nâen
Band VI, Spalte 742
Symbol XML-Datei TEI Symbol PDF-Datei PDF Zitat-Symbol Zitieren

nâen sw.v. I, im T, OT und seit dem
9. Jh. in Gl.: ‚nähen, flicken, ausbessern, spin-
nen; assuere, cusare, filare, findere, nēre,
sarcireVar.: nag-, nah-, nauu-, nai(g)-, ne-,
neg-, nei-, new-. – Mhd. næjen, md. nêjen,
kontrahiert næn, md. nên ‚nähen, steppen, sti-
cken, zusammenheften‘ (Nebenformen nægen,
nêgen, næwen, nêwen, neigen, naien), nhd.
nähen sw.v. ‚(Stoff-)Teile mit Nadel und Faden
zusammenfügen, schneidern‘.

Ahd. Wb. 6, 979 f.; Splett, Ahd. Wb. 1, 651; Köb-
ler, Wb. d. ahd. Spr. 809; Schützeichel⁷ 232; Starck-
Wells 429; Schützeichel, Glossenwortschatz 7, 8; See-
bold, ChWdW9 607. 1096; Graff 2, 997; Lexer 2, 29 f.; 3,
Nachtr. 329; Diefenbach, Gl. lat.-germ. 56 (assuere). 379
(nere). 512 (sarcire); Götz, Lat.-ahd.-nhd. Wb. 59 (as-
suere); Dt. Wb. 13, 292 ff.; Kluge²¹ 501 f.; Kluge²⁵ s. v.
nähen; Pfeifer, Et. Wb.² 909. – Braune-Reiffenstein 2004:
§ 359 Anm. 3; K. Matzel, HS 100 (1987), 162 f.

In den anderen germ. Sprachen entsprechen:
mndd. neyen, nēgen sw.v. ‚nähen, durch Nähen
herstellen‘; frühmndl. nayen sw.v. ‚nähen, mit
einer Nadel zusammenfügen oder befestigen‘,
mndl. naeyen sw.v. ‚dss.‘, nndl. naaien sw.v.
‚mit Nadel und Faden arbeiten‘; afries. naia
sw.v. ‚nähen‘, nwestfries. naaie sw.v. ‚dss.‘,
nnordfries. naie ‚schlagen, stoßen‘: < urgerm.
*-e/a-. Aus nndl. naaien sind ndän. naie
‚durch Ziehen befestigen‘ und nschwed. naja
‚mit Garn festbinden‘ (ca. 1790) entlehnt (vgl.
Törnqvist 1977: 73). Die westgerm. Verben zei-
gen den bei Verba pura regelmäßigen Über-
gang in die erste sw. Klasse (vgl. Krahe-Meid
1969: 3, § 185, 1).

Fick 3 (Germ.)⁴ 288; Kroonen, Et. dict. of Pgm. 385 f.;
Lasch-Borchling, Mndd. Handwb. 2, 1, 1084; Schiller-
Lübben, Mndd. Wb. 3, 170; VMNW s. v. nayen; Ver-
wijs-Verdam, Mndl. wb. 4, 2086 f.; Franck, Et. wb. d.
ndl. taal² 449; Vries, Ndls. et. wb. 461; Et. wb. Ndl. Ke-
R 399; Hofmann-Popkema, Afries. Wb. 342; Fryske
wb. 14, 40 f.; Dijkstra, Friesch Wb. 2, 185; Sjölin, Et.
Handwb. d. Festlnordfries. 137; Falk-Torp, Norw.-dän.
et. Wb. 1, 753; Ordb. o. d. danske sprog 14, 862; Hell-
quist, Svensk et. ordb.³ 1, 689; Svenska akad. ordb. s. v.
naja.

Urgerm. *-e/a- geht auf die Vollstufe des
Wurzelpräs. uridg. *(s)neh₁-/*(s)h₁- ‚spinnen‘
zurück. Sie liegt noch in gr. νέω ‚spinne‘, lat.
neō ‚spinne, webe‘, air. sníid ‚winden, spinnen,
um etw. kämpfen‘, mkymr. nyđu ‚spinnen, win-
den, drehen‘, mbret. nezaff ‚spinnen, drehen‘
und mkorn. nedha ‚spinnen‘ vor.

Wenig beweiskräftig ist für den Ansatz des s-mobile
im Gr. die äol. Form ἔννη (3.sg.aor.): Sie erscheint erst
im 3. Jh. n. Chr. bei dem Grammatiker Herodian (Über
die Orthographie 3. 2, 507, 20) als mögliche orthographi-
sche Var. zu ἔνη. Ob diese tatsächlich sprachwirklich und
damit äol. war, bleibt unklar, da es sich auch um eine or-
thographische Übertragung aus dem bei Homer bezeug-
ten äol. Verbaladj. εὐ-ννήτους (akk.pl.m.) ‚schön gespon-
nen‘ (Hom. Il. 18, 596) handeln könnte. Das νν in gr. äol.
εὔ-ννητος ist hingegen eindeutig ein Fortsetzer des er-
erbten *sn- im Wortanlaut der Wz. uridg. *(s)neh₁-. Ge-
läufiger ist im Gr. aber das nach Verben wie πλήθω ‚bin
voll‘ neben dem Aor. ἔπλητο und dem semantisch nahen
κλώθω ‚spinne‘ umgebildete Verb νήθω ‚spinne‘.

Da ai. snāyate ‚umwindet, bekleidet‘ nur in
einem Zitat aus dem Mahābhārata bei Sāyaṇa
belegt ist, ist der etymologische Anschluss un-
sicher (vgl. P. Tedesco, GS Kretschmer 1957:
187 Anm. 11). Weiterhin bleibt lett. snāt ‚lo-
cker zusammendrehen, spinnen‘ aufgrund des
ā, das ein urbalt. *ā voraussetzt, fern.
Die Wurzel liegt mit -Erweiterung uridg.
*(s)neh₁- noch im Balto-Slaw. vor: lit. nýtys f.
‚Weberkamm‘, lett. nĩts f. ‚Teil des Webstuhls‘,
russ. nit’ f. ‚Faden‘, poln. nić f. ‚Faden‘, osorb.
nić f. ‚dss.‘, ndsorb. niś f. ‚Faden, Zwirn‘ und
polab. nait f. ‚dss.‘. Sie setzen einen f. ti-St. mit
schwundstufiger Wz. und Laryngalmetathese
fort: < vorurbalto-slaw. *(s)nih₁-ti-.

Die balt. Nomina sind aufgrund der Intonation nicht
aus dem Slaw. entlehnt (vgl. Trautmann, Balt.-Slav. Wb.
199). Für weitere direkte Entsprechungen zu diesen
Nomina im Slaw. vgl. Vasmer, Russ. et. Wb. 2, 221 f.

Entgegen Pokorny 973 ist die Wz. *(s)nih₁-
nicht in ai. nīvi- f. ‚um die Hüfte geschlagenes
Tuch‘ bezeugt, da ein Suffix -vi- sowohl se-
mantisch als auch morphologisch unklar blie-
be. Vielmehr gehört das wohl mit ni- kom-
ponierte Wort zu yav- ‚festbinden‘.

Walde-Pokorny 2, 694 f.; Pokorny 973; LIV² 571 f.;
Mayrhofer, KEWA 3, 534; ders., EWAia 2, 771; Frisk,
Gr. et. Wb. 1, 311 f.; Chantraine, Dict. ét. gr.² 721; Bee-
kes, Et. dict. of Gr. 2, 1013; Walde-Hofmann, Lat. et. Wb.
2, 159 f.; Ernout-Meillet, Dict. ét. lat.⁴ 437; de Vaan,
Et. dict. of Lat. 405; Trautmann, Balt.-Slav. Wb. 199;
Trubačëv, Ėt. slov. slav. jaz. 25, 130 ff.; Bezlaj, Et. slov.
slov. jez. 3, 279 f.; Snoj, Slov. et. slov.² 447; Vasmer,
Russ. et. Wb. 2, 221 f.; ders., Ėt. slov. russ. jaz. 3, 76;
Schuster-Šewc, Hist.-et. Wb. d. Sorb. 1001; Olesch, Thes.
ling. drav.-polab. 1, 641 f.; Derksen, Et. dict. of Balt.
335 f. 544 f.; Fraenkel, Lit. et. Wb. 1, 505; ALEW 2, 705;
Mühlenbach-Endzelin, Lett.-dt. Wb. 3, 974 f.; Karulis,
Latv. et. vārd. 1, 629; Fick 2 (Kelt.)⁴ 315 f.; Holder, Acelt.
Spr. 1594 f.; Matasović, Et. dict. of Proto-Celt. 350;
Schumacher, Kelt. Primärverb. 598 ff.; Vendryes, Lex.
ét. de l’irl. anc. S-151; Dict. of Irish S-302 f.; Dict. of
Welsh 3, 2603; Deshayes, Dict. ét. du bret. 537.

S. nâdala.

LS


___________________

Information

Band VI, Spalte 742

Zur Druckfassung
Zitat-Symbol Zitieren
Symbol XML-Datei Download (TEI)
Symbol PDF-Datei Download (PDF)

Lemma:
Referenziert in: