. 9, 475 ff.;
Diefenbach, Gl. lat.-germ. 125 (clarus). 330 (limpi-
dus). 358 (merus). 388 f. (obrizum). 452 (praeclarus).
474 (purus). 529 (serenus). 536 (sincerus); Götz, Lat.-
ahd.-nhd. Wb. 108 (clarus). 377 (liquidus). 381 (lu-
cidus). 402 (merus). 418 (mundus). 440 (obryzum).
541 (purgare, purus). 612 (simplex). 613 (sincerus).
716 (vitreus); Dt. Wb. 12, 378 ff.; Kluge²¹ 428; Klu-
ge²⁵ s. v. lauter; Pfeifer, Et. Wb.² 775.
In den anderen germ. Sprachen entsprechen:
as. hluttar, hlūtar ‚lauter, klar, rein, auf-
richtig, unbefleckt‘, mndd. lutter, lūter ‚rein,
klar, sauber, unvermischt‘; andfrk. luttar,
mndl. luter, luyter, lutter, lotter, louter ‚lau-
ter, rein, unverfälscht‘, nndl. louter ‚rein‘;
afries. hlutter ‚lauter, hell, unverfälscht‘,
nwestfries. lotter ‚rein‘, saterfries. luter ‚lau-
ter, rein‘; ae. hlut(t)or, hlūtor ‚rein, klar, hell,
aufrichtig‘, me. lūtter, lutur, hluter, hlu-
tur, hlutre ‚klar, rein, aufrichtig‘, ne. †lutter
‚rein‘; got. hlutrs* ‚rein, klar‘; vgl. den
langob. PN Ōdelūtrus (< urgerm. *auđa- +
*χlūtra-) (Bruckner, Spr. d. Langob. 97. 162.
166; Francovich Onesti 2000: 180 f. [*au-
đa-]): < urgerm. *χlūtra-. Me. lūtter er-
scheint auch in ON wie Lettaford, Ludder
Burn, Lunter Stones (Smith 1956: 1, 253).
Ält. dän., norw., schwed. lutter ‚rein‘ ist aus
mndd. lutter entlehnt (Törnqvist 1977: 67).
Daneben setzt aisl. hlér m. ‚Meer‘ urgerm.
*χleu̯-a- ohne Wurzelerweiterung fort (A.
Noreen, IF 26 [1909], 223).
Fick 3 (Germ.)⁴ 113; Heidermanns, Et. Wb. d. germ.
Primäradj. 297 f.; Tiefenbach, As. Handwb. 171;
Sehrt, Wb. z. Hel.² 263; Berr, Et. Gl. to Hel. 197 f.;
Wadstein, Kl. as. Spr.denkm. 192; Lasch-Borchling,
Mndd. Handwb. 2, 1, 879; Schiller-Lübben, Mndd.
Wb. 2, 755; ONW s. v. luttar; Verwijs-Verdam, Mndl.
wb. 4, 897 ff.; Franck, Et. wb. d. ndl. taal² 400; Vries,
Ndls. et. wb. 413; Et. wb. Ndl. Ke-R 265 f.; Hofmann-
Popkema, Afries. Wb. 225; Richthofen, Afries. Wb.
820; Fryske wb. 13, 36 f.; Dijkstra, Friesch Wb. 2,
134; Kramer, Seelter Wb. 138; Faltings, Et. Wb. d.
fries. Adj. 282; Holthausen, Ae. et. Wb. 164; Bos-
worth-Toller, AS Dict. 545; Suppl. 554; ME Dict. s. v.
lutter; OED² s. v. lutter; Vries, Anord. et. Wb.² 237 f.;
Jóhannesson, Isl. et. Wb. 277; Falk-Torp, Norw.-dän.
et. Wb. 666 f.; Nielsen, Dansk et. ordb. 269; Hellquist,
Svensk et. ordb.³ 598; Svenska akad. ordb. s. v. lutter;
Feist, Vgl. Wb. d. got. Spr. 264 f.; Lehmann, Gothic
Et. Dict. H-83; Bruckner, Spr. d. Langob. 281. 289.
Bei der urgerm. Vorform *χlūtra- handelt es
sich um eine schwundstufige Ableitung der
im Germ. mit Dental erweiterten Wz. uridg.
*k̂leu̯H- ‚reinigen‘ mit dem Suffix urgerm.
*-ra- (vgl. Krahe-Meid 1969: 3, § 81 [S.
78f.]). Gr. κλύζω ‚wasche ab, spüle ab, walle
auf [vom Meer]‘ ist denominal mit dem Suf-
fix *-i̯e/o- von dem Subst. *κλύς ‚Welle,
Woge‘ abgeleitet. Das Wurzelnomen *κλύς
ist sonst nur im Akk.Sg. κλύδα bei Nic. Al.
170 bezeugt. Es liegt weiterhin in dem Adj.
σύγκλυς ‚vermischt‘ vor, zu dem das Verb
συγκλύζω ‚mische zusammen‘ gebildet ist.
Das Substantiv basiert auf dem auch vom
Germ. vorausgesetzten dentalerweiterten Verb
kluH-d- (vgl. Persson 1891: 36; Güntert 1914:
149). Der Kurzvokalismus der gr. Wortsippe
ist auf sekundäre Angleichung an die stets
kurzvokalischen einsilbigen δ-Stämme zu-
rückzuführen (zu den δ-Stämme im Gr. vgl.
Schwyzer, Gr. Gramm.² 1, 507). Im Balt. ist
die Wz. in lit. šlúoti, šlavù ‚fegen, wischen‘
sowie lit. šlúota ‚Besen‘, lett. sluôta fort-
gesetzt. Daneben sind im Lit. noch mit -d-
und -k- erweiterte Bildungen bezeugt: lit.
šlúodinti ‚fegen lassen‘ (< vorurbalt. *k̂lō-
d-); lit. šliaũkti (< vorurbalt. *k̂leu̯-k-), lett.
slaùkt ‚wischen, fegen‘ (< vorurbalt. *k̂lou̯-
k-). Das Nebeneinander der Stämme urbalt.
*šlō- und *šlav- ist wohl eine Analogie nach
urbalt. *dō- neben *dav- und anderen Ver-
ben, die stammhaftes ō neben av aufweisen,
entstanden (Stang 1966: 360).
Der Ansatz einer Wz. uridg. *k̂leHu̯- könnte den balt.
Stammvokalismus erklären (Rasmussen 1989: 71; de
Vaan, Et. dict. of Lat. 122; Beekes, Et. dict. of Gr. 1,
719), setzt aber Laryngalmetathese mit sekundärer
Voll- bzw. Schwundstufe aller außerhalb des Balt. be-
zeugten Fortsetzer voraus.
Abzulehnen ist der Vorschlag von Beekes, nach dem
in gr. κλύζω schwundstufiges uridg. *klHu- vorläge
(Beekes, Et. dict. of Gr. 1, 719), da aufgrund der Sil-
benstruktur -l- in dieser Position sonantisch werden
müsste.
Lat. cloāca f. ‚Abzugskanal, Gosse‘ neben
älterem clouāca setzt ein Verb lat. †cloāre
voraus (vgl. Leumann [1926—28] 1977: 1,
340), das auf einem e-stufigen Adj. der Wz.
uridg. *k̂leu̯H-o- basiert (B. Vine, HS 119
[2006], 217). Fraglich ist, ob das nur ein-
mal bei Serv. auct. ad. V. A. 1.720 bezeug-
te cloāre ‚reinigen‘ ein solches Faktitivum
fortsetzt oder eine Rückbildung aus dem
Epithet cloācina f. ‚Beiname der Venus‘ ist
(Walde-Hofmann, Lat. et. Wb. 1, 240; H.
Rix, GS Schindler 1999: 519; B. Vine, HS
119 [2006], 216). Auch bei dem nur in Plin.
Nat. 15, 119 belegten lat. cluere ‚reinigen‘
könnte es sich um eine Rückbildung aus dem
Epithet cluācīna handeln (Walde-Hofmann,
Lat. et. Wb. 1, 240; H. Rix, GS Schindler
1999: 519; B. Vine, HS 119 [2006], 216).
Die Ableitung von lat. cloāca aus einem
Abstraktum *clowā- ‚Reinigung‘ (H. Rix,
GS Schindler 1999: 519) ist unwahrschein-
lich, da urspr. o-stufiges uridg. *k̂lou̯-eh₂-
gemäß der Thurneysen-Havetschen Regel als
*klauā- fortgesetzt sein müsste (vgl. B. Vine,
HS 119 [2006], 217).
Das für den heutigen FlussN Chienti in Picenum und
den inschriftlich bezeugten ON Cluentensis vicus vo-
rauszusetzende *Cluentus geht wohl auf die thema-
tisierte Partizipialbildung der Wz. *k̂leu̯H- zurück (H.
Krahe, BNF 5 [1954], 113 f.).
Hierher gehört auch alb. qull m. ‚Mehlbrei‘,
adv. ‚durch und durch nass‘ (<*klu-d-lo-),
welches wohl urspr. ‚flüssige Nahrung‘ be-
deutete (vgl. das hiervon abgeleitete Verb
alb. qull ‚nass machen‘; Meyer [1891] 1982:
229).
Im Kelt. ist kymr. clir ‚klar, hell, rein‘ (<
uridg. * k̂luH-ró-) zur Wz. *k̂leu̯H-/*k̂luH-
zu stellen. Die zu erwartende Kürzung des ū
nach der Lex Dybo könnte auf eine Akzent-
verschiebung auf die Wurzelsilbe hinweisen.
Daneben ist die Wurzel noch in den FlussN
air. Cluad, nir. Clúath, Cluad, akymr. Clut,
Clūd, bei Ptol. 2,3,1 Kλώτα εἴσχυσις und in
dem ne. ON Clyde (< urkelt. *klou̯-tā) fort-
gesetzt (H. Krahe, BNF 5 [1954], 114).
Walde-Pokorny 1, 495 f.; Pokorny 1, 607; LIV² 335;
Frisk, Gr. et. Wb. 1, 876 f.; Chantraine, Dict. ét. gr. 1,
545; Beekes, Et. dict. of Gr. 1, 718 f.; Walde-Hof-
mann, Lat. et. Wb. 1, 237. 239 f.; Ernout-Meillet,
Dict. ét. lat.⁴ 128; de Vaan, Et. dict. of Lat. 122; Thes.
ling. lat. 3, 1358 ff. (cloāca). 1362 f.; Du Cange² 2,
375 (cloāca); Körting, Lat.-rom. Wb.³ Nr. 2264;
Meyer-Lübke, Rom. et. Wb.³ Nr. 1994; Wartburg, Frz.
et. Wb. 2, 789; Orel, Alb. et. dict. 363; Trautmann,
Balt.-Slav. Wb. 307; Fraenkel, Lit. et. Wb. 1003.
1010 f.; Mühlenbach-Endzelin, Lett.-dt. Wb. 3, 946;
Karulis, Latv. et. vārd. 2, 232; Fick 2 (Kelt.)⁴ 102;
Holder, Acelt. Spr. 1, 1046; Dict. of Welsh 1, 500.