râcha f. ō-St., in Gl. 1,279,22 (2 Hss.,
Rb und frühes 9. Jh, alem.). 528,58 (Hs. aus
dem 11. Jh., Zeit des Gl.eintrags unbekannt,
obd.) und in MF, bei Npg, Npw: ‚Vergeltung,
Rache, Strafe Gottes; fulmen, homicidium, ultio,
vindicta‘ 〈Var.: -hh-〉. Die Belege geben keinen
unmittelbaren Hinweis auf die Vokalquantität;
die Formen könnten daher wenigstens teilweise
auch zu einem Ansatz ahd. racha (< *u̯rakō-)
und vielleicht sogar zu einer Vorform
*u̯raki̯ō- (zur Schreibung -ch- bei N für gemi-
niertes *-kk- vgl. Braune-Heidermanns 2018:
§ 144 Anm. 2b) gehören; beide Formen hätten
Entsprechungen in anderen germ. Sprachen
(s. u.). – Mhd. râche, râch st.f. ‚Vergeltung ei-
nes Unrechts, Strafe, Rache‘, nhd. (mit Kür-
zung von -a- im 17. Jh.; ähnlich in Fällen wie
ahd. lâzan : nhd. lassen) Rache f. ‚persönliche,
oft von Emotionen geleitete Vergeltung einer
als böse, besonders als persönlich erlittenes Un-
recht empfundenen Tat‘.
Ahd. Wb. 7, 647 ff.; Splett, Ahd. Wb. 1, 734; eKöbler,
Ahd. Wb. s. v. rāhha; Schützeichel⁷ 252; Starck-Wells
471; Schützeichel, Glossenwortschatz 7, 313; Bergmann-
Stricker, Katalog Nr. 296 (II). 555. 725 (I); Seebold,
ChWdW9 667. 1100; Graff 1, 1135; Lexer 2, 331 f.; 3,
Nachtr. 343; Diefenbach, Gl. lat.-germ. 620 (vindicta).
625 (ultio); Götz, Lat.-ahd.-nhd. Wb. 711 (vindicta); Dt.
Wb. 14, 14 ff.; Kluge²¹ 576; Kluge²⁵ s. v. Rache; ePfeifer,
Et. Wb. s. v. Rache.
In den anderen germ. Sprachen entsprechen: as.
wrāka f. ‚Rache, Vergeltung, Totschlag‘ (Hel
M 3246 〈uureka〉; zu e neben a für westgerm.
*ā vgl. Gallée [1903] 1977: § 82), mndd. wrake
f. ‚Strafe, Rache‘ (neben rach f. ‚dss.‘ aus dem
Hochdt.); andfrk. wrāka f. ‚Rache, Vergeltung‘,
frühmndl. wrake f. ‚Rache, Strafe, Vergeltung‘,
mndl. wrake (wraec, warake) (f.) ‚Rache,
Strafe, Vergeltung, Buße, Versöhnung‘, nndl.
wraak (f.) ‚Rache, Ahndung‘; afries. wrēk(e) f.
‚Vergeltung‘, nwestfries. (aus dem Ndl.) wraak
m./f. ‚Vergeltung, Rache‘, saterfries. wräike f.
‚Rache‘, nnordfries. wraak ‚dss.‘; aisl. -rák (in
klaufrák f. ‚Viehtreiben‘), nisl. rák f. ‚Streifen‘,
fär. rák n. ‚Strom‘, nnorw. (nn.) råk ‚Spuren-
reihe, Viehweg‘: < urgerm. *u̯rēkō-.
Die Entstehung der andfrk. und (früh-)mndl. Formen
aus urgerm. *u̯rēkō- ist zwar wahrscheinlich, die über-
lieferten Formen lassen aber auch einen Anschluss an
urgerm. *u̯rakō- (s. u.) zu (vgl. Franck, Et. wb. d. ndl.
taal² Suppl. 198).
Die nordgerm. Bed. der Ableitung urgerm. *u̯rēkō- geht
von der dort beim Verb aisl. reka belegten Bed. ‚treiben‘
aus. Die nordgerm. Formen können etym. auch anders
zugeordnet werden, nämlich als Ableitung zur Wz. ur-
germ. *rek- ‚gerade‘ (s. reht¹); im Schwed. ist der gegen-
seitige Einfluss zwischen beiden Wz. im Nebeneinander
von nschwed. råk : vråk ‚Spalte im Eis, wo die Eiskanten
eine Erhöhung oder Senkung bilden‘ und nschwed. dial.
råk ‚Furche, Heuschwaden‘ : vråk ‚erhöhter Streifen im
Holz‘ erkennbar.
Daneben stehen noch weitere Bildungen, u. a.:
urgerm. *u̯rakō- f. > got. wraka* f. ‚Verfol-
gung; διωγμός‘, ae. wracu f. ‚Rache, Verfol-
gung, Strafe, Grausamkeit, Elend, Qual‘, me.
wrk(e) (neben wrack[e], wrach[e], frühme.
wrace, wraca) ‚Rache, Verfolgung, Strafe, Ver-
nichtung, Auslöschung, Qual, Schmerz, Un-
glück, Elend, Übel, Feindseligkeit‘, frühne.
wrake ‚dss.‘; urgerm. *u̯raki̯ō- f. > got. wrakja
f. ‚Verfolgung; διωγμός‘; westgerm. *u̯rāki̯ō- f.
> me. wrēch(e) (wrecche, wrieche, vrecche,
wrǣche) ‚Rache, Vergeltung‘, wrēke (wrek)
‚dss.‘, frühne. wreche ‚dss.‘, ne. wreak ‚dss.‘;
urgerm. *u̯raka- n. > got. (mit Bed.wandel und
damit einhergehendem Genuswechsel) wraks
m. ‚Verfolger; διώκτης‘‚ as. wrak- (in wraksīth
m. ‚Weg in die Verbannung, Reise in die
Fremde‘), ae. wræc n. ‚Rache, Verfolgung, Ver-
bannung, Elend, Leid‘; nordgerm. *u̯rāki̯a- >
nisl. ræki n. ‚Durchführung, intensive An-
strengung‘.
Urgerm. *u̯raki̯ō- ist wohl auch im KVG
recha- (s. rechagern) fortgesetzt.
Überlieferungsbedingt bleibt unsicher, ob im
Ae. neben den anderen Formen auch ein Fem.
wrǣc ‚Rache‘ als Kontinuante von westgerm.
*u̯rāki̯ō- f. bezeugt ist (vgl. u. a. Bosworth-
Toller, AS Dict. 1268 f.; Wissmann 1932: 115
Fn. 1).
In den Wörterbüchern findet sich regelmäßig
der Ansatz afries. wrētze f. ‚Vergeltung‘, des-
sen Vokalquantität aber unklar ist; als Vorform
kommen daher westgerm. *u̯rāki̯ō- als auch
*u̯raki̯ō- (s. o.) in Betracht.
Ein i-St. westgerm. *u̯reki- ist die Basis für
ahd. -rih (in girih [s. d.]), ein weiterer i-St. west-
germ. *u̯reχti- für ahd. -riht (in giriht [s. d.]).
Sämtliche Formen sind Ableitungen von der
Wz. in urgerm. *u̯reke/a- (s. rechan¹).
Fick 3 (Germ.)⁴ 416; Kroonen, Et. dict. of Pgm. 595;
Seebold, Germ. st. Verben 569; Tiefenbach, As. Handwb.
477; Sehrt, Wb. z. Hel.² 719; Berr, Et. Gl. to Hel. 458;
Wadstein, Kl. as. Spr.denkm. 249; Lasch-Borchling,
Mndd. Handwb. 2, 2, 1830; Schiller-Lübben, Mndd. Wb.
5, 775 f.; ONW s. v. wrāka; VMNW s. v. wrake; Verwijs-
Verdam, Mndl. wb. 9, 2846 ff.; Franck, Et. wb. d. ndl.
taal² 804; Suppl. 198; Vries, Ndls. et. wb. 848; Et. wb.
Ndl. S-Z 639; WNT s. v. wraak¹; Hofmann-Popkema,
Afries. Wb. 601; Richthofen, Afries. Wb. 1161; eFryske
wb. s. v. wraak¹; Dijkstra, Friesch Wb. 3, 475 f.; Fort, Sa-
terfries. Wb.² 759; Sjölin, Et. Handwb. d. Festlnordfries.
XXXV; Holthausen, Ae. et. Wb. 406; Bosworth-Toller,
AS Dict. 1268 f. 1269; Suppl. 749; Suppl. 2, 67; eMED
s. vv. wrk(e) n., wrēch(e) n., wrēke n.; eOED s. vv.
†wrake n.¹, wreak n., †wreche n.; Vries, Anord. et. Wb.²
432; Jóhannesson, Isl. et. Wb. 718; Fritzner, Ordb. o. d. g.
norske sprog 2, 294; ONP s. v. klaufrák; Magnússon, Ísl.
Orðsb. 739. 785; Falk-Torp, Norw.-dän. et. Wb. 2, 866 f.
(raak¹). 1530 (raak¹); Torp, Nynorsk et. ordb. 519 (raak¹);
NOB s. v. (nn.) råk²; Hellquist, Svensk et. ordb.³ 2, 864
(råk¹). 1369 (vråk²); Svenska akad. ordb. s. vv. råk subst.⁴,
vråk subst.²; Feist, Vgl. Wb. d. got. Spr. 573; Lehmann,
Gothic Et. Dict. W-93. – Bammesberger 1990: 109. 111.
114. 137. 143; Bjorvand 1994: 211; Casaretto 2004: 53.
101. 151 f.; Thöny 2013: 182. 209.
S. rechan¹.
RS