pfîfôn sw.v. II, Gl. 2,18,7 (Hs. 11. Jh.,
Zeit des Gl.eintrags unbekannt): ‚pfeifen; pipa-
re‘ 〈Var.: p-〉. Das Wort ist eine denominale
Ableitung von pfîfa (s. d.).
Schwierig zu beurteilen ist der Beleg pfifan in Jc (Ox-
ford, Ms. Jun. 25, 2. Viertel des 9. Jh.s, alem.). Nach See-
bold handelt es sich um ein st.v. II pfîfan ‚pfeifen‘. Krotz
2002: 407 Nr. 223 erwägt außerdem eine nominale Ab-
leitung von pfîfa ‚Pfeife, Flöte‘, da sonst nur das sw.v.
pfîfôn belegt ist. Das st. Verb sei ein Hapaxlegomenon.
Die Stelle lautet: Karmina pfifan zith[ ]. karmina ist ein
Nom.Akk.pl. von carmen n. ‚Lied, Gedicht, Gesang‘, pfi-
fan könnte formal ein Inf. sein. Als Übersetzung des lat.
Lemmas ist aber eher eine nominale als eine verbale
Form zu erwarten. Möglicherweise hat der ahd. Glossator
das lat. Lemma fehlgedeutet und carmina mit camena
verwechselt, das sonst auch mit pfîfa glossiert wird. Un-
klar bleibt dann das ausl. -n.
In Analogie zu mhd. grîfen, slîfen u. a. ist das
sw. Verb ahd. pfîfôn in die starke Konjugation
übergetreten: mhd. pfîfen st.v. II ‚pfeifen, auf
der Pfeife blasen‘, frühnhd. pfeifen st.v. ‚mit,
auf der Pfeife blasen, mit dem Mund die Töne
der Pfeife nachahmen‘, nhd. pfeifen st.v. ‚mit
gespitztem Mund oder mit einem Instrument
Töne hervorbringen, durch Pfeifen ein Zeichen
geben, (Sport) als Schiedsrichter ein Spiel lei-
ten‘, ugs. ‚jmdm. etw. verraten‘, in Wendungen
wie auf jmdn./etw. pfeifen ‚darauf verzichten‘,
sich eins pfeifen ‚den Gleichgültigen spielen‘.
Daneben existiert noch lautnachahmendes früh-
nhd., nhd. piepen sw.v. ‚einen hellen, pfeifen-
den Ton von sich geben [von jungen Vögeln
und kleinen Nagetieren]‘, das nicht zwingend
aus dem Ndd. übernommen ist, sondern in den
Einzelsprachen (s. u.) unabhängig voneinander
gebildet sein kann.
Ahd. Wb. 7, 263; Splett, Ahd. Wb. 1, 703; Köbler, Wb. d.
ahd. Spr. 859; Schützeichel⁷ 250; Starck-Wells 461;
Schützeichel, Glossenwortschatz 7, 273; Bergmann-Stri-
cker, Katalog Nr. 688. 725 (II); Seebold, ChWdW9 646.
1099; Lexer 2, 244; Frühnhd. Wb. 4, 97 f. 332; Diefen-
bach, Gl. lat.-germ. 436 (pipiare); Dt. Wb. 13, 1645 ff.
1843; Kluge²¹ 542 (s. v. Pfeife). 549; Kluge²⁵ s. vv. pfei-
fen, piepen; Pfeifer, Et. Wb.² 995 f. 1008 f. – Relleke
1980: 315 f.; Röhrich 2003: 2, 1162 f.
Auch in den anderen westgerm. Sprachen wur-
de ein entsprechendes Verb denominal abgelei-
tet und aufgrund des onomatopoetischen Cha-
rakters um die Bedeutungen ‚piepen, piepsen‘
erweitert: mndd. pīpen st./sw.v. ‚pfeifen, mu-
sizieren, auf der Flöte oder Pfeife blasen, helle,
pfeifende oder piepsende Geräusche erzeugen‘;
frühmndl. pipen sw.v. ‚pfeifen, piepsen, ein Mu-
sikinstrument spielen‘, mndl. pipen sw.v. ‚dss.‘,
nndl. pijpen ‚pfeifen, flöten, piepen‘; nwest-
fries. piipje sw.v. ‚flöten‘; ae. pīpian sw.v. ‚flö-
ten‘, me. pīpen, pipe ‚flöten, blasen‘, ne. pipe
‚Flöte spielen, zum Mahl pfeifen (Seemanns-
sprache), in hohem, schrillem Ton sprechen‘.
Die späten nordgerm. Verben sind aus dem
Mndd. entlehnt: nisl. pípa ‚blasen, flöten‘, fär.
pípa ‚dss.‘, ndän. pibe, nnorw. (nn.) pipa ‚pfei-
fen‘, aschwed., nschwed. pipa ‚blasen, pfeifen‘.
Nach gängiger Auffassung sind die Verben vor der 2.
Lautverschiebung aus mlat. pīpāre ‚piepen, piepsen‘ ent-
lehnt: Das ist jedoch angesichts der deutlich späteren Be-
zeugung des Verbs gegenüber dem Subst. in den west-
germ. Sprachen und wegen des Fehlens dieses Verbs in
den nordgerm. Sprachen unwahrscheinlich.
Lasch-Borchling, Mndd. Handwb. 2, 1, 1532 ff.; Schiller-
Lübben, Mndd. Wb. 3, 330 f.; VMNW s. v. pipen; Ver-
wijs-Verdam, Mndl. wb. 6, 378 ff.; Franck, Et. wb. d. ndl.
taal² 501 f.; Vries, Ndls. et. wb. 519 f.; Fryske wb. 16,
278 f.; Dijkstra, Friesch Wb. 2, 349; Holthausen, Ae. et.
Wb. 246; Bosworth-Toller, AS Dict. Suppl. 680; eMED
s. v. pīpen v.; Klein, Compr. et. dict. of the Engl. lang. 2,
1189; eOED s. v. pipe v.¹; Jóhannesson, Isl. et. Wb. 1117;
Magnússon, Ísl. Orðsb. 711; Nielsen, Dansk et. ordb.
323; Ordb. o. d. danske sprog 16, 755 ff.; Torp, Nynorsk
et. ordb. 489; NOB s. v. pipa; Hellquist, Svensk et. ordb.³
2, 763; Svenska akad. ordb. s. v. pipa.
S. pfîfa.
MK/LS