luhsAWB m. a-St., luhsoAWB m. an-St., seit dem
9. Jh. in zahlreichen Gl. (3,446,47, in 4 Hss.,
darunter St. Gallen 299, 2. Hälfte des 9. Jh.s,
alem. und Clm. 14747, 9. Jh., bair.), das sw.
Mask. ist erst ab dem 13. Jh. belegt (Er-
langen, Ms. 400): ‚Luchs; linx [= lynx], pan-
thera, pardalus, (protealum)‘ (Lynx lynx)
〈Var.: --, --, -o-; -chs, -chz, -chsz; luhes〉.
Die Var. mit -o- zeigen wohl senkenden
Einfluss von folgendem -h- auf -u- (vgl.
Braune-Reiffenstein 2004: § 32 Anm. 3).
Neben dem Nom.Pl. auf -a begegnet in
Gl. 2,689,68 (Melk, Nr. 717, Anfang des
11. Jh.s, bair.) die Endung -i nach der i-Dekl.
Der a/i-Klassenwechsel könnte auf einen
urspr. u-St. weisen (s. u.). — Mhd. luhs st.
m., pl. lühse ‚Luchs‘, frühnhd. luchs m., pl.
lüchse ‚Luchs‘, übertr. als Schimpfwort für
einen listigen Menschen, nhd. Luchs m., pl.
Luchse ohne Umlaut ‚kleines, katzenartiges
Raubtier mit gelblichem, meist dunkel ge-
flecktem Fell und kurzem Schwanz‘, sprw.
Augen haben wie ein Luchs ‚außergewöhn-
lich gut sehen können‘.
Ahd. Wb. 5, 1401 ff.; Splett, Ahd. Wb. 1, 571; Köbler,
Wb. d. ahd. Spr. 743; Schützeichel⁷ 209; Starck-Wells
388 f. XLIV. 826; Schützeichel, Glossenwortschatz 6,
186 ff.; Bergmann-Stricker, Katalog Nr. 147d. 225.
434. 611; Seebold, ChWdW9 544; Graff 2, 163; Le-
xer 1, 1981; 3, Nachtr. 305; Frühnhd. Wb. 9, 1422 f.;
Diefenbach, Gl. lat.-germ. 332 (linx); Dt. Wb. 12,
1222 f.; Kluge²¹ 448; Kluge²⁵ s. v. Luchs; Pfeifer, Et.
Wb.² 814 f. — Palander 1899: 54 f. — HDA 5, 1440—
1442; LM 5, 2158; Röhrich 2004: 977 f.
In anderen germ. Sprachen entsprechen: as.
lohs m. a-St. ‚Luchs; lynx, pardus‘, z.B. in
Gl. 2,716,41. 726,48 = WaD 110, 30 (beide
10. Jh.), WaD 106, 17 (Hs. 10./11. Jh., Zeit
des Gl.eintrags unbekannt), mndd. los, -ss-
m./n. ‚Luchs, Luchsfell‘; mndl. los, loss (<
lochs) m., nndl. veralt. los ‚Luchs‘; ae. lox
m. ‚Luchs‘: < westgerm. *luχ-sa- mit Suff.
-sa- zur Charakterisierung m. Tierbez. Ahd.
luhs < westgerm. *luχ-sa-/*luχ-si- beruht
wohl auf einem u-St. *luχ-su- (mit Schwund
von ausl. -u nach langer Stammsilbe im
Westgerm.), der ein altes Wz.nomen fortsetzt
(s. u. gr. λύγξ und vgl. fuoz).
Im Nordgerm. geht das Femininum aschwed.
lō, nschwed. lo ‚Luchs‘ auf urgerm. *luχ-ōn-
ohne s-Suffix zurück. Die Tierbez. ist auch
im Namen der Inselgruppe Lofoten < anord.
Lófót, eigtl. ‚Luchsfuß‘ enthalten.
Adän., ndän. los ‚Luchs, Luchsfell, bestimm-
tes Sternbild‘ ist aus mndd. los entlehnt.
Im Nordgerm. fand eine andere Bez. für den
‚Luchs‘ eine weitere Verbreitung: aisl., nisl.,
norw. gaupa, schwed. dial. göpa < *au̯pōn-
(Vries, Anord. et. Wb.² 158).
Fick 3 (Germ.)⁴ 373; Tiefenbach, As. Handwb. 248;
Wadstein, Kl. as. Spr.denkm. 205; Lasch-Borchling,
Mndd. Handwb. 2, 1, 852 (los³); Schiller-Lübben,
Mndd. Wb. 2, 722; Verwijs-Verdam, Mndl. wb. 4,
808; Franck, Et. wb. d. ndl. taal² 399 (los¹); Vries,
Ndls. et. wb. 413 (los¹); Et. wb. Ndl. Ke-R 279 (s. v.
lynx); Holthausen, Ae. et. Wb. 207; Bosworth-Toller,
AS Dict. 647; Holthausen, Vgl. Wb. d. Awestnord.
184; Nielsen, Dansk et. ordb. 266 (los¹); Ordb. o.
d. danske sprog 12, 1185 f.; Bjorvand, Våre arve-
ord² 348 (s. v. gaupe); Hellquist, Svensk et. ordb.³ 583
(lo¹); Svenska akad. ordb. s. v. lo subst.¹. — Bergmann-
Stricker, Katalog Nr. 721. 855. — Kluge 1926: § 28;
Krahe-Meid 1969: 3, § 113, 1.
Urgerm. *luχ-su- < vorurgerm. *luk̂-su- setzt
wohl ein schwundstufiges Wz.nomen *luk̂-
fort, das als palatale Variante der Wz. *leu̯k-
‚leuchten, hell werden‘ aufgefasst wird. Ver-
wandte Bildungen begegnen im Gr., Balt.,
Slaw. und Arm. und wahrscheinlich Kelt.
Das urspr. Wurzelnomen *luk̂- wurde dabei
einzelsprachlich auf unterschiedliche Weise
umgebildet. So zeigt gr. λύγξ, gen.sg. λυγκός
m./f. ‚Luchs‘ < vorurgr. *lunk̂- im Unter-
schied zum Germ. ein Nasalinfix. Auch für
lit. lšis m. (urspr. Kon.st., wie der Gen.Pl.
lšų zeigt), lett. lũsis m., apreuß. luysis m.
kann aufgrund žemait. Formen mit -n- wie
lųnšis, lųnši ein altes Nasalinfix angenom-
men werden (anders Smoczyński, Słow. et.
jęz. lit. 366: lit. lšis usw. < urbalt. *lūš-i <
uridg. *lūk̂-). Unsicher ist die Herkunft des
-n-: Nach Petersson 1921: 21 f. stammt der
Nasal in *lunk̂- aus dem Gen.Sg. *luk̂-n-és.
Dagegen nimmt F. Heidermanns, RGA² 19, 1
ein Grundverb mit Nasalpräs. an, doch ist ein
solches nicht bezeugt.
Aus dem Slaw. stellen sich aruss. rysь, russ.
rýs’ f., ukrain. ryś, wruss. rýśa, tschech., slo-
wak. rys m., poln. ryś m., ält. ndsorb. rys m.
(osorb. rys ist eine Neuentlehnung aus dem
Tschech.), bulg. ris, serb., kroat. rȉs, slowen.
rȋs m., rȋsa f. ‚Luchs‘ hierher. Der in slaw.
Idiomen abweichende Anlaut r- für l- ist
wohl auf einer frühen Stufe durch Einwir-
kung von *rysŭ ‚scheckig, rot‘ verursacht.
Eine Kontamination mit *rŭvati ‚reißen‘ oder *rykati
‚brüllen‘ ist weniger wahrscheinlich, da die Eigen-
schaften ‚reißen, brüllen‘ nicht charakteristisch für
den scheuen Luchs sind.
Schwieriger ist die Erklärung von arm. li-
ter. lowsanown-kՙ pl. ‚Luchse‘, dial. lisam
‚Luchs‘. Bereits seit F. Müller, SbKAW 122
(1890), 3 besteht kein Zweifel daran, das das
Wort mit gr. λύγξ usw. zu verbinden ist.
Martirosyan, Et. dict. of Arm. 318 f. nimmt
eine Vorform uridg. *lunk̂-mn- (oder *luk̂-
mn-) an, wobei er analog der Entwicklung
von vorurarm. *-ns- > arm. -s- einen Wandel
von *-nk̂- zu -s- postuliert. Im Unterschied
zu dial. lisam < *lisamn ist in der liter. Form
*-m- geschwunden.
Im Kelt. ist nur mir. lug m. u-St. (< *luk̂-u-)
belegt, das urspr. wohl ‚Luchs‘, dann aber
‚Held, Krieger‘ bedeutete. Aufgrund der un-
sicheren Bed. ist das mir. Wort vielleicht
fernzuhalten.
Wie oben bereits festgestellt, liegt der Bez.
für den ‚Luchs‘ eine Wurzel uridg. *leu̯k̂-,
schwundstufig *luk̂- mit palatalisiertem Wz.-
auslaut zugrunde, die u. a. in ai. rúśant- adj.
‚leuchtend, hell, licht, weiß‘ (< *luk̂ent/t-)
fortgesetzt ist. Als Benennungsmotiv für das
kleine Raubtier wird deshalb häufig die hel-
le, sandfarbene Färbung des Fells ange-
nommen (z.B. W. B. Lockwood, Glotta 72
[1994], 41—43). Nach anderen (z.B. Kluge²⁵)
ist der Luchs nach seinen hellen, leuchtenden
Augen benannt. Das auffälligste Merkmal
des nachtaktiven Raubtieres ist jedoch sein
scharfer Gesichtssinn, der am ehesten aus-
schlaggebend für die Benennung war (so F.
Heidermanns, RGA² 19, 2).
Einen anderen, weniger wahrscheinlichen
etym. Anschluss erwägt Kuiper 1937: 107
Anm. 3. Er geht von einer Vorform *lu-n-k-
aus, einer nasalierten Form zur Wz. *leu̯H-
‚abschneiden‘ (LIV² 417), die u. a. in ai. lun-
ti ‚schneidet ab‘ (< *lu-neH-ti) fortgesetzt
ist. ‚Luchs‘ wäre danach das ‚reißende Tier‘.
Gr. λύγξ wurde ins Lat. als lynx über-
nommen, das wiederum die Basis für ahd.
linc (s. dort zu weiteren Entlehnungen in den
germ. Sprachen) und air. lince f. bildet.
Walde-Pokorny 2, 411 f.; Pokorny 690; Mayrhofer,
KEWA 3, 69. 106; ders., EWAia 2, 454 f. 476; Frisk,
Gr. et. Wb. 2, 141 f.; Chantraine, Dict. ét. gr. 648;
Beekes, Et. dict. of Gr. 1, 875 (λύγξ²); Ernout-Meil-
let, Dict. ét. lat.⁴ 374; Thes. ling. lat. 7, 2, 1947 f.;
Hübschmann, Arm. Gr. 1, 454; Martirosyan, Et. dict.
of Arm. 317—319; Trautmann, Balt.-Slav. Wb. 164; Et.
slov. jaz. staroslov. 787; Bezlaj, Et. slov. slov. jez. 3,
182 (rȋs¹); Snoj, Slov. et. slov.² 623; Vasmer, Russ.
et. Wb. 2, 557 f.; ders., Ėt. slov. russ. jaz. 3, 530 f.;
Schuster-Šewc, Hist.-et. Wb. d. Sorb. 1259 f.; Fraen-
kel, Lit. et. Wb. 392 f.; Smoczyński, Słow. et. jęz. lit.
366; Mühlenbach-Endzelin, Lett.-dt. Wb. 2, 520; Ka-
rulis, Latv. et. vārd. 1, 550; Trautmann, Apreuß. Spr.-
denkm. 372; Mažiulis, Apreuß. et. Wb. L-P 89 f.; To-
porov, Prusskij jazyk L 388 ff.; Hessens Ir. Lex. 2, 69.
81; Dict. of Irish L-158. 235. — W. Krause, NAWG
1961: 92 f.