murzilingûn adv., in Gl. 2,113,72–114,
3 (in 6 Hss., 10.–12. Jh.): ‚ganz und gar, los-
gelöst, abgeschnitten; absolute‘. Das Adv. ist
ein versteinerter Dat.Pl. zu einer Ableitung auf
-iling (s. d.) zu einem nicht belegten ahd.
*murz. – Das Grundwort des abgeleiteten Adv.
ist fortgesetzt in mhd. murzes adv. gen.sg.
‚gänzlich, bis aufs letzte Stück‘ zu murz st.m.
‚Stummel, kurzes, abgeschnittenes Stück‘, früh-
nhd. murz ‚glatt weg‘, nhd. dial. tirol. murz- in
murzlār ‚ganz leer‘ etc., bair. (frk.) murz-
ab, murzauseinander ‚ganz und gar, entzwei‘,
rhein. murz adv. ‚sofort, schnell, bald, kürz-
lich‘, schweiz. murz adv. ‚gänzlich‘, z’murz
verrīben u. ä. ‚zu Staub, ganz und gar zer-
reiben‘, als Ableitungen schweiz. vermürzen
‚mullen, locker werden‘, schwäb. murz adv.
‚ganz‘, vorarlb. murtsch adv. ‚ganz, voll-
ständig‘, hess. murzeln ‚kurz und ungeschickt
mit einem stumpfen Gerät abschneiden‘, west-
f. murzkàld ‚sehr kalt‘, schles. murds adv.
‚sehr‘, Murz ‚Speckschwarte‘ (< *‚abgeschnit-
tenes Stück‘), murzig adv. ‚vollends‘. In Dial.
mit Übergang -u- > -o- kommt es bisweilen zur
Vermengung mit der verstärkenden Pkl. bzw.
dem KVG nhd. ugs. mords ‚sehr, viel, groß‘
(z. B. Mordslüge ‚unglaubliche Lüge‘) < gen.
sg. Mord(e)s (s. mord). Zugehörig ist auch ndd.
murt ‚das klein Zerriebene‘, murten ‚zerrei-
ben, zerstoßen‘.
Ahd. Wb. 6, 924; Splett, Ahd. Wb. 1, 646; Köbler, Wb. d.
ahd. Spr. 806; Schützeichel⁷ 231; Starck-Wells 427;
Schützeichel, Glossenwortschatz 6, 477; Graff 2, 861;
Lexer 1, 2255; Dt. Wb. 12, 2728. – Schweiz. Id. 4, 433;
Stalder, Versuch eines schweiz. Id. 2, 221 (vermürzen);
Fischer, Schwäb. Wb. 4, 1824 f.; 6, 2 Nachtr. 2620; Jutz,
Vorarlberg. Wb. 2, 471 f.; Schmeller, Bayer. Wb.² 1,
1658; Lexer, Kärnt. Wb. 194; Schöpf, Tirol. Id. 452;
Schatz, Wb. d. tirol. Mdaa. 2, 435; Müller, Rhein. Wb. 5,
1429; Vilmar, Id. von Kurhessen 276; Berthold, Hessen-
nassau. Volkswb. 2, 395; Spangenberg, Thür. Wb. 4, 756;
Mitzka, Schles. Wb. 2, 906. 908; Woeste, Wb. d. westf.
Mda. 180.
In den anderen germ. Sprachen gibt es keine
sicheren Entsprechungen Es kommen letztlich
Fortsetzer von urgerm. *murt° oder vielleicht
auch urgerm. *murχt° in Frage: Ostfries. murt
‚bröckelige Masse, Gries, Staub‘ (lt. Dt. Wb.
12, 2728) geht entweder mit ahd. murz auf
urgerm. *murta- zurück, oder es zeigt sekun-
däre Auslautverhärtung einer zur unten ge-
nannten Sippe um urgerm. *murđa- gehörigen
Form, der es semantisch ohnehin näher steht.
Möglicherweise zugehörig sind aisl. murti,
murtr m. ‚kleiner Fisch‘, nisl. murtur ‚kurz, ab-
gestumpft, kleiner Fisch‘, fär. murtur, nnorw.
dial. murt ‚kleiner Fisch, Forelle‘, mort ‚Weiß-
fisch‘, nschwed. mört ‚Weißfisch‘. In diesem
Fall wäre die Grundbedeutung für diesen Fisch
,der Kurze‘. Doch können die nordgerm. Wör-
ter auch auf urgerm *murχta/i- < vorurgerm.
*mg/k-tó/í- zurückgehen (es kommen dann Wz.
der Struktur uridg. *[H]merg(u̯)/ĝ/k(u̯)/k̂- in Be-
tracht).
Aus der nordgerm. Fischbez. ist wohl ne. mort
‚junger Lachs, Seeforelle‘ entlehnt, auch wenn
hier ein anderer Fisch bezeichnet wird.
Die in älteren Etymologika öfter angeführte
Verbindung mit aisl. morð ‚Menge‘, dän. mor
‚Ablagerung von Pflanzenstoffen auf der Erde‘,
aschwed. morþ, schwed., dän. dial. mor(d)
‚bröckelige Masse, Abfall‘, norw. mord ‚Men-
ge, großer Fang‘ liegt zwar semantisch nahe, ist
aber aufgrund des abweichenden Dentals (ur-
germ. *-đ- < uridg. *-dh- oder *-t[ó]-) abzuleh-
nen. Die letztgenannten Formen dürften eher
auf urgerm. *murđa- < vorurgerm *m-tó- zu-
rückgehen und zu uridg. *mer- ‚verschwinden,
sterben‘ gehören. Die urspr. Bed. wäre hier ‚Ab-
gestorbenes‘ > ‚Ablagerung‘ > ‚bröckelige Mas-
se‘ > ‚Masse, Menge‘ gewesen. Aufgrund der
lautlichen und semantischen Nähe kann es zur
Vermischung beider Etyma gekommen sein.
Die Zugehörigkeit von ält. nndl. mors, murs
adv. ‚sofort, plötzlich‘, vor allem in dem Komp.
nndl. morsdood ‚mausetot‘ bleibt unsicher, zu-
mal die Formen allgemein aus jüngerer Zeit
stammen. Nndl. mors gehört entweder zu nhd.
morsch oder ist daraus entlehnt. Auch eine
studentensprachliche Entstehung und Eindeu-
tung von lat. mors ‚Tod‘ wäre denkbar.
Fick 3 (Germ.)⁴ 311; Franck, Et. wb. d. ndl. taal² 443;
Vries, Ndls. et. wb. 455; Et. wb. Ndl. Ke-R 383; eOED
s. v. mort n.³; Vries, Anord. et. Wb.² 392 f. (morð²). 396;
Jóhannesson, Isl. et. Wb. 670 f.; Fritzner, Ordb. o. d. g.
norske sprog 2, 731; Magnússon, Ísl. Orðsb. 633 (morð²).
643 (s. v. murta¹); Falk-Torp, Norw.-dän. et. Wb. 1, 730
(mor²). 733; Nielsen, Dansk et. ordb. 288; Bjorvand, Vå-
re arveord² 758; Torp, Nynorsk et. ordb. 433. 440; NOB
s. v. mort; Hellquist, Svensk et. ordb.³ 1, 685; Svenska
akad. ordb. s. v. mört.
Urgerm. *murta- geht wohl auf uridg. *h₂md-
o- zurück, eine Bildung zur Wurzel uridg.
*h₂merd- ‚ein Leid antun, misshandeln‘ (z. B.
in lat. mordeō ‚beiße‘ < uridg. *h₂mord-éi̯e/o-),
einzelsprachlich dann auch ‚zerreiben, zerdrü-
cken‘ (eine Herleitung aus einer frühen Dental-
erweiterung zur Wz. uridg. *mer- ‚verschwin-
den, sterben‘ [s. mord], wie in der älteren For-
schung vorgeschlagen, ist dagegen nicht über-
zeugend, weil dafür positive Evidenz und
Parallelen fehlen). Schwundstufig-thematische
Bildungen dieser Art sind freilich selten. Unter
Umständen handelt es sich um eine Rückbil-
dung zu einem nicht mehr bezeugten i̯e/o-Verb.
Innerhalb des Germ. steht die Sippe um ahd.
smerzan ‚schmerzen‘ (s. d.) am nächsten. Diese
zeigt innergerm. sekundär angetretenes s-mo-
bile.
Walde-Pokorny 2, 278; Pokorny 736 f.; LIV² 280; Wal-
de-Hofmann, Lat. et. Wb. 2, 111 f.; Ernout-Meillet, Dict.
ét. lat.⁴ 414; de Vaan, Et. dict. of Lat. 389.
HB