quelan
Band VII, Spalte 41
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quelan st.v. IV (prät. –, quâlun, part.prät.
[-quolan]), seit dem Ende des 8. Jh.s in Gl. und
im T, bei N: ‚Qualen leiden, sich schmerzlich
nach jmdm./etw. sehnen; fervore uri, luctari,
obsitus perpetuo luctu [= quelanti], suspirare,
torreri amore‘, (substantiviert) quelanto ‚einer,
der sich ärgert, mürrisch ist; acediator‘ 〈Var.:
ch(u)ue-, che-〉. – Mhd. quëln (auch quëllen,
chwëllen, [mit verschmolzenem -u-] koln,
kollen, [ohne -u-] këln) (qualquâlen
gequolen) st.v. ‚Schmerzen leiden, sich quälen,
abmartern, Schmerzen verursachen (?)‘. Im
Nhd. ist formal nur das sw.v. ahd. quellen ‚quä-
len, plagen, martern‘ (s. d.) als quälen ‚unaus-
gesetzt Schmerzen zufügen‘ fortgesetzt. Se-
mantisch liegt ein Rest des st. V. noch in hess.
quälen sw.v. ‚jmdn. quälen, jmdm. etw. durch
quälende Bitten abnötigen, quälend bitten, sich
quälen, nicht gedeihen, dahinsiechen‘ und
meckl. quälen sw.v. ‚Qual, Schmerz empfin-
den, zur Arbeit zwingen, (refl.) sich mühen,
abmühen‘ vor.

Ahd. Wb. 7, 489; Splett, Ahd. Wb. 1, 715; eKöbler, Ahd.
Wb. s. v. kwelan; Schützeichel⁷ 189; Starck-Wells 467.
828; Schützeichel, Glossenwortschatz 5, 415 f.; Seebold,
ChWdW8 232; ders., ChWdW9 652; Graff 4, 651; Lexer 2,
321; Götz, Lat.-ahd.-nhd. Wb. 689 (urere); Dt. Wb. 13, 2298
(s. v. Qual); Kluge²¹ 572 (s. v. Qual); Kluge²⁵ s. v. Qual;
ePfeifer, Et. Wb. s. v. Qual. – Maurer-Mulch, Südhess. Wb.
4, 1128; Wossidlo-Teuchert, Meckl. Wb. 5, 691. – Braune-
Heidermanns 2018: §§ 26 Anm. 4. 340 Anm. 1.

In den anderen germ. Sprachen entsprechen: as.
quelan (qual, –, –) st.v. ‚Qual, Marter leiden,
sterben‘ (Gallée 1993: 394 Anm. 1), mndd.
quêlen, quēlen, quellen, quâlen sw.v. ‚Schmerz
empfinden, leiden, Schmerz zufügen, verletzen,
Schmerz, Kummer empfinden/bereiten, Scha-
den zufügen‘; frühmndl. quelen (neben queelne)
(qual, –, –) st.v. ‚peinigen, foltern, erleiden,
erdulden, leiden‘, mndl. quelen (neben queelen,
queilen) (qual, qualen, gequolen) st.v. ‚sich in
einem schlechten Zustand befinden, niederge-
schlagen sein, misshandeln, peinigen, foltern,
quälen, betrüben‘ (Franck 1910: §§ 139. 168),
nndl. kwelen sw.v. (seit dem 16. Jh. zumeist
schwach flektiert; eine 3.Sg.Prät. kwal ist noch
frühnndl. bezeugt) ‚krank sein, leiden, trauern,
sich in einem schlechten Zustand befinden‘; ae.
cwelan (cwæl, cwǣlon, cwolen) st.v. ‚sterben‘
(Brunner 1965: 390 Anm. 1), me. quēlen st.v.
‚sterben‘: < urgerm. *kele/a-.
In den späteren Sprachstufen haben sich die
Fortsetzer von urgerm. *kele/a- mit denen von
urgerm. *kale/a- vermischt.

Fick 3 (Germ.)⁴ 62; Kroonen, Et. dict. of Pgm. 316; See-
bold, Germ. st. Verben 313 f.; Tiefenbach, As. Handwb.
226; Sehrt, Wb. z. Hel.² 431; Berr, Et. Gl. to Hel. 314;
Lasch-Borchling, Mndd. Handwb. 2, 2, 1802 f.; Schiller-
Lübben, Mndd. Wb. 3, 401; VMNW s. v. quelen²; Verwijs-
Verdam, Mndl. wb. 6, 871 ff.; Franck, Et. wb. d. ndl. taal²
359 (s. v. kwaal); Vries, Ndls. et. wb. 372 (s. v. kwaal);
Et. wb. Ndl. Ke-R 157 f. (s. v. kwellen); WNT s. v. kwelen;
Holthausen, Ae. et. Wb. 64; Bosworth-Toller, AS Dict. 177;
Suppl. 137; eMED s. v. quēlen v.; eOED s. v. †quele v.

Urgerm. *kele/a-, die Fortsetzung eines uridg.
athem. Präs. *gélH-/*gH- mit sekundärer The-
matisierung und Durchführung der Var. ohne
Resonantengemination durch Laryngal etwa
aus der Form 3.sg.ind.präs. uridg. *gélH-ti
(vgl. dazu R. Lühr, MSS 35 [1976], 79 f.), ist
eine Präs.bildung von der Verbalwz. uridg.
*gelH- ‚quälen, stechen‘. Fortsetzer des athem.
Präs. finden sich auch in: arm. kełem ‚quäle‘
(aus semantischen Gründen ist die Annahme
eines denominalen Verbs von arm. keł ‚Ge-
schwür‘ [< *gel-no-] unwahrscheinlich; vgl.
LIV² 207 Fn. 3; anders Martirosyan, Et. dict. of
Arm. 357: < uridg. Nasal-Infix-Präs. *gel-n-H-);
lit. gélti ‚stechen, schmerzen‘, lett. dzet ‚ste-
chen, brennen‘; mkymr. bel ‚schlägt (zu)‘ (auch
erðifel ‚zerschlägt‘) (< urkelt. *bel-e/o- mit se-
kundärer Thematisierung).
Bei der Herleitung aus einem athem. Präs. muss
die Bed. im Germ. nach LIV² 207 Fn. 5 aus dem
Med. ‚sich quälen‘ stammen.
Dazu gehört auch eine Kausativ-Iterativ-Bildung
uridg. *golH-ée/o-, fortgesetzt in ahd. quellen
‚quälen, plagen‘ (s. d.) und vielleicht in apreuß.
gallintwey, gallintwei ‚töten‘ (in dem Fall
sekundär weitergebildet mit dem balt. Kaus.
suff. -in- [LIV² 207 Fn. 6]); eine denom. Ab-
leitung von akk.sg. gallan ‚Tod, der Tote‘ (wie
ebd. auch angeführt) liegt für das apreuß. Verb
aber näher.
Zur Verdrängung der Wortgruppe im Slaw.
durch homonymes aksl. želěti ‚wünschen, be-
gehren‘ vgl. zuletzt ALEW 1, 310 mit Literatur.

Dagegen nimmt Müller 2007: 281 aus semantischen
Gründen und wegen des von ihm als unwahrscheinlich
betrachteten Ausbleibens der Resonantengemination
durch Laryngal für das st.v. urgerm. *kele/a- eine Rück-
bildung zu urgerm. *kale/a- (s. quellen) an. Beides ist
jedoch nicht zwingend.

Möglich, aber letztendlich nicht beweisbar, ist
die Zusammenstellung von *gelH- mit uridg.
*gelh₁- ‚treffen, werfen‘. Dann müsste sich die
Bed. ‚stechen, schmerzen, töten‘ aus ‚treffen‘
entwickelt haben (vgl. LIV² 207 Fn. 1).

Walde-Pokorny 1, 689 f.; Pokorny 470 f.; LIV² 207;
Hübschmann, Arm. Gr. 459; Martirosyan, Et. dict. of
Arm. 357 f.; Trautmann, Balt.-Slav. Wb. 83; Derksen, Et.
dict. of Balt. 170; Fraenkel, Lit. et. Wb. 1, 145 f.;
Smoczyński, Słow. et. jęz. lit.² s. v. gélti; ALEW 1, 309 f.;
Mühlenbach-Endzelin, Lett.-dt. Wb. 1, 541; Karulis,
Latv. et. vārd. 247; Trautmann, Apreuß. Spr.denkm.
334 f.; Mažiulis, Apreuß. et. Wb.² 208 f.; Toporov,
Prusskij jazyk E-H 142 ff.; Smoczyński, Lex. d. apreuß.
Verb. 140; Fick 2 (Kelt.)⁴ 173; Matasović, Et. dict. of
Proto-Celt. 61; Schumacher, Kelt. Primärverb. 218;
Dict. of Welsh 1, 270. – Müller 2007: 280 f.

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