tifaro, -bero, -boro m. n-St., seit dem
11. Jh. in Gl.: ‚Storch; ciconia, ophiomachus‘
〈Var.: vͦ-, u-; -d-; -uar-; -e〉. – Mhd. odebar
(odebare, -vare, ödeber, -ver, edebar, -ber[e],
-fare, adebar, -ber, -bor) sw.m. ‚Storch‘, früh-
nhd. adebar m. ‚Storch‘, nhd. Adebar m.
‚Storch‘.
Ahd. Wb. 7, 145; Splett, Ahd. Wb. 1, 691; Köbler, Wb.
d. ahd. Spr. 850; Schützeichel⁷ 243. 247; Starck-Wells
454; Schützeichel, Glossenwortschatz 7, 165. 221; Graff
3, 155; Lexer 2, 141 f.; Frühnhd. Wb. 1, 616; Diefen-
bach, Gl. lat.-germ. 117 (ciconoa); Dt. Wb. 1, 176; Klu-
ge²¹ 7; Kluge²⁵ s. v. Adebar; Pfeifer, Et. Wb.² 12. – Suo-
lahti [1909] 2000: 368–371; Neuß 1973: 130–132.
Das Wort hat nur in wenigen weiteren germ.
Sprachen Entsprechungen: mndd. ādebar (āde-
bār ?), ēdebār, ēdebēr(e) (eddeber), ōdevēr m.
‚Storch‘; frühmndl. odevare (odeuare, oude-
uare, [mit proklit. Art.] dodeuare) m. ‚Storch‘,
mndl. odebare, odevare (hodevare, oudevare,
oyvare, oidver, oidewer, odevaer, odenvaer),
oudevader (houdevader, oudevaer) ‚Storch‘,
nndl. ooievaar ‚Storch‘ (frühnndl. auch ou-
wevaar, oudevaar, ouvaar), adebaar, eiber
‚Storch‘; nwestfries. earrebarre (eabarre, ea-
rebarre, eadebarre, earebaar, arrebarre, ade-
bar), eibert (eiber) ‚Storch‘.
Unsicher bleibt, ob die beiden Belege Gl. 4,
199,25 und 4,457,21 ahd. oder as. sind.
Die belegten Formen lassen sich nicht auf eine
einzige Grundform zurückführen, die sicherlich
als Komp. aufzufassen ist. Die Vielfalt der
Lautungen ist das Resultat volksetym. Umbil-
dungen, die wohl schon frühzeitig aufgekom-
men sind. Aus diesem Grund gibt es keine si-
chere Etymologie (vgl. exemplarisch W. Krog-
mann, KbVndS 51 [1938], 71: „Die Haupt-
schuld am Mißlingen der bisherigen Deu-
tungsversuche trägt zweifellos die Unklarheit
der Grundform. Die angeführten Belege lassen
in ihrer Mannigfaltigkeit auch kaum die Mög-
lichkeit zu, aus ihnen eine Stammform zu er-
schließen“).
Die Schwierigkeiten betreffen zwei Positionen
innerhalb des Wortes:
1. Unklar ist der ursprüngliche Anlaut des
KHG, der einerseits auf urgerm. *f (ahd. -f-,
ndl. -v-, wohl auch mndd. -v-), andererseits auf
urgerm. *ƀ (in dt., mndd., ndl., nwestfries. -b-)
zurückgeht. Dies weist entweder auf zwei un-
terschiedliche etym. Anknüpfungen hin, näm-
lich an urgerm. *fare/a- ‚fahren‘ (s. faran; also
urgerm. *faran- m. ‚Fahrer‘) und an urgerm.
*ƀere/a- ‚tragen‘ (s. beran; also urgerm. *ƀer-
an- ‚Träger‘) oder nur auf urgerm. *f mit einer
Vernerschen Variante *ƀ. Wenig wahrschein-
lich ist dagegen die Annahme von A. Liberman,
GL 35 (1997), 129, der darin ein Suffix für
VogelN sieht (am ehesten im Sinne von ‚-be-
wohner‘).
2. Noch schwieriger zu beurteilen ist der un-
einheitliche Anlaut des KVG. Die bezeugten
Formen mit o-, vͦ-, a- und e- lassen sich nicht
auf eine einzige Vorform zurückführen.
2.a. Wie schon Gröger 1911: 411 angenom-
men hat, muss der urspr. Wurzelvokal des KVG
kurz gewesen sein, da bei langer Wurzelsilbe
kein Fugenvokal zu erwarten wäre. Aus diesem
Grund ist die letztendlich auf Grimm [1875–78]
1968: 2, 560 beruhende Anbindung an urgerm.
*au̯đa- ‚Glück, Besitz, Reichtum‘ (s. ôt) abzu-
lehnen. Es kann jedoch einen sekundären Ein-
fluss dieses Lexems auf den VogelN gege-
ben haben. Dieser zeigt sich (gegen Neuß 1973:
131) aber nicht in der ahd. Schreibung mit
vͦ- (laut Braune-Reiffenstein 2004: § 45 Anm.
5 wird urgerm. *au̯ in „einigen spätbair. und
schwäb. Quellen … <ǒ, >“ geschrieben), die
auf Einfluss eines Wortes mit urgerm. *ō-, wohl
*ōþala- ‚Besitz‘ (s. uodil), weist.
2.b. Mit einem Kurzvokal sind die ahd., mndd.
und ndl. Formen mit o- und die mndd./ndl.
Formen mit a- aus urgerm. *u- herleitbar. Wäh-
rend ahd., mndd. und ndl. o- auf urgerm. *u- mit
a-Umlaut beruht, ist mndd. a- das Resultat der
Zerdehnung von o (vgl. dazu Lasch [1914]
1974: §§ 88 f.). Die nndl. Form mit a- ist dann
ein Lehnwort aus dem Ndd., die mndd. Lautung
e- eine ablautende Form < urgerm. *eu̯-. In
diesem Fall ist als Vorform urgerm. *uđa-/
*eu̯đa- anzusetzen, die W. Krogmann, KbVndS
51 [1938], 71 zu einer Wz., die heute als uridg.
*h₁eu̯h₁dh- ‚ausgießen‘ angesetzt wird (vgl. zu-
letzt dazu Neri 2011: 254 mit Lit.), stellt (zur
Wz. s. ûtar). Aber auch diese Etym. ist prob-
lematisch: Die unterschiedlichen Ablautstufen
sind innergerm. nicht erklärbar, da entsprechen-
de Simplizia im Germ. fehlen; man müsste so-
mit annehmen, dass beide Formen in der Komp.
aus dem Uridg. ererbt sind, was wenig wahr-
scheinlich ist. Auch ist ein neben dem r/n-
Heteroklitikon mit der Bed. ‚Euter‘ (s. ûtar)
stehender n-St. sonst zur Wz. uridg. *h₁eu̯h₁dh-
‚ausgießen‘ nicht belegt; ein n-St., der aus die-
sem Heteroklitikon abstrahiert wäre, hätte je-
denfalls ebenso ‚Euter‘ bedeutet (unproblema-
tisch ist der Laryngalschwund infolge der Wet-
ter-Regel; vgl. I. Balles, GS Schindler 2012:
25 Anm. 34). Ob ‚Euterfahrer/-träger‘ ein sinn-
volles Benennungsmotiv für einen Storch sein
kann (etwa indem der Kehlsack des Vogels
mit einem Euter verglichen wurde), muss offen
bleiben.
2.c. Ein dritter Versuch findet sich bei Klu-
ge²⁵ s. v. Adebar: „Zu erwägen ist eine Anknüp-
fung an die Partikel ig. *at- (mit verschiedenen
Folgevokalen), die im Keltischen und Balti-
schen mehrfach ‚wieder, zurück‘ bedeutet“.
Die Pkl. uridg. *ati/*ato ‚zurück, wieder, weg,
fort‘ (vgl. dazu LIPP 2, 93 ff.), die im Balt. und
Kelt. als KVG in Nominalkomp. wie atidavì-
mas ‚Rückgabe‘ oder air. aithesc ‚Antwort‘ er-
scheint, könnte in der Tat die Grundlage für die
Formen mit a- sein (die anderen Formen sind
dann sämtlich volksetym. Umbildungen). Wäh-
rend die etym. Bed. ,Zurückfahrer‘ semantisch
einsichtig ist, weil der Storch ein Zugvogel ist,
müsste bei dieser Verknüpfung entweder eine
Vernersche Var. oder eine Lenition des Dentals
des KVG (uridg. *ati/o > urgerm. *ađi/a) im
Schwachton eingetreten sein; vgl. urgerm. *ǥa-
‚zusammen, mit‘ < vorurgerm. *ko-.
Tiefenbach, As. Handwb. 296; Lasch-Borchling, Mndd.
Handwb. 1, 1, 13. 512; 2, 1, 1128; Schiller-Lübben, Mndd.
Wb. 1, 13; 3, 215; VMNW s. v. odevare; Verwijs-Verdam,
Mndl. wb. 5, 8. 9 f.; Franck, Et. wb. d. ndl. taal² 475;
Suppl. 120; Vries, Ndls. et. wb. 488 f.; Et. wb. Ndl. Ke-R
464; Fryske wb. 4, 270 f. 321; Dijkstra, Friesch Wb. 1,
316. 324 f. – Hirt 1921: 182. 352; E. Karg-Gasterstädt,
PBB 65 (1942), 211 f.; RGA² 35, 651 f.; Kunz-Vòllono
2009: 28–32.
Da bereits die urgerm. Vorform ungesichert
ist, kann über idg. Bezüge nichts Näheres ge-
sagt werden.
RS