niusen sw.v. I, im Abr (1,214,3 [Kb,
Ra]. 214,5 [Kb]) und im H: ‚sich bemühen, ver-
suchen; niti‘. Bei dem Wort ist ahd. -h- in der
Verbindung -hs- durch Assimilation ausgefal-
len; vgl. Braune-Reiffenstein 2004: § 154 Anm.
5. – Mhd. niusen, niesen sw.v. ‚versuchen, er-
proben‘, frühnhd. neusen sw.v. ‚(naschend) ver-
suchen‘, nhd. mdartl. schweiz. neusen, auch
nausen (mit unklarem Vokalismus) sw.v. ‚aus
Neugier oder Naschhaftigkeit in etw. herum-
schnüffeln, gern naschen‘, els. nausen sw.v.
‚auswählen, durchstöbern‘, bad. nausen, näu-
sen sw.v. ‚in etw. heimlich herumstöbern, na-
schen, schlecken‘, schwäb. neusen sw.v. ‚na-
schen, merken, wittern‘, mit dimin. l-Suffix
ohess. näuseln, nauseln ‚wählerisch sein im
Essen und Trinken‘, hess.-nassau., thür. neu-
seln sw.v. ‚unlustig und wählerisch essen‘.
Ahd. Wb. 6, 1294; Splett, Ahd. Wb. 1, 673; Köbler, Wb.
d. ahd. Spr. 828; Schützeichel⁷ 239; Starck-Wells 442;
Schützeichel, Glossenwortschatz 7, 111; Bergmann-Stri-
cker, Katalog Nr. 253. 298 (I); Seebold, ChWdW8 223;
ders., ChWdW9 626; Graff 2, 1104; Lexer 2, 9; Dt. Wb.
13, 687. – Schweiz. Id. 4, 803 (s. v. nausen); Stalder,
Versuch eines schweiz. Id. 2, 233; Martin-Lienhart, Wb.
d. els. Mdaa. 1, 786; Ochs, Bad. Wb. 3, 40 f.; Fischer,
Schwäb. Wb. 4, 2018 f.; 6, 2 Nachtr. 2680; Crecelius,
Oberhess. Wb. 624; Berthold, Hessen-nassau. Volkswb.
2, 457; Spangenberg, Thür. Wb. 4, 870.
Das ahd. sw. Verb hat in allen drei germ.
Sprachzweigen Entsprechungen: as. niusian
sw.v. I ‚herausfinden‘; ae. nēosian sw.v. ‚he-
rausfinden, untersuchen, ausfindig machen, be-
sichtigen, besuchen, angreifen‘; aisl., nisl. nýsa
‚untersuchen, spähen‘ (daneben mit unetymo-
logischem h nisl. hnýsa ‚dss.‘), ndän. dial.
nystre ‚untersuchen‘ (mit dial. Präsenserwei-
terung), nschwed. dial. nysa ut ‚herausfinden‘;
got. bi-niuhsjan sw.v. ‚auskundschaften‘: < ur-
germ. *neu̯χs-ii̯e/a- ‚versuchen, untersuchen‘.
Die westgerm. und nordgerm. Belege zeigen
den Schwund des im Got. noch bewahrten inl.
h, der urspr. nur im t-Prät. eingetreten ist (näm-
lich in der Gruppe *-χst-) und von dort aus im
gesamten Paradigma verallgemeinert wurde
(Lühr 2000: 196). Wie bei sw. jan-Verben im
Westgerm. üblich, erscheint daneben im As. ein
Verb der zweiten sw. Klasse as. niuson ‚einen
Versuch machen‘ (vgl. Krahe-Meid 1969: 3,
§ 183, 1). Im Mndl. wird hingegen das sw. Verb
nur indirekt durch das Abstraktnomen mndl.
nies m. ‚Versuchung‘ belegt. Zum Nebenei-
nander der Bed. ‚versuchen‘ und ‚untersuchen‘
vgl. lat. experior ‚versuche, probiere, unter-
suche‘.
Bereits urgerm. Alters ist hingegen das Ver-
balabstraktum got. niuhseins f. i-St. ‚Heimsu-
chung‘ mit seinen nordgerm. Entsprechun-
gen aisl., nisl., fär. njósn f. ‚Nachricht, Neuig-
keit‘, ndän. nys ‚Neuigkeit‘, nnorw. nyss ‚dss.‘,
nschwed. nys ‚Nachricht, Neuigkeit‘ (vgl. Ca-
saretto 2004: 357): < urgerm. *neu̯χs-īni-. Im
Aisl. ist von dem Subst. noch das Verb njósna
sw.v. ‚spähen‘ abgeleitet (~ nisl., fär. njósna
sw.v. ‚spähen‘). Bei den Subst. handelt es sich
um ein Nomen rei actae, dessen Grundbed. sich
von ‚durch Versuchen Erreichtes‘ zu ‚Nach-
richt, Neuigkeit‘ entwickelt hat (vgl. lat. ex-
perientia ‚Probe, Versuch‘ neben ‚Erfahrung,
Erfolg‘).
Fick 3 (Germ.)⁴ 299; Kroonen, Et. dict. of Pgm. 389;
Tiefenbach, As. Handwb. 292; Sehrt, Wb. z. Hel.² 415;
Berr, Et. Gl. to Hel. 300; Verwijs-Verdam, Mndl. wb. 4,
2394; Holthausen, Ae. et. Wb. 234; Bosworth-Toller, AS
Dict. 715; Suppl. 649; Vries, Anord. et. Wb.² 410. 413;
Jóhannesson, Isl. et. Wb. 688; Fritzner, Ordb. o. d. g. nor-
ske sprog 2, 826. 843; Holthausen, Vgl. Wb. d. Awest-
nord. 210. 212; Magnússon, Ísl. Orðsb. 355. 671. 678;
Nielsen, Dansk et. ordb. 305; Ordb. o. d. danske sprog
15, 49; NOB s. v. nyss; Hellquist, Svensk et. ordb.³ 1, 711;
Svenska akad. ordb. s. vv. nys, nysa ut; Feist, Vgl. Wb. d.
got. Spr. 93; Lehmann, Gothic Et. Dict. B-71. – Lühr
1982: 690 f.; Riecke 1996: 666.
Die Wz. urgerm. *neu̯χs- hat nur im Slaw.
Entsprechungen: russ. njúchat’ ‚schnüffeln, rie-
chen, umherspüren‘, ukrain. njúchaty ‚dss.‘,
bulg. njúškam ‚rieche, berieche‘, serb., kroat.
njȕšiti ‚riechen‘, tschech. če-nichat ‚riechen,
schnüffeln‘, poln. niuchać ‚riechen, schnupfen
(Tabak)‘, osorb. nuchać ‚riechen‘, ndsorb. nu-
chaś ‚dss.‘. Da normalerweise die konkretere
Bed. die Grundbed. ist, dürfte uridg. *neu̯k/k̂s-
‚schnüffeln, riechen (tr.)‘ bezeichnen, was sich
im Germ. zu ‚probieren, versuchen‘ weiterent-
wickelte (vgl. ähnlich lat. odōror ‚rieche‘ neben
‚spüre auf, erforsche, trachte nach‘).
Eine umgekehrte Bed.entwicklung (‚versuchen‘ > ‚rie-
chen, schnüffeln‘) bliebe ohne semantische Parallelen.
Aufgrund der zahlreichen Zusatzannahmen ist die bei
Vasmer, Russ. et. Wb. 2, 234 alternativ vorgeschlagene
Trennung der slaw. Wörter vom Germ. und der in-
nerslaw. Anschluss an die Wortsippe von russ. uchát’
‚riechen, schnüffeln, umherspüren‘ unwahrscheinlich.
Denn das anl. nj der slaw. Belege müsste dann aus ei-
ner falsch reanalysierten präfigierten Form, wie bei-
spielsweise russ. snjúchat’ ‚herausschnüffeln‘, umgebil-
det sein und die Palatalisierung des Nasals wäre als
expressive Palatalisierung aufzufassen. Des Weiteren
müssten der bulg. und der poln. Beleg auf innerslaw.
Entlehnung (aus dem Serb. einerseits und aus dem Ost-
slaw. andererseits) beruhen.
Walde-Pokorny 2, 325; Pokorny 1, 768 f.; Trubačëv, Ėt.
slov. slav. jaz. 25, 157 f.; Vasmer, Russ. et. Wb. 2, 234; 3,
196; ders., Ėt. slov. russ. jaz. 3, 93; Schuster-Šewc, Hist.-
et. Wb. d. Sorb. 1025.
MK/LS