-nessi, -nassi, -nissi, -nussi suff. n., auch
f. -nissa, -nissî, -nessî. Im Ahd. begegnet in
einigen Fällen zudem die ebenfalls Abstrak-
ta bezeichnende Erweiterung -niss-ida, -nuss-
ida. – Mhd. -nisse, -nis, -nüsse, -nus, frühnhd.
-nus(s), -nis(s), nhd. -nis n. Das Suff. bildet
urspr. deverbale Abstrakta, später auch deno-
minale. Sekundär können solche Abstrakta in
jüngeren Perioden des Dt. dann auch in Kon-
kreta übergehen; vgl. nhd. Zeugnis ‚Bezeu-
gung, Dokument, in dem eine Bewertung steht‘,
Gefängnis ‚Ort, wo Gefangene verwahrt wer-
den‘ etc.
Splett, Ahd. Wb. 2, 331 ff.; Kluge²⁵ s. v. -nis. – Wil-
manns [1906–30] 1967: 2, §§ 269–272; Henzen 1965:
§ 114; Dt. Wortb. 2, 88 f. 224–226. 242–253 passim;
255 f. 270 f. 290 f. 427 f.; Bergmann 1991: 197 (-niss-
ida, -nuss-ida). 215 f. (-nissa). 234 f. (-nissî, -nessî, -nas-
sî). 276 f. (-nissi, -nessi); Klein-Solms-Wegera 2009:
105–110.
Im Westgerm., bes. im Dt., zeigt das Suff. eine
große Formenvielfalt; dort entsprechen: as.
-nissi, -nissea, -nessi, -nussi, mndd. -nisse,
-nesse, -nüsse; andfrk. -nussi, -nissi, mndl.
-nisse, -nesse, -nis, nndl. -(e)nis; afries. -nisse,
nwestfries. -nis, obs. -nisse; ae. -nise, -niss,
me. -ness(e), -nys(se), -nis(se), ne. -ness: <
westgerm. *-(i)nassi̯e/a-, *-(i)nussi̯e/a-, *-(i)nis-
si̯e/a-.
Die nordgerm. Sprachen haben dieses Suff.-
konglomerat nicht ausgebildet, dorthin gelangt
es nur sekundär in Lehnwörtern bes. aus dem
engl. Sprachraum (vgl. etwa nschwed. business
‚Geschäft[sbeziehung]‘).
Die Entstehung des Suff. lässt sich am besten
am Got. verfolgen, wo ein eng verwandtes, v. a.
deverbale Abstrakta bildendes Suff.konglome-
rat, got. -inassus, -nassus m. vorliegt. Hierbei
handelt es sich eigtl. um das Suff.konglomerat
urgerm. *-assu- (dazu s. u.), das an n-haltige
Basen angetreten ist, bes. an denominale Ver-
ben auf got. -inon (got. horinon sw.v. II ‚ehe-
brechen‘ : got. horinassus m. ‚Ehebruch‘) (s.
-inôn). Diese Verben haben selbst wiederum
ihren Ursprung in ōn-Ableitungen zu alten n-
St., so dass zumindest im Got. synchron auch
eine Bildung direkt zu solchen n-St. erfolgt ist
(got. frauja, -ins m. ‚Herr‘ : got. fraujinon sw.
v. II ‚herrschen‘ : got. fraujinassus* m. ‚Herr-
schaft‘). Vereinzelte primäre Ableitungen mit
dem Suff. got. -assu- von nicht-n-haltigen
Basen (got. ufar-assus ‚Überfluss‘) oder zu na-
stämmigen Basen (got. ibnassus m. ‚Gleichheit,
Billigkeit‘ : got. ibns ‚gleich, flach‘, sw. adj.
got. ibna ‚eben‘) haben selten Entsprechungen
im Westgerm.; vgl. ae. efnes, emnes f. ‚Gleich-
heit, Gerechtigkeit‘ (Bosworth-Toller, AS Dict.
242), as. efnissi f. ‚Grund‘ (Tiefenbach, As.
Handwb. 65).
Im Westgerm. wurde der alte (urgerm.?) m. u-
St. zu einem n. i̯a-St. umgebaut, sekundär konn-
ten dazu auch verschiedene f. Formen (i̯ō-St.,
īn-St.) gebildet werden. Der im Got. noch recht
deutlich sichtbare Zusammenhang mit n-hal-
tigen Basen ist im Westgerm. nicht mehr greif-
bar, das Suff.konglomerat *-(i)nVssi̯V- ist be-
reits eine völlig frei verwendbare Einheit. Hin-
zu kommen Schwankungen im Vokalismus, die
vielleicht einfach auf der im Germ. auch sonst
zu beobachtenden Tendenz zur weitgehenden
Austauschbarkeit der Suff.vokale -a-, -i-, -u-
beruhen, z.T. aber vielleicht auch noch ererbt
sein können; dann setzen sie urgerm. *-assu-/
*-issu-/*-ussu- < vorurgerm. *-ad-tu-/*-id-tu-/
*-ud-tu- fort (s. u.).
Vries, Ndls. et. wb. 474; Et. wb. Ndl. Ke-R 426 f.; Fryske
wb. 14, 186; Klein, Compr. et. dict. of the Engl. lang. 2,
1041; eOED s. v. -ness suff. – Kluge 1926: §§ 124. 137–
139; Krahe-Meid 1969: 3, § 125; Neri 2003: 308 f.; Ca-
saretto 2004: 533–538. bes. 534 f.
Beim Suffix urgerm. *-assu- handelt es sich
um tu-Abstrakta zu den Verben auf urgerm.
*-at-i̯e/a- > ahd. -azzen (s. d.) (< vorurgerm.
*-h₂-[a]d-i̯e/o-?). Deren Grundlage sind (oft im
Germ. nicht mehr greifbare) nominale d-Er-
weiterungen (so etwa got. knussjan ‚auf die
Knie fallen‘ < urgerm. *knu-d-i̯e/a- zu *knussu-
‚das Knien‘ < urgerm. *knu-d-tu- zu uridg. *ĝé-
nu n., *ĝnu- ‚Knie‘). Diese paarigen Bildungen
haben Entsprechungen im Gr. (allerdings mit
abweichendem f. Genus < vorurgr. *-tu-h₂-);
vgl. ἀσπάζομαι ‚grüße‘ (< urgr. *-ad-i̯e/o-) : ἀσ-
παστύς f. ‚Gruß‘ (< vorurgr. *-ad-tu-). Daneben
zeigt das Gr. auch Formen, die Bildungen zu
St. auf (vor)urgr. *-id- fortsetzen; vgl. κιθαρί-
ζω ‚spiele Zither‘ (< urgr. *-id-i̯e/o-) : κιθαρισ-
τύς f. ‚Zitherspiel‘ (< vorurgr. *-id-tu-). Diese
können weitgehend den Bildungen auf urgerm.
*-(i)n-issi̯e/a- entsprechen. Die germ. Formen
sind möglicherweise aber auch innergerm. Neu-
erungen.
Nächstverwandt können den gr. Bildungen sol-
che im Kelt. sein, wo ein Suff.konglomerat ur-
kelt. *-assu-/*-issu- nachweisbar ist, das aber,
anders als die germ. und gr. Ableitungen, eher
denominal verwendet wird. Zudem kann das
kelt. Suff.konglomerat auch urkelt. *-as-tu-/
*-is-tu- fortsetzen, also letztlich aus einer tu-
Ableitung zu s-St. entstanden sein.
Schwyzer, Gr. Gramm.² 1, 506 f.; Risch 1974: 40 f.; Chan-
traine [1933] 1979: 290–292; de Bernardo Stempel 1999:
269 f. 419–422.
HB