pfin m. a-St., Gl. 3,400,2 (in 2 Hss.,
1180/1190 und Anfang des 13. Jh.s, beide
[rhein-]frk.): ‚Pflock, Stift; bizbio [lingua igno-
ta, Hildeg.]‘ 〈Var.: pin〉. Der Ansatz mit pf-
erfolgt wegen des Komp. zitarpfin ‚Plektron‘
(s. d.) mit zahlreichen pf-Belegen. Es handelt
sich um ein Erbwort und nicht, wie des Öfteren
angenommen, um ein Lehnwort aus (m)lat. pin-
na f. ‚Flügel, Feder, Mauerzinne‘ (s. u.). – Mhd.
pfinne, vinne st./sw.f. ‚Nagel‘, von pfinne ab-
geleitetes frühnhd. pfinnen sw.v. ‚sich spreizen,
wehren‘. Frühnhd. pinne f. ‚Nagel, Zwecke‘
(das pfinne verdrängt), nhd. Pinne f. ‚waage-
rechter Hebelarm des Steuerruders, der mit der
Hand bedient wird, spitzer Stift, auf dem die
Magnetnadel des Kompasses ruht, kleiner Na-
gel, Reißzwecke, keilförmig zugespitztes Ende
eines Hammerkopfes‘ stammen aus dem Mndd.
Dagegen ist nhd. Pin m. ‚(getroffener) Kegel
als Wertungseinheit beim Bowling, langer, dün-
ner Stift, Anstecknadel‘ eine Neuentlehnung
aus ne. pin ‚(Steck-)Nadel, Reißzwecke, Bol-
zen, Zapfen, Anschlussstift‘.
Ahd. Wb. 7, 265; Splett, Ahd. Wb. 1, 704; Köbler, Wb.
d. ahd. Spr. 859; Schützeichel⁷ 250; Starck-Wells 461;
Schützeichel, Glossenwortschatz 7, 274 f.; Bergmann-Stri-
cker, Katalog Nr. 51. 958; Lexer 2, 247; Frühnhd. Wb. 4,
166. 445; Dt. Wb. 13, 1861; Kluge²¹ 551; Kluge²⁵ s. v.
Pinne. – Kluge 1911: 617 f.
Ahd. pfin entsprechen direkt as. pinn m. ‚Stift,
Pflock‘, mndd. pin m. ‚kleiner, länglicher, spit-
zer Gegenstand, Pfriem, Zapfen‘; ae. pinn st.
m. ‚Pflock, Nagel, Stift, Schreibgerät‘, me. pin
‚Nagel, Pflock‘ und ne. pin ‚Nagel, Nadel,
Bolzen, Stift‘. Neben dem m. a-St. steht ein f.
ō(n)-St. in mndd. pinne f. ‚kleiner, länglicher,
spitzer Gegenstand, Pfriem, Zapfen‘; frühmndl.
pinne m./f. ‚Zinne‘, mndl. pinne m./f. ‚Stift
oder Pflock aus Holz, Nagel, Eisenstift‘, nndl.
pin f. ‚Holznagel, eiserner Bolzen, zylindri-
sches Stück Holz oder Metall‘ und afries. pinne
m./f. ‚Nagel, Spieß, Bolzen, Stift‘. Wegen der
abweichenden Bedeutung und des höheren Al-
ters des westgerm. m. a-St. ist eine Entlehnung
aus lat. pinna f. ‚Mauerspitze, Zinne, Flosse,
Pfeil‘ unwahrscheinlich. Daher sind bei den
nordgerm. Nomina (aisl., nisl. pinni m. ‚Stift,
Pflock, Nagel‘, pinnr m. ‚dss.‘, ndän. pind m.
‚dss.‘, nnorw. pinne f. ‚dss.‘, nschwed. pinne f.
‚dss.‘) sowohl eine Entlehnung aus dem Mndd.
als auch eine germ. Herkunft denkbar. Die west-
und nordgerm. Wörter gehen auf eine Vorform
urgerm. *pinna- bzw. *pinnō(n)- zurück.
Daneben setzt eine Reihe westgerm. Subst. ur-
germ. *finnō(n)- voraus: mhd. vinne f. ‚Na-
gel‘, nhd. Finne f. ‚Nagel, Pflock, Fischflosse‘
(mit Übernahme der Bed. ‚Fischflosse‘ aus dem
Ndd.); mndd. vinne f. ‚Nagel, Pflock, Fischflos-
se‘; mndl. vinne f. ‚Fischfinne, Flügel, Schärfe‘,
nndl. vin(ne) f. ‚Flügel, Finne, Stachel, Schnei-
de‘; nwestfries. fin f. (auch m.) ‚Finne, Metall-
spitze‘, saterfries. fin f. ‚Flosse‘. Aschwed. fina
f. ‚Fischfinne, Metallspitze‘ (~ nschwed. fena f.
‚dss.‘) geht dagegen auf urgerm. *finō(n)- zu-
rück. Aus dem Mndd. stammen schließlich nisl.
finnur und nnorw. (bm./nn.) finne m. ‚Fisch-
finne, Flügel, spitzes Blatt an einer Pflanze‘.
Ebenfalls aus dem Mndd. ist wegen der Bed.
wahrscheinlich auch das späte ae. fin m.
‚Fischfinne‘ (~ ne. fin ‚Fischfinne‘) übernom-
men.
Fern bleiben die Homonyme der Bed. ‚Pustel,
Fäulnis, Rinderbandwurm‘ (mhd. pfinne f.
‚Fäulnis im Fleisch von Zuchttieren‘ neben
vinne f. ‚dss.‘, nhd. Finne f. ‚Pustel, Hautbläs-
chen, Larve eines parasitären Wurms‘; ae. fynig
‚faul, ranzig‘, ne. finny ‚modrig‘; mndl., nndl.
vinne f. ‚Pickel, Geschwür, Name für verschie-
dene Krankheiten‘; nnordfries. fin ‚Pustel‘):
Ein Anschluss der Wörter wäre nur unter
Annahme einer Bedeutungsentwicklung von
‚Stich, Punkt‘ zu ‚Pickel, Pustel‘ denkbar (vgl.
S. Neri, in Neri-Ziegler 2012: 69). Doch ist be-
reits die Ausgangsbedeutung ‚Stich, Punkt‘ für
das Germ. nicht nachweisbar. (Zur Etym. der
Wortsippe von ‚Pustel, Fäulnis‘ vgl. S. Neri,
a. a. O. 62 ff.).
Fick 3 (Germ.)⁴ 240; Kroonen, Et. dict. of Pgm. 141;
Tiefenbach, As. Handwb. 305; Wadstein, Kl. as. Spr.-
denkm. 214; Bergmann-Stricker, Katalog Nr. 324; Lasch-
Borchling, Mndd. Handwb. 2, 1, 1527; Schiller-Lübben,
Mndd. Wb. 3, 327; 5, 257; VMNW s. v. pinne; Verwijs-
Verdam, Mndl. wb. 6, 371 f.; Vries, Ndls. et. wb. 785;
Et. wb. Ndl. Ke-R 543; Fryske wb. 6, 4 f.; 16, 314 f.;
Dijkstra, Friesch Wb. 2, 352; Kramer, Seelter Wb. 63;
Sjölin, Et. Handwb. d. Festlnordfries. 50; Holthausen,
Ae. et. Wb. 105. 246; Bosworth-Toller, AS Dict. 287. 774;
eMED s. vv. fin n.¹, pin n.; Klein, Compr. et. dict. of the
Engl. lang. 2, 1186; eOED s. vv. fin n.¹, finny adj., pin n.¹;
Vries, Anord. et. Wb.² 425; Jóhannesson, Isl. et. Wb.
1116; Fritzner, Ordb. o. d. g. norske sprog 2, 939; Holt-
hausen, Vgl. Wb. d. Awestnord. 219; Magnússon, Ísl.
Orðsb. 176. 710; Falk-Torp, Norw.-dän. et. Wb. 2, 827 f.;
Nielsen, Dansk et. ordb. 119. 324; Ordb. o. d. danske
sprog 16, 835 ff.; Torp, Nynorsk et. ordb. 105. 489; NOB
s. v. (bm./nn.) finne; Hellquist, Svensk et. ordb.³ 1, 211;
2, 762 f.; Svenska akad. ordb. s. v. fena. – Müller-Frings
1966–68: 2, 389 f.
Das Nebeneinander von urgerm. *finō(n)- und
*finnō(n)- weist auf einen vorurgerm. n-St.
*pin-éh₂-n-/pin-h₂-n-´ (vgl. Lühr 1988: 203). Bei
dem so vorausgesetzten vorurgerm. *pin- han-
delt es sich um eine Neowz. zu uridg. *(s)peiH-,
deren s-haltige Var. indirekt von urgerm. *pin-
na- vorausgesetzt wird (mit Schwund des s
nach Abschluss der 1. Lautverschiebung; vgl.
R. Lühr, ZVSp 99 [1986], 262 ff.; S. Neri, a. a.
O. 66). Die Neowz. urgerm. *spin- lebt schließ-
lich in ahd. spinula f. ō(n)-St. ‚Haarnadel,
Stecknadel‘ und seinen westgerm. Entspre-
chungen (s. spenula) fort (vgl. Lühr, a. a. O.).
Die germ. Bildungen gehen so auf einen se-
kundären n-St. zu dem Fem. auf *-nah₂- uridg.
*spiH-nah₂- mit Kürzung des Laryngals bei
vortonigem Resonanten zurück (gemäß der Lex
Dybo; vgl. Neri, a. a. O. 69), der in lat. spīna
f. ‚Rückgrat, Dorn‘, lit. spynà f. ‚Vorhänge-
schloss, Türpfosten‘ und lett. spīna, spīne f.
‚eiserne Klammer, Vorhängeschloss, Gerte, Ru-
te‘ eine direkte Entsprechung hat. Möglicher-
weise schließen sich auch russ. spiná ‚Rü-
cken‘, ukrain. spýna f. ‚dss.‘ und ält. poln. spi-
na ‚Rückgrat‘ an uridg. *spiH-nah₂- an, falls
es sich bei den slaw. Subst. nicht um eine über
das Poln. vermittelte lat. Entlehnung handelt
(wie etwa Brückner [1927] 1993: 509 bereits
annimmt). Für weitere s-haltige Varianten s.
speicha, spenula, spiz. Die s-lose Wz. liegt au-
ßerhalb des Germ. noch in lat. pinna f. ‚Mau-
erspitze, Zinne, Flosse, Pfeil‘ vor, der littera-
Variante zu einem nicht bezeugten lat. *pīna (<
uridg. *píH-no-; vgl. Neri, a. a. O. 69). Der An-
schluss von umbr. spinia f. bleibt wegen der
unsicheren Bedeutung fraglich. All diesen Ab-
leitungen liegt also eine nur nominal bezeugte
Wz. uridg. *(s)pei̯H- ‚spitz sein‘ zugrunde.
Unwahrscheinlich ist die Herleitung der Doppelkonso-
nanz in westgerm. *finnō(n)- aus einem urgerm. *fini̯ō(n)-
(so Neri, a. a. O. 70), da der so vorausgesetzte i̯ō-St. für
das Germ. nicht nachgewiesen werden kann.
Lautlich unmöglich ist die Verbindung mit air. benn
‚Spitze, Punkt, Berg‘ und kymr. ban ‚dss.‘ (so Et. wb.
Ndl. Ke-R 543): Diese Wörter setzen eine Vorform *bend-
voraus.
Lat. pinna f. erscheint auch in den rom. Spra-
chen: aitalien. penna f. ‚Gipfel‘, frz. penne f.
‚Zinne‘, span. peña f. ‚Fels‘. Zum lautlichen
Zusammenfall von lat. pinna mit penna f. ‚Flü-
gel‘ vgl. Ernout-Meillet, Dict. ét. lat.⁴ 508.
Walde-Pokorny 2, 656 ff.; Pokorny 981 f.; Untermann,
Wb. d. Osk.-Umbr. 692 f.; Walde-Hofmann, Lat. et. Wb.
2, 306 f.; Ernout-Meillet, Dict. ét. lat.⁴ 508; de Vaan, Et.
dict. of Lat. 580; Thes. ling. lat. 10, 1, 1084 ff.; Körting,
Lat.-rom. Wb.³ Nr. 7170; Meyer-Lübke, Rom. et. Wb.³
Nr. 6514; Wartburg, Frz. et. Wb. 8, 532 ff.; Vasmer, Russ.
et. Wb. 2, 708; ders., Ėt. slov. russ. jaz. 3, 735; Fraenkel,
Lit. et. Wb. 2, 870; Mühlenbach-Endzelin, Lett.-dt. Wb.
3, 1004.
MK/LS