muolt(e)ra, mulhtra f. ō(n)-St., seit dem
10. Jh. in zahlreichen Gl.: ‚Trog, Mulde, Wan-
ne, Schüssel, Napf; alveolus, capisterium [=
scaphisterium], gallosa [= gal(l)eola]‘ 〈Var.:
multra, multera, multer〉. Das Wort ist aus lat.
mulctra ‚Melkfass, Melkkübel‘ (s. u.) entlehnt.
Ahd. mulhtra mit noch erhaltenem h als Laut-
verschiebungsprodukt aus rom. /k/ ist die ar-
chaischste Form. – Mhd. multer, muolter sw./
st.f. ‚Mulde‘, frühnhd. multer f. ‚meist läng-
liches, ausgehöhltes Gefäß für meist haus-
wirtschaftliche Zwecke‘, nhd. mdartl. bair.
mueltern f. ‚Mulde‘, kärnt. muolter, mualter f.
‚Mulde, Holzschüssel‘, tirol. muelter f. ‚längli-
che Schüssel aus Holz, Futtertrog, kesselartige
Talsenke‘, steir. multer f. ‚aus einem Stück ge-
schnitzte Holzmulde, Trog für Brot, Fleisch‘,
luxem. molter, muelter f. ‚Schüssel zum Kneten
von Teig‘, pfälz. multer m./f. ‚Trog‘, thür. mul-
ter f. ‚Mulde, flacher, ovaler Korb, aus Stroh
geflochtenes Backnest für frisch geformte Brot-
laibe, flache Vertiefung im Gelände‘, osächs.
multer f., selten m./n. ‚Back- und Schlachtge-
fäß, ovaler Korb, Form für runde oder lange
Brote, leichte Vertiefung im Gelände‘, schles.
multere ‚Backtrog‘.
Ahd. Wb. 6, 857 f.; Splett, Ahd. Wb. 1, 638; Köbler, Wb.
d. ahd. Spr. 801; Schützeichel⁷ 228; Starck-Wells 425;
Schützeichel, Glossenwortschatz 6, 459 f.; Graff 2, 727;
Lexer 1, 2226; 3, Nachtr. 323; Frühnhd. Wb. 9, 2917 ff.
(s. v. mulde); Diefenbach, Gl. lat.-germ. 97 (capisteri-
um). 257 (gallosa); Dt. Wb. 12, 2658 f.; Kluge²¹ 492 (s. v.
Mulde); Kluge²⁵ s. v. Mulde; Pfeifer, Et. Wb.² 896 (s. v.
Mulde). – Schmeller, Bayer. Wb.² 1, 1596; Lexer, Kärnt.
Wb. 193; Schöpf, Tirol. Id. 446; Schatz, Wb. d. tirol.
Mdaa. 2, 434; Unger-Khull, Steir. Wortschatz 468; Lu-
xemb. Wb. 3, 164; Christmann, Pfälz. Wb. 4, 1460 (mul-
ter²); Spangenberg, Thür. Wb. 4, 742 (Multer¹); Frings-
Große, Wb. d. obersächs. Mdaa. 3, 258; Mitzka, Schles.
Wb. 2, 903. – Müller-Frings 1966–68: 2, 331–333.
In andere germ. Sprachen wurde lat. mulctra
wohl ebenfalls entlehnt, dort finden sich in der
Bed., aber nicht in der Lautung nahestehen-
de Wörter, die etym. ahd. muolta, multa ‚Trog,
Wanne, Schüssel‘ (s. d.) genau entsprechen;
vgl. mndd. molde, molle ‚länglich ausgehöhltes
Holzgefäß, Milch- und Butterkübel, Backtrog‘;
mndl. moude, mouwe, molde ‚dss.‘, nndl. mouw
‚dss.‘ etc. Möglicherweise handelt es sich bei
diesen Wörtern um Fortsetzer der Vorform ur-
germ. *mulđ-an- m. von ae. molda, molde m./f.
‚oberer Teil des Kopfes, Scheitel‘, me. mōld(e),
mould(e) ‚dss.‘, ne. mo(u)ld ‚oberer Teil des
Kopfes, Fontanelle‘ etc. (Holthausen, Ae. et.
Wb. 225; Bosworth-Toller, AS Dict. 695; Suppl.
641; eMED s. v. mōld[e] n.²; eOED s. v. mould/
mold n.²) mit der auch sonst (z. B. bei ahd. kopf
‚Gefäß, Schüssel, [Hinter-]Kopf‘ [s. d.]) an-
zutreffenden Bedeutungsvariation ‚Kopf‘ ↔
‚Schüssel, Gefäß‘, die zur Gänze in ihrer Bed.
mit dem nur im Ahd. noch als eigenständige
Entlehnung greifbaren Fortsetzer von lat. mulc-
tra ‚Melkfass, Melkkübel‘ zusammengefallen
sind. Zu urgerm. *mulđ-an- m. bzw. °-ōn- f. (<
uridg. *mh₃dh-e/on-) können dann ai. mūrdhán-
n. ‚Haupt, Kopf, Stirn, Gipfel, Spitze‘ (eben-
falls < uridg. *mh₃dh-e/on-) (Mayrhofer, KEWA
2, 666; ders., EWAia 2, 368) und gr. βλωθρός
‚hochgewachsen‘ (< uridg. *mh₃dh-ró-) gestellt
werden (Frisk, Gr. et. Wb. 1, 246; Chantraine,
Dict. ét. gr.² 173 [zweifelnd]; Beekes, Et. dict.
of Gr. 1, 223, der ein vorgr. Lehnwort an-
nimmt). Entweder rechnet man mit verschie-
denen Entlehnungsprozessen aus diversen Sub-
straten in mehreren Sprachzweigen oder man
nimmt aufgrund der ungewöhnlichen Wur-
zelstruktur ein ursprüngliches Komp. mit ur-
idg. *dheh₁- im HG an; das VG enthielte dann
die Verbalwz. uridg. *melh₃- ‚hervorkommen‘
(LIV² 433 f.; fortgesetzt auch in gr. βλώσκω ‚ge-
he, komme‘ [< uridg. *mh₃-sk̂e/o-]): Ausge-
hend von uridg. *mh₃-dhh₁- könnten einer-
seits die germ. und ai. Formen weitergebildet
und im Gr. eine Neowurzel urgr. *mlōth- ab-
strahiert worden sein. Die Bedeutungsent-
wicklung bleibt aber schwierig: Aus ‚Hervor-
gesetztes‘ > ‚aufragend‘ ließen sich die be-
zeugten Bed. im Ai. und Germ. einerseits und
im Gr. andererseits ableiten.
Lasch-Borchling, Mndd. Handwb. 2, 1, 1008; Schiller-
Lübben, Mndd. Wb. 3, 112 f.; Verwijs-Verdam, Mndl.
wb. 4, 1988 ff.; Vries, Ndls. et. wb. 457 (mouw).
Lat. mulctra f. ‚Melkfass, Melkkübel‘ wird nur
vereinzelt in den rom. Sprachen fortgesetzt;
vgl. grödner. moutra ‚Wanne, Trog‘, dazu Ab-
leitungen wie friaul. multrin ‚Ort, wo Schafe
gemolken werden‘.
Das lat. Wort setzt eine Bildung urit., viel-
leicht bereits vorurit. *h₂mĝ-tro- zur Wz. ur-
idg. *h₂melĝ- ‚melken‘ fort (Weiteres s. mel-
kan), woneben das Verb lat. mulgēre ‚melken‘
steht. Das Suff. uridg. *-tro- dient in erster Li-
nie zur Bildung von Nomina instrumenti.
Walde-Pokorny 2, 298 f.; Pokorny 722 f.; LIV² 279; Wal-
de-Hofmann, Lat. et. Wb. 2, 121 (s. v. mulgeō); Ernout-
Meillet, Dict. ét. lat.⁴ 418; de Vaan, Et. dict. of Lat. 393;
Thes. ling. lat. 8, 1565 f.; Körting, Lat.-rom. Wb.³ Nr.
6350; Meyer-Lübke, Rom. et. Wb.³ Nr. 5727.
S. muolta.
HB