passri
Band VI, Spalte 1312
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passri m. ja-St., nur Gl. 4,199,11 (1.
Drittel des 11. Jh.s, mfrk. oder as.): ‚Zirkel;
circinusVar.: -er-. Wahrscheinlich ist das
vorwiegend in der Nautik verwendete Nomen
agentis, eine Instrumentenbez., aus dem Ndl./
Ndd. übernommen. Die verbale Ableitungsba-
sis passen wurde erst im 13. Jh. aus dem Frz.
entlehnt (s. u.). Auch das Verbreitungsgebiet
der mdartl. Fortsetzer spricht für diese An-
nahme. – Ält. nhd. passer m. ‚dss.‘, nhd. mdartl.
westf. pässer m. ‚dss.‘, schlesw.-holst., meckl.
passer m. ‚dss.‘; vgl. auch verdeutlichendes
rhein. passzirkel m. ‚Zirkel‘.

Ahd. Wb. 7, 209; Splett, Ahd. Wb. 1, 1228; Köbler,
Wb. d. ahd. Spr. 854 f.; Schützeichel⁷ 248; Starck-Wells
458; Schützeichel, Glossenwortschatz 7, 241; Bergmann-
Stricker, Katalog Nr. 877; Diefenbach, Gl. lat.-germ. 121
(circinus); Dt. Wb. 13, 1487. – Wollermann 1904: 19. –
Woeste, Wb. d. westf. Mda. 196; Mensing, Schleswig-
holst. Wb. 3, 970 (s. v. passen); Wossidlo-Teuchert,
Meckl. Wb. 5, 328 (Passer²). – Kluge 1911: 608 f.

Der as. oder mfrk. Beleg passeri m. ja-St.
‚Zirkel‘ hat im Ndd. und Ndl. zahlreiche Ent-
sprechungen: mndd. passer m. ‚Zirkel zum Na-
vigieren auf der Karte (misst den Abstand zwi-
schen Schiffsposition und Zielort)‘; frühmndl.
passer m. ‚Instrument, mit dem auf der Karte
ein Kreis gezogen werden kann‘, mndl. pas-
ser(e) n. ‚Richtschnur, Lot, Zirkel‘, nndl. pas-
ser m./n. ‚Zirkel, Messstock des Schuhma-
chers‘; nwestfries. passer ‚Zirkel‘. Über das
Mndd. gelangt das Subst. auch in einen Teil
der nordgerm. Sprachen: ndän. passer m. ‚Zir-
kel‘, nnorw. (bm.) passer m. ‚Zirkel‘, aschwed.
stång-passare m. ‚Lot‘. Das ndd., ndl. Subst.
passer ist mit dem Nomina agentis bildenden
Suffix -er von dem in beiden Sprachzweigen
bezeugten Verb mndd., mndl., nndl. passen
‚vorbeigehen, erreichen, erlangen, abmessen‘
abgeleitet. Zugrunde liegt ‚abmessen‘, das je-
doch im Mndd. nur in der speziellen Bedeutung
‚das Maß an einem Trinkgefäß bezeichnen‘ und
innerhalb des Ndl. erst im Nndl. belegt ist. Das
Nomen agentis deutet aber darauf hin, dass die
Bed. ‚messen‘ unabhängig von der Beleglage
schon sehr früh vorhanden war.

Nicht entscheidbar ist, ob es sich bei dem ndd. und ndl.
Subst. um einzelsprachliche, voneinander unabhängige
Bildungen handelt oder ob das eine aus der jeweils an-
deren Sprache entlehnt ist. Denn in beiden Sprachen ist
die Ableitungsbasis vorhanden.
Falk-Torp, Norw.-dän. et. Wb. 2, 810 gehen ebenso wie
Nielsen, Dansk et. ordb. 321 bei mndd., mndl. passer
von einer Umgestaltung von frz. compas ‚Zirkel‘ (Wart-
burg, Frz. et. Wb. 2, 972) aus. Da jedoch die lautliche
Entwicklung beispiellos bliebe, ist diese Annahme trotz
der nahestehenden Bedeutung ‚Zirkel‘ abzulehnen. Auf-
grund der Bedeutung ‚Maß‘ von mlat. passus könnte
auch eine Direktentlehnung aus dem Mlat. angenom-
men werden. Die ausschließliche Verteilung auf das
Ndd. und Ndl. sowie die dann unklare Umgestaltung des
mlat. Wortes zu passer sprechen aber gegen diesen Ent-
lehnungsweg.

Das ndd., ndl. Verb passen ist aus frz. passer
‚vorbeigehen, erreichen‘ entlehnt und ausgehend
vom Mndd. auch ins Mhd. als passen sw.v.
‚zum Ziel kommen, erreichen‘ (~ nhd. passen
‚angemessen sein, geeignet sein‘) übernommen.
Auch nwestfries. passe ‚aufpassen, anpassen,
erreichen, sich fügen‘ ist aus dem Frz. entlehnt.

Tiefenbach, As. Handwb. 304; Lasch-Borchling, Mndd.
Handwb. 2, 1, 1413. 1414; Schiller-Lübben, Mndd. Wb.
3, 308; VMNW s. v. passer; Verwijs-Verdam, Mndl. wb.
6, 179 ff. 182 f.; Franck, Et. wb. d. ndl. taal² Suppl. 127;
Vries, Ndls. et. wb. 509; Et. wb. Ndl. Ke-R 508; Fryske
wb. 16, 217; Dijkstra, Friesch Wb. 2, 344; Falk-Torp,
Norw.-dän. et. Wb. 2, 810; Nielsen, Dansk et. ordb. 321;
Ordb. o. d. danske sprog 16, 565 f.; NOB s. v. passer;
Hellquist, Svensk et. ordb.³ 2, 752. – Kluge 1911: 608 f.

Frz. passer geht auf ein nicht belegtes de-
nominales Verb vulg.lat. *passare zurück, das
auch durch die anderen rom. Sprachen indirekt
bezeugt wird: span. pasar ‚passieren, hindurch-
gehen‘, katal. passar ‚dss.‘, port. passar ‚dss.‘,
italien. passare ‚dss.‘. Vulg.lat. *passare ist
von dem u-stämmigen Subst. lat. passus m.
‚Schritt, Tritt, Fußstapfe‘ abgeleitet, das eine
Abstraktbildung mit dem Suffix urit. *-tu- zu
dem Verb lat. pandō ‚breite aus, spanne aus,
spreize auseinander‘ ist (Ableitung erst nach
Schwund des wurzelauslautenden Laryngals,
also urit. *pǝt-tu- [vgl. Hill 2003: 226]). Lat.
pandō stellt sich mit Metathese aus urit. *pat-
ne/o- (mit Synkope des Mittelsilbenvokals aus
älterem *pata-ne/o-) zu der Verbalwz. uridg.
*peth₂- ‚ausbreiten‘ (vgl. H. Rix, GS Kuryło-
wicz 1995: 1, 405), die in nominaler Weiterbil-
dung in ahd. fadum m. ‚Garn‘ fortgesetzt ist (zu
weiteren idg. Anschlüssen s. d.).

Walde-Pokorny 2, 18; Pokorny 824 f.; LIV² 478 f.; Thes.
ling. lat. 10, 1, 193 ff. 625; Niermeyer, Med. Lat. lex.² 3,
986; Du Cange² 6, 199; Körting, Lat.-rom. Wb.³ Nr.
6905; Meyer-Lübke, Rom. et. Wb.³ Nr. 6267; Wartburg,
Frz. et. Wb. 7, 707 ff.

S. fadum.

MK/LS

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