orrahano* m. n-St., nur in Gl. 3,25,47
(Cgm. 649, kurz vor dem 6. August 1468 in
Augsburg eingetragen, obd.). 27,19 (2 Hss.,
Cgm. 649 [s. o.] und Clm. 11481, spätes 14. Jh.,
Zeit der Eintragung der Gl. unbekannt, obd.):
‚ein wildlebender Hühnervogel, Auerhahn; or-
nix, ortygometra‘ (Tetrao urogallus) 〈Var.:
err- (? vgl. die Angabe bei StSGl 3, 27 Anm.
3), or-〉. Das Wort ist ein Komp. aus orra-
und -hano (s. hano). – Mhd. orhan sw.m. ‚Au-
erhahn‘. Im Nhd. ist das Wort durch die Kon-
tinuante von ahd. ûrhano (s. d.) verdrängt. Zum
Verhältnis beider Formen s.u.
Ahd. Wb. 7, 119; Splett, Ahd. Wb. 1, 688; Köbler, Wb. d.
ahd. Spr. 847; Schützeichel⁷ 246; Starck-Wells 452;
Schützeichel, Glossenwortschatz 7, 206 f. (der hier mit
aufgeführte Beleg hurhano ist zu streichen); Bergmann-
Stricker, Katalog Nr. 441. 554; Graff 4, 959; Lexer 2,
2004; Diefenbach, Gl. lat.-germ. 226 f. (fascianus). 401
(ornix, ortygometra); Dt. Wb. 1, 602; 24, 2434; Kluge²¹
36; Kluge²⁵ s. v. Auerhahn; Pfeifer, Et. Wb.² 73 f. –
Suolahti [1909] 2000: 248–251; Gröger 1911: § 8, 3b [S.
24]; Neuß 1973: 161–163; RGA² 1, 476.
Das KVG ahd. orra- hat lediglich im Nord-
germ. Entsprechungen: aisl., nisl., fär. orri
m. ‚Birkhahn‘, ndän. orre, nnorw. orre ‚Birk-
hahn, Birkhuhn‘, aschwed., nschwed. orre
‚dss.‘ (nschwed. dial. auch urr[e]): < urgerm.
*urran-. Als KVG erscheint das Wort u. a. in
den Komp. nnorw. orrfugl, orrhane, orrhøne,
aschwed. orhani, orhöns, nschwed. orrhane,
orrhöna, orrhöns, alle mit der Bed. ‚Birkhahn,
Birkhuhn‘.
Davon abgeleitet sind die fem. Bildungen
nschwed. dial. ynn ‚Birkhuhn‘ und nnorw. (nn.)
yrkne ‚dss.‘, die auf *urnī- bzw. *urnii̯ōn- (mit
Entwicklung von *-rn- > *-rtn- > -rkn-) weisen.
Neben der Var. mit Langvokal, die in ahd. ûr-
hano (s. d.; dort auch zu den Entsprechungen
in den anderen germ. Sprachen) belegt ist und
auf urgerm. *ūran- (s. ûro) zurückgeht, er-
scheint in den germ. Sprachen noch eine weite-
re Form in dem KVG andfrk. wuorhenna f.
‚weiblicher Fasan‘ (einmal belegt in ornicem.
worhenna [akk.sg.], a. 1151–1200), frühmndl.
woerhoen n. ‚Fasan‘ (ein Beleg <vor honre>,
a. 1276–1300), mndl. woerhane (neben woer-
haen) ‚dss.‘, woerhinne ‚Wachtel‘, worhoen (ne-
ben worhoen) ‚Fasan‘, nndl. woerhaan ‚dss.‘,
woerhen ‚weiblicher Fasan‘; ae. wōrhana m.
‚Auerhahn, Fasan‘ (das Wort glossiert lat. fa-
sianus ‚Fasan‘), wōrhen(n) f. ‚Teichhuhn, weib-
licher Fasan‘ (?; das Wort glossiert einmal das
unklare lat. Lemma cracinus) < urgerm. *u̯ōr-.
Da das KVG auch als Simplex vorkommt, liegt
die Annahme nahe, dass dieses Wort die urspr.
Bez. des Vogels war, das sekundär verdeutlicht
wurde. Wegen der weiteren Etym. liegt die
Vermutung nahe, dass das auffällige Balzver-
halten des Auerhahns die Grundlage für die
Bez. gewesen ist.
Die drei Formen urgerm. *urran-, *ūr- und
*u̯ōr- sind wohl nicht sämtlich miteinander
etym. vereinbar.
Fick 3 (Germ.)⁴ 32; Kroonen, Et. dict. of Pgm. 561 f.;
ONW s. v. wuorhenna; VMNW s. v. woerhoen; Verwijs-
Verdam, Mndl. wb. 9, 2746; Franck, Et. wb. d. ndl. taal²
801; Vries, Ndls. et. wb. 845; Et. wb. Ndl. S-Z 632 f.;
Holthausen, Ae. et. Wb. 405; Bosworth-Toller, AS Dict.
1266; Vries, Anord. et. Wb.² 420; Jóhannesson, Isl. et.
Wb. 71; Fritzner, Ordb. o. d. g. norske sprog 2, 913; Holt-
hausen, Vgl. Wb. d. Awestnord. 217; Magnússon, Ísl.
Orðsb. 694; Nielsen, Dansk et. ordb. 481; Ordb. o. d.
danske sprog 15, 1299; Bjorvand, Våre arveord² 839 ff.;
Torp, Nynorsk et. ordb. 478; NOB s. vv. orre, orrfugl,
orrhane, orrhøne, (nn.) yrkne; Hellquist, Svensk et.
ordb.³ 2, 737; Svenska akad. ordb. s. v. orre. – E. Hell-
quist, ANF 3 (1891), 28; Ch. H. Whitman, JEGPh 2
(1898), 185; Müller 1970: 235 f.; Schaffner 2001: 548;
Mottausch 2011: 63.
Für urgerm. *urran- gibt es mehrere mögliche
Anbindungen:
1. Herkunft (mit Assimilation von *-rz- > *-rr-)
aus *urzan- < uridg. *(h₁)s-én- ‚männlich,
männliches Tier‘, das u. a. Fortsetzungen in jav.
aršan- m. ‚Mann, Männchen‘ (vgl. auch aav.
aršnauuaitīš f. [für *aršənuuaitīš] ‚mit Hengs-
ten versehen [Stute]‘ < *h₁s--u̯t-ih₂ [mit
ar- durch jav. Einfluss]; vgl. Narten 1982: 44
Fn. 65), apers. /šan-/ in PN (vgl. <ariyarša>
für ariya-šan-); gr. lesb., kret., ion. ἔρσην, -εν
‚männlich‘, dor. εἰρήν, ἴρην ‚erwachsener Jüng-
ling‘, arm. aṙn ‚wilder Widder‘ hat; das Wort
stellt sich vermutlich zu der Verbalwz. uridg.
*h₁ers- ‚fließen‘ (dazu vgl. LIV² 241) (über ei-
ne Zwischenstufe ‚Samen ergießen‘), weniger
wahrscheinlich (mit Scarlata 1999: 527 Fn.
729) zu ai. ṣvá- ‚hoch‘;
2. Abstammung (gleichfalls mit Assimilation
von *-rz- > *-rr-) von *urzan- < uridg. *(h₂)urs-
én-, das unter Annahme einer analogischen
Resyllabifizierung zu *(h₂)u̯s-en- ‚männlich,
männliches Tier‘, u. a. fortgesetzt in ai. vṣan-
‚männlich, mannhaft, stark, männliches Tier‘,
lat. verrēs, -is m. ‚Eber‘, gehört; das Wort ist
wohl mit der Verbalwz. uridg. *h₂u̯ers- ‚reg-
nen‘ (dazu vgl. LIV² 291 f.) zu verbinden, we-
niger wahrscheinlich (so A. Sihler, Sprache 23
[1977], 36 f. Fn. 2; u. a. gefolgt von Scarlata
1999: 527 Fn. 729; Kümmel 2000: 475 ff.) mit
uridg. *u̯ers- ‚sich erheben‘ (vgl. LIV² 691);
3. Herleitung (worauf S. Neri [mündlich] hin-
weist) (mit laryngalbedingter Gemination) <
uridg. *h₂urh₁-én-, das unter Annahme einer
analogischen Resyllabifizierung zur Wz. uridg.
*h₂u̯erh₁- ‚besprengen‘ gehört (zur Wz. vgl.
Neri 2011: 183 f. Fn. 29); vgl. uridg. *h₂u̯h₁-én-
> gr. ἀρήν, ἀρνός m./f. ‚Lamm‘.
Nur an die Wurzel uridg. *h₂u̯erh₁- ‚bespren-
gen‘ ist auch urgerm. *u̯ōr- < *h₂u̯ōrh₁-ó- (eine
Vddhibildung) anschließbar, da bei den an-
deren Wz. eine Folge *-V̄rs- schon im Uridg.
nach Osthoffs Gesetz zu *-Vrs- gekürzt worden
wäre.
Urgerm. *ūr- ist möglicherweise davon zu tren-
nen. In diesem Fall läge die Wz. uridg. *u̯eh₁-
‚nass sein‘ zugrunde (s. zu Weiterem ûro). Da-
gegen schlägt S. Neri (mündlich) als Möglich-
keit eine Analogie nach dem Wort für ‚Kuh‘ –
urgerm. *k[u̯]ō- : *k[u̯]ū- = *u̯ōr- : X → X =
*ūr- – vor.
Wegen diesen semantisch gut motivierbaren
Anschlüssen ist die von Bjorvand, Våre arve-
ord² 840 f., vorgenommene etym. Verknüpfung
von urgerm. *urran- mit urgerm. *erzii̯a- ‚zor-
nig, irre‘ (s. irri) aufzugeben.
Unbeweisbar ist Kroonens (Et. dict. of Pgm.
561) Ansatz „*ueHursen-“ und „*uHrsen-“.
Walde-Pokorny 1, 149 ff. 268 f.; Pokorny 80 f. 336 f.;
NIL 584 ff. 722 ff.; Mayrhofer, KEWA 3, 251; ders.,
EWAia 2, 575 f.; Rastorgueva-Ėdelman, Et. dict. Iran.
lang. 1, 227 f.; Bartholomae, Airan. Wb.² 203. 205 f.;
Frisk, Gr. et. Wb. 1, 137 f. 152 f. 567; Chantraine, Dict.
ét. gr.² 103 f. 111. 358. 1273; Beekes, Et. dict. of Gr. 1,
129. 141; Walde-Hofmann, Lat. et. Wb. 2, 761; Ernout-
Meillet, Dict. ét. lat.⁴ 724; de Vaan, Et. dict. of Lat. 666;
Martirosyan, Et. dict. of Arm. 111 f. – M. Peters, FS Rix
1993: 373–405; B. Vine, JIES 33 (2005), 262 ff.; I.
Balles, FS Nussbaum 2007: 15–24; T. Pronk, HS 122
(2009), 170–181.
S. ûrhano.
RS