nefo
Band VI, Spalte 856
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nefo m. an-St., Gl. in St. Gallen 876 (8./
9. Jh.) und in weiteren Gl., NBo, NMC und TC:
‚Enkel, Verwandter, Nachkomme; cognatus, ne-
niz [lingua ignota, Hildg.], nepos, (pronepos),
sobrinusVar.: -v-, -u-, -b-; -e. Inlautendes f
wird meist <v, u> geschrieben, -b- in neb[o] (o
radiert) im SH 1,120,65 (Erlangen, Ms. 396,
Ende des 13. Jh.s) ist nur eine graphische Var.
und nicht Reflex des grammatischen Wechsels.
– Mhd. nëve, md. nëbe sw.m. ‚Neffe, Mut-
terbruder, Onkel, Enkel, Verwandter, Vetter‘,
in Anredeformeln des Königs/Kaisers gegen-
über geistlichen Kurfürsten lieber neve, früh-
nhd. nefe ‚dss.‘, nhd. Neffe m. ‚Sohn von jmds.
Schwester, Bruder, Schwägerin oder Schwager‘.

Ahd. Wb. 6, 1089 f.; Splett, Ahd. Wb. 1, 661; Köbler,
Wb. d. ahd. Spr. 816 f.; Schützeichel⁷ 234; Starck-Wells
436; Schützeichel, Glossenwortschatz 7, 41 f.; Bergmann-
Stricker, Katalog Nr. 247; Seebold, ChWdW9 615. 1096;
Graff 2, 1052; Lexer 2, 61; 3, Nachtr. 330; Diefenbach,
Gl. lat.-germ. 378 (nepos). 464 (pronepos); Götz, Lat.-
ahd.-nhd. Wb. 427 (nepos); Dt. Wb. 13, 519 f.; Kluge²¹
506; Kluge²⁵ s. v. Neffe; Pfeifer, Et. Wb.² 915. – DRW 9,
1414 ff. – Braune-Reiffenstein 2004: § 139.

In den anderen germ. Sprachen entsprechen ge-
nau: as. nevo m. ‚Enkel, Neffe‘, mndd. nēve m.
‚Bruder- oder Schwestersohn, Blutsverwand-
ter‘; frühmndl., mndl. neve m. ‚Neffe, männli-
cher Verwandter, bester Freund‘, nndl. neef m.
‚dss.‘; afries. neva m. ‚Neffe, Sohn des Bruders
oder der Schwester‘, nwestfries. neef m. ‚Nef-
fe‘; ae. nefa m. ‚Neffe, Enkel, Stiefsohn‘, me.
nēve m. ‚Neffe, Enkel, Nachfahre‘, ne. neve
‚Neffe, Enkel‘ (heute außer Gebrauch); aisl.,
nisl. nefi m. ‚Neffe, Verwandter‘, fär. nefa m.
‚dss.‘: < urgerm. *nef-an-.
Neben dem ererbten Wort erscheint im Me.
das aus dem Anglonorm. entlehnte neveu ‚Nef-
fe‘, das von ne. nephew ‚dss.‘ fortgesetzt wird
(Wartburg, Frz. et. Wb. 7, 96).

Fick 3 (Germ.)⁴ 292; Kroonen, Et. dict. of Pgm. 386; Tie-
fenbach, As. Handwb. 288; Wadstein, Kl. as. Spr.denkm.
211; Lasch-Borchling, Mndd. Handwb. 2, 1, 1096; VMNW
s. v. neve; Verwijs-Verdam, Mndl. wb. 4, 2396 ff.; Franck,
Et. wb. d. ndl. taal² 453; Suppl. 114; Vries, Ndls. et. wb.
465; Et. wb. Ndl. Ke-R 411f.; Hofmann-Popkema, Afries.
Wb. 351; Richthofen, Afries. Wb. 949; Fryske wb. 14, 93 f.;
Dijkstra, Friesch Wb. 2, 189; Holthausen, Ae. et. Wb. 233;
Bosworth-Toller, AS Dict. 713; Suppl. 649; eMED s. vv.
neve n.¹, neveu n.; Klein, Compr. et. dict. of the Engl. lang.
2, 1039; eOED s. vv. nephew n., †neve n.¹; Vries, Anord.
et. Wb.² 406; Jóhannesson, Isl. et. Wb. 691; Holthausen,
Vgl. Wb. d. Awestnord. 208; Magnússon, Ísl. Orðsb. 662.

Bei urgerm. *nef-an- handelt es sich um einen
sekundären n-St., eine Umbildung, die vom
Nom. ausgeht.: Der ererbte urgerm. Nom. *nefōs
ist aufgrund der Seltenheit eines solchen Aus-
ganges im Nom. zu *nefō, dem Nom. der weit
verbreiteten n-St., umgeformt worden (vgl. G.
Klingenschmitt, KS Klingenschmitt 2005: 442;
Lühr 2000: 75; Lipp 2009: 1, 68 Fn. 185). Zu ei-
nem vergleichbaren Übergang zu den n-St. s.
auch ahd. mâno.

Die Umgestaltung des Nom. geht auf eine Analogie zu
den Paradigmen der n- und i-Stämme zurück, deren Nom.
ebenfalls auf *-ō endete: Akk.Sg. *-on- und *-o- ne-
ben Nom.Sg. *-ō (vgl. Schaffner 2005: 68).
Der zuletzt von Thöny 2013: 240 f. und Kroonen, Et. dict.
of Pgm. 386 angenommene Nominativausgang vorur-
germ. *-ōt und der damit verbundene lautgesetzliche
Schwund des auslautenden Dentals beruhen auf der An-
nahme, dass die Lex Szemerényi (VRS# > V̄́R#) auch bei
t wirkt oder eine Art asigmatischer Nom. vorliegt. Da-
gegen sprechen jedoch die einzelsprachlichen Fortsetzer
lat. nepōs und av. napā̊ (s. u.). Bei der Annahme wäre
v. a. die Erklärung von lat. nepōs schwierig: uridg. *nepōt
hätte lautgesetzlich zu lat. *nepō geführt, was eher einen
Übertritt zu den n-St. erwarten lässt als eine Neuerung
des Nom. zu -ōs. Der Nom. ai. nápāt könnte hingegen
auf einer sekundären Restitution des t-St. im Ai. beru-
hen (Vijūnas 2009: 172). Wörter wie gr. φώς m. ‚Mann‘
und δώς m. ‚Gabe‘ weisen aber eindeutig auf einen No-
minativausgang *-ōts. Szemerényi selbst setzt bei uridg.
*népōts die zu erwartende Lautentwicklung zu nepōs an
(Szemerényi 1977: 48).

Vorurgerm. *nepōs geht auf einen uridg. akro-
dynamischen t-St. *nép-ōt-s/*nép-t-os zurück
(zu diesem Flexionstyp vgl. Neri 2003: 39 f.),
der in den meisten idg. Sprachen direkte
Entsprechungen hat: ai. nápāt- m. ‚Abkömm-
ling, Enkel‘, jav. napāt- m. ‚Enkel‘, mpers.
nap- ‚dss.‘; alit. nepúotis m. ‚Enkel, Neffe’; air.
nia m. ‚Neffe, Schwestersohn‘, mkymr. nei m.
‚Cousin, Neffe‘, kymr. nai ‚Neffe‘, abret. nith,
mbret. nyz ‚dss.‘, akorn. noi ‚dss.‘. Unklar bleibt,
ob alb. nip ‚Enkel, Neffe‘ eine Entlehnung aus
dem Balkanspätlat. ist oder den idg. t-St. fort-
führt (Schaffner 2005: 68 f.).

Da in keiner idg. Sprache eine schwundstufige Wz. be-
zeugt ist, der Akzent aber in den entsprechenden Spra-
chen stets auf der Wurzelsilbe erscheint, ist die Annah-
me eines amphidynamischen Akzentparadigmas (so J.
Schindler, ZVSp 89 [1975], 61; Szemerényi 1977: 48;
Rieken 1999: 93; NIL 521 Fn. 1) unwahrscheinlich.

Stellt sich gr. νέποδες ‚Nachfahre‘ zu uridg.
*nép-ō-s/*nép-t-os, müsste das Paradigma, aus-
gehend vom Nom. urgr. *nepōs, in Analogie zu
gr. πῶς, ποδός ‚Fuß‘ zu *νέπως, νέποδος umge-
staltet sein. Der sw. St. uridg. *nép-t- erscheint
außerdem in dem nur bei Logographen belegten
u-St. nom.pl. νέπτυες ‚Nachfahren‘ (Aristoph.
Nomina aetatum 280, 7).

Die Bedeutung von gr. νέποδες wurde bereits bei den
byzantinischen Grammatikern vielfach diskutiert. Diese
Unsicherheit basiert auf der Homerstelle, an der das Wort
belegt ist: (Hom. Od. 4, 404 f.) ἀμφὶ δέ μιν φῶκαι νέποδες
καλῆς Ἁλοσύδνης | ἁθρόαι εὕδουσιν ‚Um ihn herum ver-
sammelt schliefen aber die Robben, νέποδες der schönen
Halosydne‘. Dass hier νέποδες mit ‚Nachfahren‘ zu über-
setzen ist, erweisen v. a. die übrigen vorchristlichen Be-
lege, die νέποδες allesamt in der Bedeutung ‚Nachfah-
re‘ gebrauchen (so etwa Cleon, Fragm. 1, 2). Erst nach-
christlich erscheint im Rahmen der Homerdiskussion die
Bed. ‚fußlos‘ (so erstmals erwähnt bei Apion, Fragm.
77n). Dass es sich hierbei um eine nachträgliche Inter-
pretation der Homerstelle handelt, zeigt einerseits, dass
die Bedeutung ‚fußlos‘ nur in Deutungen dieser Homer-
stelle erscheint, und andererseits, dass eine Bestimmung
des νέ- als Negationspräfix unzutreffend ist, da das Ne-
gationspräf. uridg. *- einzelsprachlich i. d. R. schwund-
stufig fortgesetzt ist (vgl. Rieken 1999: 92 Fn. 431).

Von dem m. t-St. uridg. *nép-ōt-s/*nép-t-os
ist bereits im Uridg. eine o-Ableitung gebil-
det worden: uridg. *nept-io-, die ksl. netii m.,
aruss. netijъ m. ‚Neffe‘ und lit. neptìs m. ‚Nef-
fe‘ fortsetzen. Hierher gehört auch gr. -νεψιός
m. ‚Schwestersohn‘, dessen α möglicherweise
auf das zu uridg. *en ‚in‘ gehörige schwund-
stufige * zurückgeht und mit Bildungen des
Typs gr. -καρος ‚Gehirn‘ vergleichbar ist; zu
gr. -καρος vgl. Nussbaum 1986: 72 f.

Lautlich nicht möglich ist die Bestimmung des α in
-νεψιός als uridg. *s- (so etwa Rieken 1999: 93), da
diese Lautverbindung zu einer Behauchung des Wur-
zelanlauts hätte führen müssen. Eine Analogie zu gr.
ἀδελφός, wie Risch 1974: § 41d sie annimmt, bleibt un-
motiviert.
Bei lit. neptìs könnte auch eine einzelsprachliche Neu-
bildung zu dem Femininum vorliegen (s. nift).

Walde-Pokorny 2, 764 f.; Pokorny 764; NIL 520 ff.; Mayr-
hofer, KEWA 2, 11 f.; ders., EWAia 2, 132 f.; Bartholo-
mae, Airan. Wb.² 1039; Frisk, Gr. et. Wb. 1, 307 f.; Chan-
traine, Dict. ét. gr.² 719; Beekes, Et. dict. of Gr. 2, 1010;
Walde-Hofmann, Lat. et. Wb. 2, 161; Ernout-Meillet, Dict.
ét. lat.⁴ 437 f.; de Vaan, Et. dict. of Lat. 405; Wartburg,
Frz. et. Wb. 7, 94 f.; Demiraj, Alb. Et. 301 f.; Orel, Alb.
et. dict. 300; Trautmann, Balt.-Slav. Wb. 196; Trubačëv,
Ėt. slov. slav. jaz. 25, 133; Derksen, Et. dict. of Slav.
350 f.; Vasmer, Russ. et. Wb. 2, 215 f.; ders., Ėt. slov.
russ. jaz. 3, 67 f.; Fraenkel, Lit. et. Wb. 1, 494; ALEW 2,
695 f.; Smoczyński, Słow. et. jęz. lit. 420; Fick 2 (Kelt.)⁴
190; Holder, Acelt. Spr. 2, 715; Matasović, Et. dict. of
Proto-Celt. 287 f.; Hessens Ir. Lex. 2, 151; Vendryes,
Lex. ét. de l’irl. anc. N-15; Dict. of Irish N-43; Dict. of
Welsh 3, 2549 ff.; Deshayes, Dict. ét. du bret. 538.

S. nift.

LS

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