peina f. ō(n)-St., nur im Abr (1,254,1
[Kb]): ‚einzelnes Blatt, Seite; pagina‘ 〈Var.:
peine〉. Nach E. Gutmacher, ZRPh 38 (1917),
610 ist das Wort aus volkstümlichem afrz.
*paine entlehnt, das den bei Proparoxytona
üblichen Schwund des Mittelsilbenvokals und
die durch Kontakt zwischen g und n entstan-
dene Mouillierung des n zu ñ zeigt (vgl. Brunot
1966: 1, 171): lat. pāgina f. ‚Blatt Papier‘ (s. u.)
> pag’na = pañe > paine; vgl. lat. propaginem
> prov. probaina, frz. provain. Wie häufig im
Frz. steht hier neben dem Erbwort das lat.
Lehnwort mfrz. pagene, das im Nfrz. zu page
verkürzt wird; vgl. Pope 1934: § 777. Zum Ne-
beneinander von Erbwort und Neuentlehnung
vgl. afrz., mfrz. fraile ‚zerbrechlich‘ neben
afrz., mfrz. fragile ‚dss.‘.
Die Annahme von Franz 1884: 23, nach dem lat. in-
tervok. -g- (und -c-) im Frz. und teilweise auch Prov.
sich über -j- zu -i- entwickelt (vgl. lat. magister : frz.
maître : ahd. maistar [s. meistar]), trifft hingegen auf
dieses Wort nicht zu, da die Synkope des unbetonten
Mittelsilbenvokals vor der Palatalisierung des g statt-
fand. Anders ist dagegen die Lautentwicklung von afrz.
reine f. ‚Königin‘ zu beurteilen: Wegen des langvo-
kalischen Suffixes lag die Betonung bei lat. rēgīna auf
dem ī, sodass der Vokal nicht geschwunden ist und
deshalb eine mit frz. maître vergleichbare Entwicklung
eintrat.
Ahd. Wb. 7, 214; Splett, Ahd. Wb. 1, 1228; Köbler, Wb.
d. ahd. Spr. 855; Schützeichel⁷ 248; Starck-Wells 458;
Schützeichel, Glossenwortschatz 7, 243; Bergmann-Stri-
cker, Katalog Nr. 253; Seebold, ChWdW8 229; Graff 3,
340. – Splett 1976: 378.
Die anderen germ. Sprachen entlehnen das
Subst. dagegen direkt aus dem Lat.: frühmndl.
pagine f. ‚Blattseite‘, nndl. pagina f./n. ‚Seite‘;
nwestfries. pagina m./f. ‚Blattseite‘; ne. pagina
‚Oberseite eines Blattes‘ (obs.); ndän. pagina
‚Seite, Buchseite, Seitenzahl‘, nnorw. (bm./nn.)
pagina m. ‚Seite, Seitenzahl‘, nschwed. pagina
f. ‚Seite, Buchseite‘. Nur ne. page ‚Seite‘ ist aus
frz. page ‚Seite‘ übernommen (s. o.).
VMNW s. v. pagine; Vries, Ndls. et. wb. 501; Et. wb. Ndl.
Ke-R 488 f.; Fryske wb. 16, 158; Klein, Compr. et. dict.
of the Engl. lang. 2, 1111; eOED s. vv. page n.², †pagina
n.; Nielsen, Dansk et. ordb. 320; Ordb. o. d. danske sprog
16, 376 f.; NOB s. v. pagina; Svenska akad. ordb. s. v.
pagina.
Lat. pāgina f. ‚Blatt Papier, Seite, Kolumne‘ ist
eine vorurit. Ableitung von der vollstufigen
Wz. uridg. *peh₂ĝ- ‚fest werden‘ mit dem im
Lat. isoliert stehenden Suffix -ino- (vgl. z. B.
lat. patina f. ‚Pfanne‘; vgl. Leumann [1926–28]
1977: § 291a). Zur Wz. und ihren Fortsetzern s.
fâhan.
Lat. pagina ist auch in italien. pagina ‚Seite‘
und span. página ‚dss.‘ fortgesetzt. Daneben
erscheint es als Lehnwort in slowen. pȃgina
‚Buchseite‘. Über afrz. pagene ist das lat. Wort
schließlich ins Abret. als pajenn f. ‚Seite‘ ge-
langt.
Walde-Pokorny 2, 2 f.; Pokorny 787 f.; LIV² 461; Unter-
mann, Wb. d. Osk.-Umbr. 587; Walde-Hofmann, Lat. et.
Wb. 2, 245 f.; Ernout-Meillet, Dict. ét. lat.⁴ 479; de Vaan,
Et. dict. of Lat. 442 f.; Thes. ling. lat. 10, 1, 84 ff.; Niermey-
er, Med. Lat. lex.² 3, 980 f.; Du Cange² 6, 91; Körting,
Lat.-rom. Wb.³ Nr. 6782; Wartburg, Frz. et. Wb. 7, 472 f.;
Snoj, Slov. et. slov.² 486; Deshayes, Dict. ét. du bret. 552.
LS