polla¹ f. ō(n)-St., seit dem 9. Jh. in Gl.:
‚feines Mehl; farina, polenta, pollen, pol-
lis‘ 〈Var.: b-〉. Das Wort ist aus lat. pollen
m./n. bzw. pollis m./f. ‚sehr feines Mehl,
Staub(mehl)‘ entlehnt (s. u.). – Mhd. bolle st.f.
‚feines Mehl, Nachmehl, Gebäck aus feinem
Mehl‘, frühnhd. polle, bolle (Genus unsicher)
‚Staubmehl, sehr feines Mehl, Backwerk (aus
Staubmehl)‘, nhd. mdartl. schweiz. boll n. ‚fei-
nes Mehl‘, schwäb. boll m. ‚Mehl in der Gü-
te zwischen Weißbrot- und Schwarzbrotmehl‘,
bair. †poll m. ‚feine Mehlsorte, daraus ge-
backenes Brot‘, steir. poll m. ‚Pollmehl‘, in
Komp. wie schweiz. bollmel n. ‚Mehl, das nach
dem dritten Aufschütten ausgemahlen wird‘,
els. bollbrot n. ‚halbweißes Brot‘, bollmehl n.
‚geringere Sorte Mehl‘, bad. bollmehl n. ‚halb-
weißes Mehl, grobes Mehl‘, kärnt. pollmehl n.
‚Mittelmehl‘, lothr. bollmehl, bollemehl n.
‚geringere Sorte Weißmehl fürs Vieh‘, luxem.
bollmiel ‚feinstes Mehl, feiner Grieß‘, rhein.
bollmehl n. ‚Nachmehl beim Weizen, feinstes
Roggenmehl‘, bollbrot m. ‚Kirmesbrot aus bes-
tem Roggenmehl und Kartoffeln‘, pfälz. boll-
mehl n. ‚geringere Sorte Weizenmehl‘, nassau.,
ohess. bollmehl ‚Mehl, das zuletzt aus den
Mühlsteinen läuft‘, südhess. bollbrot ‚runder
Brotlaib aus feinstem Mehl und Kartoffeln‘,
thür. pollmehl n. ‚das zuletzt ausgemahlene
Mehl‘, osächs. polltaube f. ‚großes Brötchen,
das durch zwei Rippen in drei Abschnitte geteilt
ist‘. Nhd. Pollen m. in der Bed. ‚Blütenstaub‘
stammt aus der Fachsprache der Botanik und ist
gleichfalls aus lat. pollen übernommen.
Splett, Ahd. Wb. 1, 1229; Köbler, Wb. d. ahd. Spr.
863; Schützeichel⁷ 251; Starck-Wells 464; Schützeichel,
Glossenwortschatz 7, 300; Seebold, ChWdW9 648; Graff
3, 96; Lexer 1, 323; 3, Nachtr. 96; Frühnhd. Wb. 4, 753 f.;
Diefenbach, Gl. lat.-germ. 445 (pollis); Dt. Wb. 13, 1985;
Kluge²¹ 558; Kluge²⁵ s. v. Pollen; Pfeifer, Et. Wb.² 1025.
– Schweiz. Id. 4, 221. 1170 (Boll¹); Martin-Lienhart, Wb.
d. els. Mdaa. 1, 669; 2, 204; Ochs, Bad. Wb. 1, 288 f.;
Fischer, Schwäb. Wb. 1, 1274 (Boll¹); Schmeller, Bay-
er. Wb.² 1, 386; BWB 2, 1625; Kranzmayer, Wb. d.
bair. Mdaa. in Österr. 3, 575; Lexer, Kärnt. Wb. 35; Un-
ger-Khull, Steir. Wortschatz 102; Follmann, Wb. d.
dt.-lothr. Mdaa. 1, 56; Luxemb. Wb. 1, 129; WLM 1, 38;
Müller, Rhein. Wb. 1, 855; Christmann, Pfälz. Wb. 1,
1092; Kehrein, Volksspr. u. Wb. von Nassau 87; Maurer-
Mulch, Südhess. Wb. 1, 1003; Crecelius, Oberhess. Wb.
188; Spangenberg, Thür. Wb. 4, 1256; Frings-Große, Wb.
d. obersächs. Mdaa. 3, 393.
Auch in andere germ. Sprachen wurde das lat.
Wort entlehnt: as. polla f. ō(n)-St., pollo m. an-
St. ‚Feinmehl‘, mndd. polen ‚feines Weizen-
mehl‘, polle f. ‚feiner Samen einer Pflanze‘; ne.
pollen ‚feines Mehl, feiner Puder (veraltet),
Pollen‘; ndän. pollen ‚Pollen‘, nnorw. pollen
‚dss.‘, nschwed. pollen ‚dss.‘.
Tiefenbach, As. Handwb. 306; Lasch-Borchling, Mndd.
Handwb. 2, 1, 1617. 1620; Klein, Compr. et. dict. of the
Engl. lang. 2, 1210; eOED s. v. pollen n.; Nielsen, Dansk
et. ordb. 328. 332 (s. v. pudder); NOB s. v. pollen; Hell-
quist, Svensk et. ordb.³ 2, 775. 796 (s. v. pulver); Svenska
akad. ordb. s. v. pollen.
Lat. pollen m./n. bzw. pollīs m./f. ‚sehr feines
Mehl, Staub(mehl)‘ wird auch in rom. Sprachen
fortgesetzt: frz. pollen ‚feines Mehl‘ (verein-
zelt, ab 16. Jh.), ‚Pollen‘ (ab dem 18. Jh.), sard.
poddine ‚Feinmehl‘, italien. polline ‚Blüten-
staub‘.
Die weitere Etym. der o. g. lat. Wörter kann
nicht sicher geklärt werden. In Frage kom-
men als Ausgangspunkt die Vorformen vorurit.
*pol(H)-n/u̯-. Aufgrund des semantischen Un-
terschieds ist nicht klar, welcher etym. Zu-
sammenhang mit lat. palea f. ‚Spreu, Spelt‘ be-
steht, während der zu lat. pulvis m. ‚Staub‘
keine Probleme bereitet. Eine Wz.gleichheit der
drei Wörter bleibt weiterhin denkbar. Weiter
erscheint eine Verbindung mit lat. puls f. ‚eine
Art Brei‘ (< *polt-) lautlich möglich (bleibt
aber semantisch schwierig, da der Bed.unter-
schied ‚Breiiges‘ vs. ‚Feingemahlenes‘ über-
brückt werden müsste), dieses könnte aber auch
aus gr. πόλτος m. ‚Brei‘ übernommen sein. Die
Annahme eines mediterranen Substratwortes
(de Vaan, Et. dict. of Lat. 498) erscheint wegen
der bei Erbwörtern regulären Wortbildungs-
mechanismen auf der Basis einer Wz. uridg.
*pelH- unbegründet. Ob es sich bei dieser Wz.
dann um uridg. *pelh₁- ‚in Schwung bringen‘
(LIV² 472 f.) handelt, bleibt fraglich, eher wäre
eine Wz. der Bed. ‚(zer-)stoßen, schlagen, mah-
len‘ o. Ä. zu erwarten, und zwar in der Form ur-
idg. *pelh₂-. In diesem Fall müsste zugehöriges
gr. πέλανος m. ‚(dick-)flüssiger Mehlteig, Brei
von Mehl, Honig und Öl‘ lautgesetzlich aus
vorurgr. *pelh₂-no- entstanden sein.
Walde-Pokorny 2, 60; Pokorny 802; Frisk, Gr. et. Wb. 2,
493 f. 577; Chantraine, Dict. ét. gr.² 841 f. 893; Beekes,
Et. dict. of Gr. 2, 1220; Walde-Hofmann, Lat. et. Wb. 2,
238. 331 f. 387 f.; Ernout-Meillet, Dict. ét. lat.⁴ 476. 519.
545; de Vaan, Et. dict. of Lat. 440. 477. 498; Thes. ling.
lat. 10, 1, 2561 ff.; Körting, Lat.-rom. Wb.³ Nr. 7289;
Meyer-Lübke, Rom. et. Wb.³ Nr. 6636; Wartburg, Frz. et.
Wb. 9, 131.
MK/HB