ôsen sw.v. I, seit dem 10. Jh. in Gl.:
‚verwüsten, verderben, verheeren, zerstören; de-
vastare, diripere, populari‘ 〈Var.: ho-, io-〉. –
Mhd. œsen, ôsen sw.v. ‚veröden, verwüsten‘.
Daneben steht im Mhd. ein gleichlautendes
Verb œsen, ôsen sw.v. ‚leer machen, ausschöp-
fen‘ (in Lexer 2, 174 f. unter einem Lemma zu-
sammengefasst), das jedoch eine andere Her-
kunft hat. Es ist aus mndd. ȫsen (neben oesen,
oͤsen) ‚schöpfen, ausschöpfen‘ entlehnt und be-
ruht auf urgerm. *au̯sōi̯e/a- ‚schöpfen‘, eine de-
verbale Ableitung zu urgerm. *au̯se/a- ‚schöp-
fen‘ (vgl. Seebold, Germ. st. Verben 85).
Ob nhd. dial. bair. ösen (auch er-, aus-, neben
ösigen, auch ab-, aus-, ver-) ‚leer machen, auf-
brauchen, erschöpfen‘ zu ahd. ôsen oder mhd.
œsen, ôsen ,leer machen, ausschöpfen‘ gehört,
kann nicht geklärt werden. Die Bed. spricht
eher für die Zugehörigkeit zu mhd. œsen, ôsen
sw.v. ‚leer machen, ausschöpfen‘.
Ahd. Wb. 7, 128; Splett, Ahd. Wb. 1, 689; Köbler, Wb. d.
ahd. Spr. 848; Schützeichel⁷ 246; Starck-Wells 453;
Schützeichel, Glossenwortschatz 7, 213; Graff 1, 151;
Lexer 2, 174 f.; Dt. Wb. 1, 923; 3, 935; 13, 1369; Klu-
ge²⁵ s. v. ösen. – Schmeller, Bayer. Wb.² 1, 164.– Lasch-
Borchling, Mndd. Handwb. 2, 1, 1195; Schiller-Lübben,
Mndd. Wb. 3, 243. – Schatz 1907: § 74 (S. 82); Riecke
1996: 251 f.; Bailey 1997: 1, 388.
Wie das Nebeneinander von ahd. ôdî f. und ôsî
f. ‚Verwüstung‘ und auch die Schreibungen ô-
sâri neben ôdsâri m. ‚Verwüster‘ zeigen, stellt
sich ahd. ôsen zur Wortgruppe um ahd. ôdi
‚öde, leer, verlassen‘ (s. d.; auch zur weite-
ren Etym.). Voraus geht eine Bildung vorahd.
*ōđ-s-ii̯e/a-, die mit Assimilation von *-đs- >
*-ss- über *ōssen das ahd. ôsen ergab.
Ahd. ôsen hat eine Entsprechung in dem ein-
mal bezeugten Verb ae. īeđsian ‚verfallen,
schwinden‘ (<essian> zur Übersetzung von lat.
tabescere ‚schmelzen, zergehen, sich zersetzen,
sich auflösen, verwesen, vergehen‘) (vgl. Hal-
lander 1966: 395). Die Bildung kann auf zwei-
erlei Weise aufgekommen sein: Nach dem Ver-
hältnis ahd. ôdi : ôden entstand *ôsi neben ôsen.
Eine adj. Basis *ôsi- ist jedoch nicht bezeugt.
Daher ist die Annahme einer deverbalen Ablei-
tung mit s-Suffix (vgl. dazu Wilmanns [1906–
30] 1967: 2, §§ 80 f.; Krahe-Meid 1969: 3, § 187)
von ôden wahrscheinlicher.
Abzulehnen ist die von Schnieders 1938: 36
vorgeschlagene Anbindung von ôsen an aisl.
œsa ,aufreizen‘. Das aisl. Verb gehört der Sippe
von ahd. jesan ‚gären‘ (s. d.) an.
Holthausen, Ae. et. Wb. 94; Bosworth-Toller, AS Dict.
259; Falk-Torp, Norw.-dän. et. Wb. 2, 1416.
RS