pflegan
Band VI, Spalte 1442
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pflegan st.v. V (prät. pflag, pflâgum,
part.prät. gipflegan), im Abr (1,62,10 [Pa, Kb,
Ra]), bei O, in NBo, NCat, NMC, Ns, Nps und
Npw: ‚Sorge tragen (für), Verantwortung tra-
gen, sorgen (für), einstehen (für), leiten, unter
sich haben; consultare, curare, custos esse, mi-
nistrare, praebēre, praeesse, praesidēre, re-
gere, repromittere‘, iomannes pflegan ‚jmdn.
nicht allein lassen; aliquem non relinquere‘, ni
pflegan wellen ‚nicht die Verantwortung für
etw. tragen; innocens esse‘, sô michiles dinges
pflegan ‚einer so wichtigen Sache vorstehen;
frumentis venditis undique praeesseVar.:
pl-, fl-, phl-; -k-. Anl. p- bleibt bei O unver-
schoben: plegan, im Alem. (Abr) und bei N
wird anl. ahd. pf-, ph- durch f- wiedergegeben.
– Mhd. pflegen st.v. (part.prät. neben gepflegen
auch gepflogen, neben pfligist, pfligit kontra-
hiertes pflîst, pflît infolge von Palatalisierung
von -g- > -j- zwischen hellen Vokalen, das dann
mit -i- zusammenfällt und schwindet; vgl. Mett-
ke 2000: § 70, 1) ‚sorgen für, pflegen, Aufsicht
haben, behüten, beschützen, geben, gewähren,
sich bedienen, verbürgen für, die Gewohnheit
haben‘, sînes wîbes pflegen ‚beischlafen‘, früh-
nhd. pflegen st./sw.v. (präs. pfligst, pfligt, prät.
pflag, pflagen, part.prät. gepflogen / gepflegen,
daneben im späteren Frühnhd. auch sw. pflegst,
pflegt, prät. pflegte, part.prät. gepflegt) ‚einer
Sache obliegen, für jmdn./etw. sorgen, jmdn./
etw. beaufsichtigen, die Gewohnheit haben, ge-
wohnt sein‘, nhd. pflegen sw.v. ‚sich sorgend
um jmdn. bemühen, zur Erhaltung eines guten
Zustands mit den erforderlichen Maßnahmen
behandeln, sich etw. angelegen sein lassen, etw.
anhaltend ausüben, die Gewohnheit haben, etw.
zu tun‘, in der Bed. ‚etw. anhaltend betreiben,
ausüben‘ ist die st. Flexion (prät. pflog, part.
prät. gepflogen) noch teilweise erhalten.

Ahd. Wb. 7, 273 f.; Splett, Ahd. Wb. 1, 704; Köbler, Wb.
d. ahd. Spr. 859 f.; Schützeichel⁷ 250; Starck-Wells 462;
Schützeichel, Glossenwortschatz 7, 281; Bergmann-Stri-
cker, Katalog Nr. 253. 298 (I). 747; Seebold, ChWdW8
230. 367. 427. 504; ders., ChWdW9 647. 1099; Graff 3,
356 ff.; Lexer 2, 252 f.; Frühnhd. Wb. 4, 195 ff.; Götz,
Lat.-ahd.-nhd. Wb. 164 f. (curare). 167 (s. v. custos). 279
(s. v. frumentum). 405 (ministrare). 506 (praebēre). 509
(praeesse). 513 (praesidēre). 562 (regere). 564 (s. v. re-
linquere); Dt. Wb. 13, 1736 ff.; Kluge²¹ 545; Kluge²⁵ s. v.
pflegen; Pfeifer, Et. Wb.² 998. – Braune-Reiffenstein 2004:
§§ 131a und Anm. 4. 176, 3. 184, 2.

Auch in den anderen germ. Sprachen ist das st.
Verb, z.T. mit Übergang in die sw. Flexion,
weit verbreitet: as. plegan st.v. V ‚Verantwor-
tung für etw. übernehmen‘, mndd. plēgen st.v.
(selten sw.v.) ‚tun, handeln, sich sorgend um
jmdn. bemühen, zum Vorteil von jmdn. han-
deln, zu tun pflegen‘; andfrk. plegan st.v. V
‚sorgen für, versorgen, sich kümmern, machen,
gebrauchen‘, frühmndl. pleghen st.v. ‚versor-
gen, Sorge tragen für, gewohnt sein zu tun, ge-
brauchen, anwenden‘, mndl. plegen st.v. ‚dss.‘,
nndl. plegen st./sw.v. ‚sorgen für, sich küm-
mern um, genießen, gebrauchen‘; afries. plega,
pliga st.v. ‚pflegen, gewohnt sein, zu tun pfle-
gen‘, nwestfries. pliigje st.v. ‚gewohnt sein,
pflegen, sorgen für‘, saterfries. pleegje ‚pfle-
gen, für jmdn. sorgen, zu tun pflegen‘. Mndd.
plēgen ist dann auch ins Nordgerm. entlehnt
worden: aisl., nisl. plega sw.v. ‚pflegen‘, ndän.
pleje ‚pflegen‘, nnorw. (bm./nn.) pleie ‚dss.‘,
nschwed. pläga ‚sich um etw. kümmern, pfle-
gen‘: < urgerm. *pleǥ-e/a-. Daneben steht mit
grammatischem Wechsel urgerm. *pleχ-e/a-,
das mit Verlust des zwischenvokalischen *χ in
mndl. plien st.v. ‚Sorge tragen für, sich sorgen
um, pflegen‘ und ae. plēon st.v. ‚(sein Heer)
einsetzen, riskieren, großer Gefahr aussetzen‘
fortgesetzt ist (vgl. Franck 1910: § 85; Brunner
1965: § 218, 3). Das weite Bedeutungsspek-
trum der germ. Verben setzt eine Grundbedeu-
tung ‚tun, machen‘ voraus, die in vielen Spra-
chen zahlreiche Bedeutungsnuancen entwickel-
te (vgl. beispielsweise lat. faciō ‚tue, mache,
verrichte, nütze, bin förderlich, unterstütze‘).
Insbesondere die Bedeutung ‚bin förderlich,
unterstütze‘ des lat. Verbs zeigt, dass die Her-
leitung aus einer Grundbedeutung ‚tun, ma-
chen‘ wahrscheinlicher ist als aus ‚einsetzen
(beim Spiel)‘ (so Seebold, Germ. st. Verben
364). Auch der Ansatz von ‚pflegen‘ als Aus-
gang der semantischen Entwicklungen dieser
Wortsippe (so Kroonen, Et. dict. of Pgm. 397)
erklärt die oft belegte Bedeutung ‚tun, machen,
gebrauchen‘ nicht. Gänzlich fern bleibt wegen
der stark abweichenden Bedeutung ae. plegan,
plegian sw.v. ‚spielen, tanzen, hin und her be-
wegen‘. An die Wortsippe von urgerm. *pleǥ-
e/a-/*pleχ-e/a- schließt sich unter Annah-
me eines s-mobile das sw. Verb mhd. spulgen
‚pflegen, gewohnt sein, gebrauchen‘ (< urgerm.
*spulǥ-ie/a-) an. Die Verben setzen eine Vor-
form vorurgerm. *(s)plek- mit erst nach der
Lautverschiebung entstandener Variante *pleχ-
voraus (vgl. vor der Lautverschiebung bei-
spielsweise schwed. dial. skinka ‚hinken‘, ahd.
skinko ‚Schenkel‘ neben ahd. hinkan ‚hinken‘,
mhd. hanke ‚Schenkel, Hüfte‘ [vgl. K. Matzel,
R. Lühr, ZVSp 99 [1986], 257 f. 264 f.]). Zum
möglichen Zusammenhang mit ahd. pfluog s. d.

Fick 3 (Germ.)⁴ 221; Kroonen, Et. dict. of Pgm. 397; See-
bold, Germ. st. Verben 363 f.; Tiefenbach, As. Handwb.
306; Sehrt, Wb. z. Hel.² 428; Berr, Et. Gl. to Hel. 312;
Lasch-Borchling, Mndd. Handwb. 2, 1, 1568 ff.; Schiller-
Lübben, Mndd. Wb. 3, 342 f.; ONW s. v. plegan; VMNW
s. v. pleghen; Verwijs-Verdam, Mndl. wb. 6, 437 ff.;
Franck, Et. wb. d. ndl. taal² 507; Suppl. 128; Vries, Ndls.
et. wb. 527; Et. wb. Ndl. Ke-R 556; Boutkan, OFris. et.
dict. 307 f.; Hofmann-Popkema, Afries. Wb. 385; Richt-
hofen, Afries. Wb. 979; Fryske wb. 16, 390 f.; Dijkstra,
Friesch Wb. 2, 364; Fort, Saterfries. Wb. 143; Holt-
hausen, Ae. et. Wb. 247; Bosworth-Toller, AS Dict. 776;
Suppl. 680; Suppl. 2, 51; Vries, Anord. et. Wb.² 426;
Fritzner, Ordb. o. d. g. norske sprog 2, 943; Magnússon,
Ísl. Orðsb. 716; Falk-Torp, Norw.-dän. et. Wb. 2, 836;
Nielsen, Dansk et. ordb. 327; Ordb. o. d. danske sprog 16,
998 ff.; NOB s. v. pleie; Hellquist, Svensk et. ordb.³ 2, 772;
Svenska akad. ordb. s. v. pläga. – Törnqvist 1977: 77.

Die Wz. vorurgerm. *(s)plek- steht innerhalb
der Indogermania ganz isoliert. Die Verbin-
dung mit der Wz. uridg. *delĝh- ‚fest werden‘
(~ lat. indulgeō ‚habe Nachsicht mit jmdm.,
gestatte, erlaube‘, air. dligid ‚halten‘; so J.
Trier, PBB 67 [1944], 123–126) entfällt auf-
grund der nicht nachweisbaren Entwicklung
vorurgerm. *dleĝh- > urgerm. *pleǥ-. Auch der
Wz.auslaut spricht gegen diese Annahme, da
sowohl das Mndl. als auch das Ae. eine Var.
urgerm. *pleχ-e/a- bezeugen, die nicht auf einer
Generalisierung des stimmlosen *χ < *ǥ im ab-
soluten Wortauslaut beruhen kann: Die Anzahl
der möglichen Ausgangsformen für die Ver-
allgemeinerung des *χ im Ae. ist sehr gering
und die mndl. Form plien bliebe unerklärt (vgl.
Mailhammer 2007: 203 Fn. 177). Auch die zu-
letzt von Mailhammer 2007: 206 f. vorgeschla-
gene Herleitung aus einem Lehnwort aus dem
Sem. ist unwahrscheinlich: Die sem. Wz. p-l-g
‚teilen‘ ist im Pun. und im Hebr. nur nominal in
der Bedeutung ‚Bezirk‘ belegt. Selbst bei An-
nahme eines nicht bezeugten sem. Verbs p-l-g
‚teilen‘ ist die Bedeutungsentwicklung zu ‚pfle-
gen, sorgen für, tun, machen‘ unklar. Schwie-
rig bleibt auch die Herleitung des germ. Verbs
aus einer kelt. Entlehnung (vgl. H. Wagner, FS
Wartburg 1958: 835ff.): Urgerm. *pleǥ- müsste
demzufolge aus der in air. clecht ‚Gewohnheit‘
(< *klek-to-) bezeugten Wz. uridg. *klek- über
p-kelt. Vermittlung vor der germ. Lautver-
schiebung entlehnt worden sein. Die Wortsip-
pe von air. clecht ‚Gewohnheit‘ (~ air. clichid
‚sich rühren‘) ist jedoch nur im Air. belegt und
hat keinerlei Anschlüsse in den anderen kelt.
Sprachen (vgl. Schumacher, Kelt. Primärverb.
435 ff.). Die Annahme einer p-kelt. Entleh-
nungsgrundlage bleibt also hypothetisch.
Aus dem Andfrk. ist das Wort mit Einkreuzung
des semantisch nahestehenden Verbs lat. prae-
beō ‚gewähre, reiche dar‘ auch ins Frz. als ple-
vir ‚sich für jmdn. verbürgen, versprechen, ga-
rantieren‘ gelangt, zu dem ein Subst. gallorom.
*plebium (~ afrz. plege ‚Pflicht, Garantie‘, da-
raus venez. piezzo ‚Bürge‘ entlehnt) gebildet
wurde (vgl. Wartburg, Frz. et. Wb. 16, 633 ff.).
Aus dem nhd. Nomen agentis Pfleger ist serb.,
kroat. flegar ‚Aufseher, Verwalter‘ übernom-
men und lebt dort außerdem als FamN weiter
(vgl. Striedter-Temps 1958: 122).

Walde-Pokorny 1, 868 f.; Pokorny 197; LIV² 113; Meyer-
Lübke, Rom. et. Wb.³ Nr. 6599; Wartburg, Frz. et. Wb.
16, 633.

MK/LS


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