lungaAWB f. ōn-St., Gl. in Neapel, IV G 68
(9./10. Jh.) und in weiteren Gl.: ‚Lunge; pul-
mo, molliz [lingua ignota, Hildeg.]‘ 〈Var.:
-c〉. — Mhd. lunge sw.f. ‚Lunge‘, frühnhd.
lunge f. ‚Lunge‘, aus der lungen reden ‚aus
dem hohlen Bauch reden‘, die lunge wä-
schen ‚tüchtig saufen‘, nhd. Lunge f. ‚Kör-
perorgan, das beim Menschen und den Luft
atmenden Wirbeltieren der Atmung dient‘.
Ahd. Wb. 5, 1408 f.; Splett, Ahd. Wb. 1, 572; Köbler,
Wb. d. ahd. Spr. 744; Schützeichel⁷ 209; Starck-Wells
389; Schützeichel, Glossenwortschatz 6, 190 f.; Berg-
mann-Stricker, Katalog Nr. 713; Graff 2, 231; Lexer
1, 1983; Frühnhd. Wb. 9, 1476 ff.; Diefenbach, Gl.
lat.-germ. 472 (pulmo); Dt. Wb. 12, 1303 f.; Kluge²¹
449 f.; Kluge²⁵ s. v. Lunge; Pfeifer, Et. Wb.² 817. —
HDA 5, 1455—1459; Riecke 2004: 2, 174—176.
In den anderen germ. Sprachen entsprechen:
as. lunga sw.f. ‚Lunge; pulmo‘ in Gl. 4,207,
66, (Trier, Hs. 61) ist nach Bergmann-Stri-
cker, Katalog Nr. 877 mfrk., mndd. lunge f.
‚Lunge‘; frühmndl. longhe f., mndl. longe f.,
nndl. long ‚Lunge‘; aisl. lunga n., pl. lungu
‚Lunge‘, nisl., fär. lunga, adän. lungæ, ndän.
lunge, nnorw. lunge, aschwed., nschwed. lun-
ga ‚Lunge‘: < urgerm. *lunōn-/(*lunan-).
Im Fries. und Ags. sind nur Ableitungen mit
dem Fortsetzer des Suff. urgerm. *-ini̯ō-/
*-uni̯ō- belegt (s. lungun): afries. lungen,
lungene, longene f., nwestfries. long, longe,
saterfries. lunge, nnordfries. lüngen; ae. lun-
gen, me. lŏnge, longen, long, ne. lung ‚Lun-
ge‘.
Fick 3 (Germ.)⁴ 360; Tiefenbach, As. Handwb. 252;
Lasch-Borchling, Mndd. Handwb. 2, 1, 872; Schiller-
Lübben, Mndd. Wb. 2, 749; VMNW s. v. longhe; Ver-
wijs-Verdam, Mndl. wb. 4, 752 ff.; Franck, Et. wb. d.
ndl. taal² 396; Suppl. 103; Vries, Ndls. et. wb. 410;
Et. wb. Ndl. Ke-R 255; Boutkan, OFris. et. dict. 247;
Hofmann-Popkema, Afries. Wb. 314; Richthofen,
Afries. Wb. 913; Fryske wb. 13, 14; Dijkstra, Friesch
Wb. 2, 133; Fort, Saterfries. Wb. 132; Sjölin, Et.
Handwb. d. Festlnordfries. XXXIII; Holthausen, Ae.
et. Wb. 207; Bosworth-Toller, AS Dict. 648; Suppl.
622; ME Dict. s. v. lŏnge n.; OED² s. v. lung n.; Vries,
Anord. et. Wb.² 268 f.; Jóhannesson, Isl. et. Wb.
751 f.; Fritzner, Ordb. o. d. g. norske sprog 2, 571;
Holthausen, Vgl. Wb. d. Awestnord. 186; Falk-Torp,
Norw.-dän. et. Wb. 663; Magnússon, Ísl. Orðsb. 584;
Nielsen, Dansk et. ordb. 268 f.; Ordb. o. d. danske
sprog 13, 96 ff.; Bjorvand, Våre arveord² 685; Torp,
Nynorsk et. ordb. 395 f.; NOB s. v. lunge; Hellquist,
Svensk et. ordb.³ 596; Svenska akad. ordb. s. v. lunga.
— Wilmanns [1906—30] 1967: 2, § 242; Krahe-Meid
1969: 3, § 101, 2; Seebold 1981: 294—296.
Urgerm. *lunōn-/(*lunan-) geht vielleicht
auf einen amphikinetischen n-St. uridg. nom.
*h₁léngu̯h-on (-ōn), gen. *h₁lgu̯h-n-és zur
Wz. uridg. *h₁lengu̯h- ‚sich mühelos bewe-
gen‘ zurück, wobei die Schwundstufe der
sw. Kasus verallgemeinert worden ist. Alter-
nativ kann aber auch ein sekundär zum n-St.
umgebautes Wz.nomen *h₁léngu̯h-s, gen.
*h₁lgu̯h-és angenommen werden. Die von
der Etym. nahegelegte Bed. ‚die sich mü-
helos Bewegende‘ > ‚die Leichte‘ (vgl. dazu
die Bed.entwicklung von gr. ἐλαφρός ‚leicht,
behend, schnell, gering‘, das etymologisch
ahd. lungar [s. d.] < urgerm. *lunra- ent-
spricht) ist aus dem Umgang mit Tierlungen
zu erklären: Beim Waschen der Eingeweide
geschlachteter Tiere ist die Lunge die Inne-
rei, die aufgrund der immer noch darin ein-
geschlossenen Luft(blasen) oben schwimmt;
vgl. dazu als semantische Parallelen ne.
lights ‚Tierlunge‘ zu light ‚leicht‘, port. leves
‚Lunge‘ zu leve leicht‘ etc.
Eine genaue Entsprechung der germ. Bil-
dungen in den anderen idg. Sprachen gibt es
nicht. Hinsichtlich der Bed. steht das Pl.tan-
tum aarm. lanǰkՙ -acՙ, -ōkՙ ‚Brust‘ nahe: Es
setzt wohl einen Nom.Du. fort, der zu einem
u-St. uridg. *h₁lgu̯h-u- (> gr. ἐλαχύς ‚leicht‘)
gehören kann: uridg. *h₁lgu̯h-u̯-ih₁. Dessen
Endung führte zu *-i̯a, was Palatalisierung
des wz.ausl. Tektals verursachte. Diese Form
wurde dann als Nom.Akk.Pl.n. reinterpre-
tiert (Olsen 1999: 65 f.). Auch eine Du.form
zu einem Wz.nomen ist möglich, die eben-
falls als Nom.Akk.Pl.n. reinterpretiert wor-
den sein müsste: uridg. *h₁lgu̯h-ih₁ + *-eh₂;
zum selben Ergebnis führt eine Ableitung
uridg. *h₁lgu̯h-i̯eh₂- (Martirosyan, Et. dict.
of Arm. 304. 714). Die Bed. des aarm. Wor-
tes dürfte urspr. ebenfalls ‚die Leichte‘ > ‚Lun-
ge‘ gewesen sein; wegen der beiden Lungen-
flügel ist der Ansatz eines alten Du. wahr-
scheinlich. Sekundär wurde das Wort dann
auf die die Lunge bedeckende Brust bezogen.
Dieselbe semantische Entwicklung wie ahd.
lunga und aarm. lanǰkՙ zeigt auch eine russ.
Sippe, die oft direkt mit dieser Gruppe
verknüpft wird; vgl. russ. lëgkoje n. ‚Lunge‘
zu russ. lëgkij ‚leicht‘, aksl. lьgъkъ ‚dss.‘ (<
urslaw. *liguka- als sekundäre Neubildung
einer Schwundstufe urslaw. *lig- für *g- ne-
ben der Vollstufe *leg-) etc. (vgl. u. a. Ber-
neker, Slav. et. Wb. 1, 753 f.; Vasmer, Russ.
et. Wb. 2, 24 f.; ders., Ėt. slov. russ. jaz. 2,
473 f. etc.). Diese slaw. Sippe weist ebenso
wie etwa urkelt. *legu-, lagu- ‚klein‘ > air.
kompar. laugu, laigiu ‚kleiner‘, mkymr. llaw
‚klein, traurig‘ auf eine Wz. uridg. *(h₁)legu̯(h)-
(vgl. Schrijver 1995: 302—305; Matasović,
Et. dict. of Proto-Celt. 236 f.; de Vaan, Et.
dict. of Lat. 336 etc.). Beide Wz. sind syn-
chron uridg. jedoch besser zu trennen.
Aufgrund der sehr nahen Bed. der beiden Wz. kann
nicht ausgeschlossen werden, dass es sich bei uridg.
*h₁lengu̯h- um eine sehr frühe sekundäre Neubildung
mit aus einem Nasalpräsens (?) verschleppten Nasal
zu uridg. *(h₁)legu̯(h)- handelt (vgl. dazu mit weiterer
Lit. NIL 244 Anm. 1).
Walde-Pokorny 2, 426; Pokorny 660 f.; LIV² 247 f.;
NIL 243 f.; Frisk, Gr. et. Wb. 1, 484 f.; Chantraine,
Dict. ét. gr. 333 f.; Beekes, Et. dict. of Gr. 1, 403 (ἐλα-
χύς); de Vaan, Et. dict. of Lat. 336 (levis); Hübsch-
mann, Arm. Gr. 451; Martirosyan, Et. dict. of Arm.
304. 308. 714; Berneker, Slav. et. Wb. 1, 753 f.; Et. slov.
jaz. staroslov. 447 f.; Vasmer, Russ. et. Wb. 2, 24 f.;
ders., Ėt. slov. russ. jaz. 2, 473 f.; Matasović, Et. dict.
of Proto-Celt. 236 f. — Olsen 1999: 65 f. 763. 773. 811.