mord m./n. a-St., seit dem 9. Jh., bei O,
M, LB, Gl. 2,352,38 (Hs. letztes Drittel des 9.
Jh.s, Zeit des Gl.eintrags unbekannt, obd.); 4,
649,32 (12. Jh.): ‚Mord, Totschlag, Hinrich-
tung, Tod, homicidium, mortuatus; Rotz [Pfer-
dekrankheit], malleus‘ 〈Var.: nom.sg. -th, -t〉.
– Mhd. mort n./m. ‚Mord, Missetat‘, frühnhd.
mord m./n. ‚Gewaltverbrechen, Tötung einer
Person‘, phras. der liegende mord ‚dem Gericht
als Tatbeweis vorliegender toter Körper‘, nhd.
Mord m. ‚vorsätzlicher, heimtückischer Tot-
schlag‘.
Ahd. Wb. 5, 801 f.; Splett, Ahd. Wb. 1, 632; Köbler, Wb.
d. ahd. Spr. 795; Schützeichel⁷ 227; Starck-Wells 421;
Schützeichel, Glossenwortschatz 6, 430; Bergmann-Stri-
cker, Katalog Nr. 856. 948; Seebold, ChWdW9 594.
1094; Graff 2, 855 f.; Lexer 1, 2204; Frühnhd. Wb. 9,
2817 ff.; Götz, Lat.-ahd.-nhd. Wb. 305 (homicidium); Dt.
Wb. 12, 2530 ff.; Kluge²¹ 487 f.; Kluge²⁵ s. v. Mord; Pfei-
fer, Et. Wb.² 889 f.
In den anderen germ. Sprachen entsprechen: as.
morth n. a-St. ‚Mord, Totschlag, Tod, Hinrich-
tung‘, mndd. mōrt m. (selten f.) ‚Mord, Mor-
den, Metzelei, Blutbad‘; andfrk. morth m./f.
‚Mord, Totschlag‘, mndl. mo(o)rt, mord, moirt
f./m. ‚Mord, Tod, Gemetzel, Missetat, Gräu-
eltat‘, nndl. moord m./f. ‚Mord, Totschlag‘;
afries. morth, mord n. ‚Mord, Totschlag, Fre-
veltat‘, nwestfries. moard ‚Mord‘, saterfries.
moort m. ‚dss.‘; ae. morđ n./m. a-St. ‚Mord,
Tod, Todsünde, Zerstörung‘; aisl. morð n. a-St.
‚Totschlag, Mord, Tod, Streit, Kampf‘, nisl.
morð ‚Mord, Totschlag‘, fär. morð ‚Mord‘, ndän.
mord n. ‚dss.‘, nnorw. mord ‚dss.‘, nschwed.
mord ‚dss.‘; langob. morth st.m. ‚Totschlag,
Mord‘: < urgerm. *murþa- m./n. a-St. ‚Mord,
Totschlag‘.
Daneben erscheint ein bedeutungsgleicher *-þra-
Stamm urgerm. *murþra- m./n. in got. maurþr
n. a-St. ‚Mord‘ und ae. morđor m./n. ‚Mord,
Gewalttat, Todsünde, Strafe, Qual, Elend‘, den
auch ahd. murd(i)ren sw.v. I ‚ermorden‘ (s. d.)
voraussetzt sowie entlehntes mlat. mordrum
‚Mord‘.
Im Gegensatz zu *slaχtō- (s. slahta²) bezeichnet
der Mord im Germ. den verheimlichten oder
heimtückischen Totschlag; vgl. RGA² 20, 238–
241. Die einmalig belegte Verwendung für die
Pferdekrankheit ‚Rotz‘, eine tödlich verlaufen-
de Bakterieninfektion mit Eiter in den Atem-
wegen oder unter der Haut, ist entweder eine
übertragene Bezeichnung eines gewaltsam her-
beigeführten Todes oder eines als dämonisch
gedachten Dahinraffens.
Fick 3 (Germ.)⁴ 311 f.; Kroonen, Et. dict. of Pgm. 378 f.;
Tiefenbach, As. Handwb. 279; Sehrt, Wb. z. Hel.² 395;
Berr, Et. Gl. to Hel. 286; Lasch-Borchling, Mndd. Hand-
wb. 2, 1, 1022 f.; Schiller-Lübben, Mndd. Wb. 3, 121 f.;
ONW s. v. morth; VMNW s. v. mort; Verwijs-Verdam,
Mndl. wb. 4, 1954 ff.; Franck, Et. wb. d. ndl. taal² 441;
Vries, Ndls. et. wb. 454; Et. wb. Ndl. Ke-R 379; Boutkan,
OFris. et. dict. 270; Hofmann-Popkema, Afries. Wb. 338;
Richthofen, Afries. Wb. 936; Fryske wb. 13, 328 f.; Dijk-
stra, Friesch Wb. 2, 170; Kramer, Seelter Wb. 147;
Holthausen, Ae. et. Wb. 226; Bosworth-Toller, AS Dict.
698; Suppl. 642; eOED s. v. morth; Vries, Anord. et. Wb.²
392; Jóhannesson, Isl. et. Wb. 669; Fritzner, Ordb. o. d.
g. norske sprog 2, 731; Holthausen, Vgl. Wb. d. Awest-
nord. 199; Magnússon, Ísl. Orðsb. 633; Falk-Torp,
Norw.-dän. et. Wb. 1, 730; Nielsen, Dansk et. ordb.
288 f.; Ordb. o. d. danske sprog 14, 351 f.; Bjorvand,
Våre arveord 615 ff.; Bjorvand, Våre arveord² 753 ff.;
Torp, Nynorsk et. ordb. 432 f.; NOB s. v. mord; Hellquist,
Svensk et. ordb.³ 1, 660; Svenska akad. ordb. s. v. mord;
Feist, Vgl. Wb. d. got. Spr. 351 f.; Lehmann, Gothic Et.
Dict. M-41; Bruckner, Spr. d. Langob. 209; Rhee, Die
germ. Wörter i. d. langob. Gesetzen 104; Kylstra, Lehn-
wörter 2, 273. – Bammesberger 1990: 78. 85 f.; Lühr
2000: 272; Schaffner 2001: 329; Casaretto 2004: 546.
Urgerm. *murþa- weist zunächst auf uridg.
*m-to-, d. h. ein substantiviertes Verbaladjek-
tiv, urgerm. *murþra- < uridg. *m-tro- hin-
gegen auf ein wurzelbetontes Nomen instru-
menti (zu diesem Typ vgl. Schaffner 2001: 177;
Neri 2011: 135). Für das Nebeneinander von
urgerm. *murþa- und *murþra- bieten sich
zwei Erklärungsmöglichkeiten an:
1. *murþra- ist ursprünglich und *murþa-
lautlich oder morphologisch daraus abgeleitet.
2. Es liegen zwei verschiedene, alte Bildungen
zugrunde.
Für *murþra- < uridg. *m-tro- als ursprüng-
liche Form spricht die Semantik: Ein Nomen
instrumenti mit Suffix *-tro- erklärt ‚Mord‘ als
das ‚wodurch man stirbt‘ (zu Nomina instru-
menti mit abstrakter Bed. vgl. ahd. maltar
‚Getreidemaß‘, lat. fābula ‚Geschichte‘ < *‚wo-
mit erzählt wird‘) zur Wz. *mer- (s. u.), wäh-
rend eine faktitive Bedeutung für *-tó-Ab-
leitungen untypisch ist. Zu erwarten wäre im
letzteren Fall eine resultative Bedeutung ‚tot‘
wie sie die *-tó-Bildungen zu dieser Wurzel
sonst zeigen: ai. mtá- ‚tot‘, jav. mәrәta- ‚ge-
storben, tot‘, aber auch gr. βροτός m./f. ‚sterb-
lich; Sterblicher‘ (mit regulärer Entwicklung
*#mr- > βρ-; vgl. im Inlaut ἄ-μβροτος ‚unsterb-
lich‘, danach mit wohl geneuerter Bedeutung
‚sterblich‘).
Für eine sekundäre Bildung *murþa- erwägt
Heidermanns apud Casaretto 2004: 546 eine
Rückbildung aus *murþra- durch Reanalyse
eines ra-Suffixes. Dagegen spricht, dass das
Suffix uridg. *-ro- Adj. bildet und im Germ.
kaum noch produktiv war. Alternativ könnte
der Schwund des zweiten r durch Resonanten-
dissimilation wie in urgerm. *fugla- zu *fleu̯-
ga- (s. fogal) oder gr. πέτρᾱ ‚Fels, Klippe; Höhle‘
< *pér-trah₂- erfolgt sein. Dabei bleibt aber das
Nebeneinander der Formen mit und ohne r im
Westgerm. unerklärt, und es sprechen weite-
re Beispiele wie ae. beorđar ‚Geburt‘, got.
hairþra ‚Eingeweide‘ gegen das Wirken einer
solchen Schwunddissimilation im Urgerm. (vgl.
Neri 2011: 161 f. ).
Sollten beide Bildungen alt sein, hat im Germ.
der Zusammenfall einer substantivierten *-tó-
Bildung und eines Nomen instrumenti mit Suf-
fix *-tro- stattgefunden. In anderen idg. Spra-
chen finden sich keine Spuren einer *-tro-Ab-
leitung zur selben Wurzel, häufig ist hingegen
ein ti-Stamm; vgl. ai. mti- f. ‚Tod‘, jav. mәrәiti-
f. ‚Tod, Sterben‘, lat. mors, mortis f. ‚Tod‘, lit.
mirtìs f. ‚dss.‘, aksl. -mrьtь f. ‚dss.‘: < uridg.
*m-tí- f. ‚Tod‘. Substantivische Dentalstäm-
me kommen sonst nur als Substantivierungen
des Verbaladj. mtó- vor (s. o.): arm. mard
‚Mensch‘, gr. βροτός m./f. ‚sterblich; Sterbli-
cher‘. Die Substantivierung kann optional Vddhi
zeigen: ai. márta- m. ‚Sterblicher, Mensch‘,
aav. marәta- m. ‚Sterblicher‘, mit Suffixerwei-
terung ai. mártiya- ‚Sterblicher; sterblich‘, aav.
jav. maiia- m. ‚Mensch‘ und jav. marәtan- m.
‚Sterblicher‘.
Einzelsprachlich belegte komplexere Suffixe beruhen auf
Kontaminationen mit Antonymen: ai. mtyú- m. ‚Tod,
Todesgott‘, aav., jav. mәrәθiiu- m. ‚Tod‘ sind durch Kreu-
zung des ti-St. mit dem tu-St. des Oppositums ai. jivtu-
‚Leben‘, aav. jiiatu- ‚dss.‘ entstanden; lat. mortuus ‚tot‘,
aksl. mrъtvъ ‚dss.‘ sind aus einer to-Bildung nach *-u̯o-
in lat. vīvus ‚lebendig‘, aksl. živъ ‚dss.‘ umgebildet (vgl.
NIL 489–491).
R. Schützeichel, FS Reiffenstein 1988: 21 f.
sieht die Bedeutung ‚Tod‘ für urgerm. *mur-
þ(r)a- als ursprünglich an, folgert das aber vor-
rangig aus den idg. Verwandten. Da jedoch die
außergerm. nicht belegte *-tro-Bildung auch
nicht als sekundär erklärbar ist und ‚Mord‘
überall als Hauptbedeutung belegt ist, bleibt es
am wahrscheinlichsten, diese als (vor)urgerm.
Ausgangspunkt anzunehmen und somit urgerm.
*murþra- < vorurgerm. *m-tro- als ursprüng-
liches Wort für ‚Mord‘ anzusehen. Die Fort-
setzer eines urgerm. *murþa- > ahd. mord etc.
sind dagegen entweder als Neuerungen nach
einer alten danebenstehenden, resultativen *-to-
Ableitung (mit Wurzelakzent durch Substanti-
vierung) in der Bed. ‚Tod‘, als Ergebnis später,
einzelsprachlicher Dissimilationen oder nach
dem Vorbild des Nebeneinanders von urgerm.
*-þra- und *-þa- in Paaren wie GN *Balðra- :
*balþa- ‚mutig‘ und *austa- : *austra- ‚Osten‘
zu verstehen (zu letzterem vgl. J. A. Harðarson,
Kratylos 53 [2008], 161 mit Anm. 13).
Die zugrunde liegende Wurzel *mer- ist in
der Bed. ‚sterben‘ im Idg. weit verbeitet: ved.
aor. ámta ‚ist gestorben‘, aksl. u-mrětъ ‚starb‘,
ai. mriyáte ‚stirbt‘, lat. morior ‚sterbe‘, aksl.
u-mьrjetъ ‚wird sterben‘. Die ältere Bed. ‚ver-
schwinden‘ zeigt heth. merta ‚verschwand,
ging verloren‘, marnu- ‚verschwinden lassen‘,
somit hat außeranatolisch eine Bed.verengung
von ‚verschwinden‘ über ‚hinschwinden‘ zu
‚sterben‘ stattgefunden, wobei die neue Bed.
die alte gänzlich verdrängt hat. Die Bed. ‚töten‘
kommt wie üblich nur dem Kaus. zu: ved.
māráyati ‚tötet‘, aksl. -morjǫ ‚töte‘. Verbale
Fortsetzer dieser Wz. fehlen im Germ. voll-
ständig, eine weitere Ableitung findet sich aber
vielleicht in ahd. mara ‚(Nacht-)Mahr‘ (s. d.)
und seinen germ. Verwandten.
Für die Bedeutung ‚gewaltsamer Tod‘ des germ. Wortes
‚Mord‘ könnte eine vorurgerm. Wz. der Bedeutung ‚ge-
waltsam töten‘ postuliert werden, die auf einen Zusam-
menfall von uridg. *mer- mit der Wz. *merh₂-‚gewaltsam
packen, zerdrücken‘ zurückgeht. Diese Wz. tritt in ahd.
maro ‚zart, zerbrechlich, welk, schlaff‘ (s. d.) auf; vgl. dazu
ai. mṇti ‚zermalmt‘, mṇáti ‚zermalmt; packt, raubt‘
(Semantik wegen Zusammenfall mit Wz. *melh₂- ‚mah-
len‘), gr. μάρναμαι ‚kämpfe‘, arm. maraínw ‚reibe auf, ver-
nichte‘, alb. merr ‚nimmt (an), ergreift, erhält‘, heth. med.
marritta, marrattari ‚wird zerkleinert‘, Iterativ aisl. merja
‚schlagen, zerschlagen‘. Doch lässt sich diese Annahme
nicht weiter stützen.
Walde-Pokorny 2, 276; Pokorny 735 f.; LIV² 439 f.;
NIL 488 ff.; Mayrhofer, KEWA 2, 674 f.; ders., EWAia
2, 318 f. 327 f. 371 f.; Bartholomae, Airan. Wb.² 1142.
1148 ff. 1172; Frisk, Gr. et. Wb. 1, 270 f.; Chantraine,
Dict. ét. gr.² 188 f.; Beekes, Et. dict. of Gr. 1, 242 f.; Wal-
de-Hofmann, Lat. et. Wb. 2, 112 f.; Ernout-Meillet, Dict.
ét. lat.⁴ 414 f.; de Vaan, Et. dict. of Lat. 389 f.; Niermeyer,
Med. Lat. lex.² 2, 918; Du Cange² 5, 524; Martirosyan,
Et. dict. of Arm. 452 f.; Derksen, Et. dict. of Slav. 342;
Vasmer, Russ. et. Wb. 2, 122 f.; Matasović, Et. dict. of
Proto-Celt. 259; Tischler, Heth. et. Gl. 6, 199 ff.; Kloek-
horst, Et. dict. of Hitt. 577 f.
S. mara.
UG