ôt
Band VI, Spalte 1235
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ôt n. a-St., nur in GSpV: ‚Reichtum,
Vermögen‘ (?). Das Wort erscheint im Reim-
vers churo comsic herenlant aller oter lestilant
‚ein Churwelscher/Churo kam her ins Land …‘.
Die Deutung des Textabschnitts aller oter lesti-
lant bleibt dabei unklar. oter wurde zuerst von
K. Müllenhoff, ZDA 18 (1875), 261 f. als Gen.
Pl. von ôt aufgefasst, eine Deutung, die sich in
den Wörterbüchern durchgesetzt hat (vgl. auch
Sonderegger 1970: 75; dagegen fehlt das Wort
durchgängig in den Grammatiken unter den
Nomina mit ir-Pluralen). Demgegenüber fass-
te Koegel 1894–1897: 1, 2, 165 die drei Wörter
(aller, oter und lestilant) als sarkastisch ver-
wendete PN auf (kritisch zur Deutung als Ap-
pellativ zuletzt auch Nedoma 2004: 192 Anm.
10). Dagegen liest Th. v. Grienberger, PBB 47
(1923), 448–450 den Text als churo com sic her
en lant allero lesto in lant, so dass das Subst. ôt
hier insgesamt wegfiele. Für die Existenz eines
eigenständigen Appellativs könnte aber spre-
chen, dass Notker in etwa zur gleichen Zeit in
St. Gallen das Komp. ôtbutil ‚Schatzmeister‘
(s. d.) gebildet hat (Ris 1971: 116); ob ôt je-
doch daneben wirklich als Simplex bezeugt ist,
bleibt letztendlich unsicher. Unstrittig ist, dass
es sich als Bestandteil zahlreicher PN findet
(vgl. Förstemann [1900–16] 1966–68: 1, 185–
206). Der älteste, noch vorahd. Beleg ist auf
dem Einfassunsgring von Pforzen in dem PN
aodliþ (vgl. dazu Nedoma 2004: 189–193) be-
zeugt, mit dem die PN frk. Audolendis (7. Jh.),
ahd. Aotlind (9. Jh.), Otlind (9./10. Jh.), west-
frk. Audelindis (9. Jh.), langob. Audelinda (9. Jh.)
sowie as. Odlind (9./10. Jh.) unmittelbar ver-
gleichbar sind.
Unklar bleibt, ob das Subst. etwa mit (zuletzt)
Kroonen, Et. dict. of Pgm. 40 auch als KHG von
mhd. kleinôt, kleinœte, kleinœde st.n./f. ‚klei-
nes Ding, Kleinigkeit, eine kleine (fein, zier-
lich, kunstreich) gearbeitete Sache, (bildlich)
Dinge von höchstem Wert‘, nhd. Kleinod n.
‚kostbares Schmuckstück, Kostbarkeit, Juwel‘
erscheint (wohl aus dem Mhd. entlehnt in
frühmndl. clenode [<cleinode>] ‚Überschrift‘,
mndl. cleinoot [neben cleinode, clenode, clin-
oot], [volksetym.] cleinnoot ‚eine Kleinigkeit,
kleines Geschenk, Kostbarkeit‘, nndl. kleinood
‚Juwel, kleines, kostbares Objekt‘, afries. klēn-
ōdien, klēnōden, kleinōdien pl. ‚Kleinodien,
Kostbarkeiten, Schmuckstücke‘; mlat. cleno-
dium n. [auch clenodia f.] ‚Kleinigkeit, wertlo-
ses Zeug, Kleinod, Wertgegenstand, Kostbar-
keit‘ scheint in der Form an mlat. allodium
‚Hinterlassenschaft‘ [s. alôdi] angelehnt zu sein)
oder ob wegen der Bed. ‚kleines Ding, Klei-
nigkeit (von kleinem Hausgerät)‘ Kleinod nicht
vielmehr eine Ableitung mit dem Suffix ur-
germ. *-ōþa- (zu ahd. -ôt s. -ôd/-ôt) ist. Mög-
licherweise sind hier entweder zwei Wörter in-
einander geflossen, oder es liegt eine sekundär
aufgekommene Anlehnung an das Subst. vor.

Ahd. Wb. 7, 142; Splett, Ahd. Wb. 1, 691; Köbler, Wb. d.
ahd. Spr. 849; Schützeichel⁷ 247; Seebold, ChWdW9
640; Graff 1, 148 f.; Lexer 1, 1616 f.; Dt. Wb. 11, 1121 ff.;
Kluge²¹ 376; Kluge²⁵ s. v. Kleinod; Pfeifer, Et. Wb.² 667.
– Braune-Reiffenstein 2004: §§ 109 Anm. 4. 125 Anm.
1. 167 Anm. 9. – VMNW s. v. clenode; Verwijs-Verdam,
Mndl. wb. 3, 1516 ff.; Franck, Et. wb. d. ndl. taal² 313 f.;
Suppl. 87; Vries, Ndls. et. wb. 327; Et. wb. Ndl. Ke-R 73;
Hofmann-Popkema, Afries. Wb. 275; Richthofen, Afries.
Wb. 874; Mlat. Wb. 2, 709.

In den anderen germ. Sprachen entsprechen: as.
ōd n./m. ‚Besitz, Wohlstand, Glück‘ (die Beleg-
lage lässt eine sichere Genuszuweisung nicht
zu; Gallée 1993: §§ 157 Anm. 1. 272 Anm. 2);
ae. ēad n. ‚Reichtum, Glück, Wohlstand‘, me.
nur als KVG ēd- (in ēdī ‚reich‘ [vgl. ae. ēa-
dig ‚reich, glücklich, gesegnet‘; s. ôtag], ēd-
nesse ‚Wohlstand‘ [vgl. ae. ēadnesse ‚Glücks-
zustand, Glück, Wohlstand‘]; aisl. auðr m. ‚Be-
sitz, Reichtum‘, nisl. auður ‚dss.‘, fär. eyður
‚dss.‘, aschwed. ööd(h)er m., ödh, ööd(h) n.
‚Reichtum‘, nschwed. öd ‚Eigentum‘; got. nur
aud- (in audags ‚selig‘), auda- (in audahafts*
‚glücklich‘): < urgerm. *ađa-.
Neben der appellativischen Verwendung er-
scheint das Wort häufig in germ. PN; vgl. as.
Od-; ae. Ead-; run. (als Erstglied in PN) Auð-
(vgl. Peterson 2007: 35), aisl. Auð-, aschwed.
Ødh-; westgot. Aud(e)-, Od(o)-, ostgot. Odo-,
burgund. Aud-, skir. Odo-; langob. Aud(a)-.
Unsicher bleibt, ob der Name als Kurzname
auch auf den Brakteaten von Overhornbæk II-
A und Raum Vendsyssel-A in der Folge ạuþa
vorliegt (Krause 1966: 1, 265 f.); es wurde auch
die Lesung xuẉa (Nowak 2003: 609) vorge-
schlagen.
Aus den einzelsprachlichen adj. gebrauchten
Part. as. ōdan ‚geschenkt, beschert‘, ae. ēaden
‚gegeben, gewährt‘, aisl. auðinn ‚vom Schick-
sal bestimmt‘, nisl. auðinn ‚bestimmt, gege-
ben‘, fär. eyðið ‚dss.‘, nnorw. auden ‚dss.‘,
aschwed. ödhin ‚dss.‘, nschwed. dial. öen, ödd
‚dss.‘, agutn. auþin ‚dss.‘, Formen, die urgerm.
*ađa/ina- fortsetzen, ist ein im Germ. nicht
bezeugtes Verb *ađe/a- ‚gewähren‘ zu er-
schließen, wovon auch urgerm. *ađa- abge-
leitet ist.
Für die Ableitung urgerm. *ađaǥa- ‚glücklich,
reich‘, die wohl zuerst im lat.-germ. GN (dat.
sg.) Sandr-audigae (Reichert 1987–90: 1, 585)
bezeugt ist und mit aisl. sann-auðigr ‚wahrhaft
reich‘ identisch ist (nach einer anderen Analyse
bedeutet der GN Sand-raudigae ‚die Rotsan-
dige‘ [L. Toorians, OmROL 75 (1995), 131–
136]), s. ôtag.

Fick 3 (Germ.)⁴ 6; Kroonen, Et. dict. of Pgm. 40 f.; See-
bold, Germ. st. Verben 83 f.; Tiefenbach, As. Handwb.
295; Sehrt, Wb. z. Hel.² 421; Berr, Et. Gl. to Hel. 305;
Holthausen, Ae. et. Wb. 83; Bosworth-Toller, AS Dict.
224; Suppl. 164; eMED s. vv. ēdī adj., ēdnesse n.; eOED
s. vv. †ˈeadi adj., †ˈeadness n.; Vries, Anord. et. Wb.² 18;
Jóhannesson, Isl. et. Wb. 7; Fritzner, Ordb. o. d. g. norske
sprog 1, 92. 94; Holthausen, Vgl. Wb. d. Awestnord. 8;
Magnússon, Ísl. Orðsb. 30 f.; Torp, Nynorsk et. ordb. 8;
Hellquist, Svensk et. ordb.³ 2, 1452; Feist, Vgl. Wb. d. got.
Spr. 63; Lehmann, Gothic Et. Dict. A-222; Bruckner, Spr.
d. Langob. 228. – Schönfeld [1911] 1965: 36; Schramm
1957: 153; Schubert 1968: 54; Piel-Kremer 1976: 91–93;
Reichert 1987–90: 2, 469–471; Bammesberger 1990: 54;
Lühr 2000: 295; Francovich Onesti 2000: 180; Casaretto
2004: 297; Francovich Onesti 2007: 72 f.

Für urgerm. *ađa- gibt es unterschiedliche
Herleitungen.
Mit Klingenschmitt nimmt Lühr 2000: 295 eine
Bedeutungsentwicklung von ,ganz‘ zu ‚Reich-
tum, Besitz‘ an und kommt so zu einem Ansatz
vorurgerm. *h₂a--. In diesem Fall wäre das
Wort von der Wz. uridg. *h₂e- ‚ganz sein‘ ab-
geleitet, die in heth. hūmant- ‚jeder, ganz, all‘
(< *h₂e-ont/t-) fortgesetzt ist (semantisch
unplausibel ist der Anschluss durch Kloek-
horst, Et. dict. of Hitt. 362 des heth. Wortes an
ai. ubhá- ,beide‘; weitere etym. Vorschläge bei
Tischler, Heth. et. Gl. 1, 284 f.).
Dagegen fand sich früher verbreitet (zuletzt
wieder bei Kroonen, Et. dict. of Pgm. 40 f.) für
das im Germ. nicht mehr bezeugte, aber zu
erschließende Verb urgerm. *ađe/a- (s. o.)
die Vorform *He-dhh₁-e/o-. Kroonen, a. a. O.
sieht darin eine Bildung mit der Wz. uridg.
*dheh₁- ‚stellen, legen, setzen, herstellen, ma-
chen‘ zu uridg. *He- ‚weben‘ (vgl. dazu LIV²
224): „[t]he semantic shift from ‚to weave‘ to
‚blessed‘ can be understood from the fact that,
in Germanic and Indo-European mythology,
fates were woven by certain goddesses“ (41).
Eine solche übertragene Bed. kommt aber bei
den Fortsetzern dieser Wz. nicht vor, so dass die
angenommene semantische Entwicklung hy-
pothetisch bleibt.
Möglich wäre dagegen die Verbindung von ur-
germ. *ađa- mit der Pkl. uridg. *h₂e ‚dabei,
dazu‘, die im Germ. in *auke ‚auch‘ (s. ouh;
dort auch zu den weiteren Anbindungen) fort-
gesetzt ist. Wenn diese Pkl. mit dem Verb ur-
idg. *dheh₁- ‚stellen, legen, setzen, herstellen,
machen‘ komponiert ist, ergäbe sich eine Be-
deutung ‚hinzufügen‘ (mit urgerm. *ađa- <
*h₂e-dhh₁-o-); einen Reflex dieser urspr. Bed.
könnte das Adj. urgerm. *ađa/ina- ‚gegeben‘
zeigen, die aus ‚hinzugefügt‘ entwickelt ist.
Jedoch sind bislang keine Verbalkomposita
der Wz. *dheh₁- mit Partikeln nachweisbar.

Walde-Pokorny 1, 16; Pokorny 75 f.; LIPP 2, 336.

RS

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