ramese*
Band VII, Spalte 167
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ramese* m./f. a/ō(n)-St.?, Gl. 3,566,48
(in 2 Hss., 14. Jh., bair.[-obd.], bei 1 Hs. des 14.
Jh.s Zeit des Gl.eintrags unbekannt). 568,28 (in
2 Hss., 14. Jh., bair.[-obd.], bei 1 Hs. des 14.
Jh.s Zeit des Gl.eintrags unbekannt); 5,47,27
(spätes 10. oder 11. Jh.): ‚Bären-Lauch, Bär-
lauch ?, Schwarzer Nachtschatten ?; acidula,
stignum [= strychnos], ulpicum‘ 〈Var.: ramu-
sia〉. – Mhd. ramser sw.m. ‚allium ursinum‘ (nur
bei Benecke 2, 1, 552 gelistet), nhd. dial. rams
m. ‚Bär(en)lauch‘ mit den Nebenformen ramse,
ramsel(e), ramser, ramsen, rämse, ramsch u. a.,
z. B. schweiz. rams, ränzen, remsen f. u.ä.
‚Bär(en)lauch, Allium ursinum‘, els. ramsen
‚geflügelter Ginster, Bär(en)lauch‘, luxem.
ramsch ‚Bärlauch, Knoblauchsranke‘, bair.
ramser ‚Bärlauch‘, schwäb. ramse(l) ‚dss.‘,
bad. ramse(le) ‚dss.‘, vorarlb. rämse ‚dss.‘, ti-
rol. rams m. ‚dss.‘, steir. ramselwurz ‚Wurzel
des Waldknoblauchs‘, thür. ramsel ‚dss.‘. Wie
in Schweiz. Id. 6, 956. 1165 angemerkt, wird die
Var. schweiz. (Appenzell) chrämsen, kremsen
wohl eine Verschreibung sein, könnte vielleicht
aber auch den Anlaut analogisch aus einer an-
deren Pflanzenbez. übernommen oder (weniger
wahrscheinlich) als Archaismus den alten germ.
Anlaut *χ- (s. u.) bewahrt haben. Daneben be-
gegnet auch noch nhd. (dial.) germsel ‚Bärlauch,
Gerinnsel‘; dieses könnte eine Art Koll.bildung
zu o. g. nhd. dial. ramsel sein und auf *ge-
ramsel zurückgehen, allerdings müsste hier an-
ders als sonst üblich entweder der Stammvokal
ausgefallen oder Metathese *g(e)ramsel >
*germsel eingetreten sein. Ausgangspunkt die-
ser Bildung könnte die Tatsache sein, dass der
in ganz Europa (mit Ausnahme des Mittelmeer-
raums und der ungarischen Tiefebene) sowie in
Nordasien verbreitete Bärlauch gewöhnlich an
feuchten Flächen in Laubwäldern und Auwäl-
dern großflächig auftritt.
Das Wort kann auch in ON wie Ramsau enthal-
ten sein, möglich ist im KVG aber auch ahd.
ram (s. ram²) oder raban (s. d.).

Ahd. Wb. 7, 664 f. (s. v. [h]ramusia); Splett, Ahd. Wb.
1, 724; eKöbler, Ahd. Wb. s. vv. ramese, ramusia;
Schützeichel⁷ 253; Starck-Wells 471. 828; Schützeichel,
Glossenwortschatz 7, 317 f.; Bergmann-Stricker, Kata-
log Nr. 285 (II). 455. 879; Diefenbach, Gl. lat.-germ. 7
(*accedula). 556 (strych-, strignos, -num, -nus); Kluge²¹
580; Kluge²⁵ s. v. Rams; Dt. Wb. 14, 82. – Schweiz. Id.
6, 955 f. (Rams²). 1165 (Ränzen); Stalder, Versuch eines
schweiz. Id. 2, 256; Martin-Lienhart, Wb. d. els. Mdaa.
2, 261; Ochs, Bad. Wb. 4, 180 f.; Fischer, Schwäb. Wb.
5, 123 f.; 6, 2 Nachtr. 2746; Jutz, Vorarlberg. Wb. 2, 640;
Schmeller, Bayer. Wb.² 2, 101; Schatz, Wb. d. tirol.
Mdaa. 2, 470; Unger-Khull, Steir. Wortschatz 490; Lu-
xemb. Wb. 4, 10; Spangenberg, Thür. Wb. 5, 28; Mitzka,
Schles. Wb. 2, 1071. – Marzell [1943–79] 2000: 1,
210 ff.; Bach 1952 ff.: 2, 1, § 328 (S. 321).

In den anderen germ. Sprachen entsprechen:
mndd. rāmese, rēmese ‚Bärenlauch‘; ae. hramesa,
hremsa f., pl. hramsan ‚Zwiebel, Bärenlauch‘,
me. ram(e)se, ram(p)sis, rammis, ram(p)sen,
-so(u)n ‚dss.‘, ne. ramp, ram(p)s, ramson(s),
veraltet und dial. auch ramsey ‚wilder Knob-
lauch‘, auch als KHG in ne. obs. buckrams
‚dss.‘ (VG ne. buck ‚Ziegenbock‘); nisl. rams
‚Bärlauch‘, fär. ndän. (dial.) rams, †ramse ‚Bä-
renlauch‘ sowie als VG in ramsløg ‚dss.‘,
nnorw. (dial.) rams sowie im verdeutlichenden
Komp. (bm./nn.) ramsløk, (nn.) ramslauk ‚dss.‘,
ält. nschwed. und nschwed. dial. rams, ramsk
‚dss.‘ sowie im verdeutlichenden Komp. rams-
lök ‚dss.‘: < urgerm. *χramu/e/as()a/ō(n)-.
Die bei Tiefenbach, As. Handwb. 180 gebuchte
Form as. *(h)ramusia ist ahd.
Bei den nordgerm. Wortformen kann es sich
auch um Entlehnungen aus dem Mndd. han-
deln. Sollten sie keine Entlehnungen sein, wei-
sen sie eher auf eine Suff.var. nordgerm.
*-isa- und frühe Synkope oder auf *-asa-, da
urgerm. *-usa- u-Umlaut bewirkt hätte.

Fick 3 (Germ.)⁴ 103; Kroonen, Et. dict. of Pgm. 242 f.;
Tiefenbach, As. Handwb. 180; Lasch-Borchling, Mndd.
Handwb. 2, 2, 2027; Schiller-Lübben, Mndd. Wb. 3,
418; Holthausen, Ae. et. Wb. 172; Bosworth-Toller, AS
Dict. 556; Suppl. 563; eMED s. vv. ramse n., ramsen n.;
Klein, Compr. et. dict. of the Engl. lang. 1, 207; 2, 1299;
eOED² s. vv. †buckrams n., ramp n.⁷, ramps n.¹, rams
n., ramsey n., ramsons n.¹; Magnússon, Ísl. Orðsb. 741
(rams¹); Falk-Torp, Norw.-dän. et. Wb. 2, 875 f.; Nielsen,
Dansk et. ordb. 338 f.; Ordb. o. d. danske sprog 17,
384 (rams¹). 385 (ramsløg); Bjorvand, Våre arveord²
859 ff.; Torp, Nynorsk et. ordb. 512; NOB s. vv.
(bm./nn.) rams, ramsløk, (nn.) ramslauk; NOBFM s. vv.
rams, ramslauk; Hellquist, Svensk et. ordb.³ 2, 814;
Svenska akad. ordb. s. v. rams subst.¹. – Levickij 2010:
1, 276 (hram¹).

Urgerm. *χramu/e/as()a/ō(n)- führt auf vorur-
germ. *krom-u/o/es-o/ā(n)- zurück. Abgeleitet
ist der PflN von der Wz. uridg. *k/rem(H)-
‚Zwiebel, Knoblauch, Eberesche‘. Zugehörig
sind des Weiteren: gr. κρόμμυον, κρόμυον n.
‚Zwiebel‘ < vorurgr. *krom-(m)us-o- neben gr.
Hes. κρέμυον n. ‚dss.‘ < vorurgr. *krem-us-o-.
Gut bezeugt sind Fortsetzer auch im Kelt.: mir.
crem, crim m., gen. crema ‚wilder Knoblauch‘,
nir. creamh ‚dss.‘ < urkelt. *krem-u/o-/*krim-u/o-
< vorurkelt. *krem-u/o-/*km-u/o- (wobei sich
mit dem Ansatz eines u-St. alle Formen erklä-
ren lassen) neben kymr. craf, cra ‚Knoblauch‘
(koll.), abret. cram, nbret. krav ‚wilde Zwiebel‘
< urkelt. *kram-o/u- mit sekundärem Schwund-
stufen-a. Alternativ kann das -a- auch als se-
kundär entrundetes *o neben Labial erklärt
werden. Theoretisch möglich erscheint die
Erklärung mittels einer laryngalhaltigen Wz.
*kremH-: Wird vorurkelt. *krmHu- etwa im
Nom.Sg. regulär als *krHu- vokalisiert, ergibt
sich urkelt. *kramu-. Es gibt freilich keinen da-
von unabhängigen Hinweis auf wz.schließen-
den Laryngal.
Dass ON wie Cremōna (Norditalien) und Krems
(Österreich; < Cremisa) u. a. kelt. Ursprungs
sind und zu dieser Sippe gehören, ist möglich,
aber kaum zu beweisen.
Ebenfalls gut bezeugt sind Verwandte des germ.
Worts im Balt. und Slaw. Diese zeigen aber
Vollstufe I, die im Vergleich zu den Formen des
Gr. und Kelt. dann entweder als Schwebeablaut
oder über eine kaum mehr zu ergründende
Folge von internen Derivationsschritten er-
klärt werden muss. Vgl. im Balt. alit. kermušis
m., lit. kermùšė f. < urbalt. *kerm-usi(ā)- ‚wil-
der Knoblauch‘. Als Weiterbildung zugehörig
ist auch lett. cērmauksis [cȩ̀rmaûksis] m. ne-
ben sērmauksis [sȩ̀rmaûksis] m., sērmūkslis
[sȩ̀rmûkslis] m. etc. Hier wie bei einigen slaw.
Wortformen mit anlautendem s- ist unklar, ob
es sich um eine Dissimilation bzw. analogische
Umformung handelt oder diese Varianz auf
uridg. *- deutet, das im (Vor-)Urbalt.-Slaw.
z.T. vor *r zu *k- entpalatalisiert worden ist.
Das Slaw. bietet: russ. čeremšá f. < gemeinslaw.
*kermъ/ьša- < urslaw. *kerm-u/isā- neben
serb., kroat. crȉjemuša, crèmuža, srȉjemuša f.
(mit Anlautvereinfachung?) etc. ‚wilder Knob-
lauch‘ < gemeinslaw. *kermuša- < urslaw.
*kerm-osā-, poln. trzemucha f. ‚dss.‘ < ge-
meinslaw. *kermuxa- < urslaw. *kerm-o-,
ksl. črěmošь m. ‚wilder Knoblauch‘, slowen.
čremoš, -ž < gemeinslaw. *kermoš’a- < urslaw.
*kerm-asā-.
Daneben findet sich im Slaw. noch die Sippe
um aruss. čeremъcha f., russ. čerëm(ch)a,
čerëmucha f. ‚Faulbaum, Ahlkirsche‘, ukrain.
čerémucha f., wruss. čaramšá f., slowen.
črẹ̑mha, črẹ̑msa f. etc. (neben srę̑mha, srę̑msa),
kroat. cremša, cremza, crimza f. (daneben
sremza), atschech. třěmcha f., tschech. střemcha
f. ‚Traubenkirsche‘, slowak. čremcha f., poln.
trzemcha f. ‚dss.‘. Die Übertragung der Bez.
vom Bärlauch und Zwiebeln auf den Baum
dürfte auf dem intensiven Geruch beider Pflan-
zenarten beruhen: Die Rinde des Faulbaums
riecht faulig, Blätter und Beeren der Trauben-
kirsche schmecken herb.
Aus dem Germ., wahrscheinlich dem Ae. über-
nommen sind lat. ramusia f. ‚dss.‘ (10. Jh. in
einer dt. Quelle mutmaßlich engl. Provenienz),
ramusium n. (ca. 1025 in einer brit. Quelle),
ramuscium n. (ca. 1125 in einer brit. Quelle).
Alle o. g. Ableitungen von der Wz. uridg.
*k/rem(H)- korrekt herzuleiten, ist wohl nicht
möglich. Ob die Wz. nun einen anlautenden
Velar oder Palatal hatte, ist nicht sicher zu klä-
ren und hängt von der Bewertung der balt. und
slaw. Nebenformen ab. Möglich bleibt auch der
vereinzelt erwogene Zusammenfall zweier ur-
spr. getrennter Wz. Ebenfalls nicht eindeutig zu
erschließen ist der wz.auslautende Laryngal.
Gleichwohl muss man nicht mit einem Sub-
stratwort oder Kulturwanderwort rechnen. Auf-
grund der weiten Verbreitung können die Ab-
leitungen von dieser Wz. auch mehrfach zu
verschiedenen Zeiten und an verschiedenen
Orten erfolgt sein. Grundlage der meisten Bil-
dungen dürfte jedenfalls entweder ein akrosta-
tischer u-St. *k/rém(H)-u-, gen. *k/róm(H)-
u-s und/oder ein proterokinetischer u-St.
*k/rém(H)-u-s, gen. *k/rm(H)-é-s gewesen
sein (im Kelt. fortgesetzt). Ausgehend von voll-
stufigen Formen dieser u-St. können sekundäre
Weiterbildungen mit einem Suff. *-s(o)- erfolgt
sein (Germ., Gr.). Ausgehend von der schwund-
stufigen Wz.gestalt *k/rm(H)- des proterokine-
tischen u-St. kann mittels Vddhi-Ableitung
eine neue Vollstufe *k/erm(H)- entstanden
sein, die dann Basis weiterer Ableitungen
wurde oder zum vollständigen Ersatz der alten
Bildungen führte (Balt., Slaw.).
Akzeptiert man die Möglichkeit der Depalatali-
sierung von uridg. */_r ergibt sich mit S.
Ziegler, in Neri-Sturm-Ziegler 2016: 178 f. die
Möglichkeit der Verbindung mit der Wz. uridg.
*remH- ‚brennen‘ (LIV² 369): Zugrunde liegt
dann eine Bildung nordwestidg. *remH-
ōs/us-, romH-es/us- ‚das, was brennt‘ (be-
zogen auf den scharfen Geschmack von Bär-
lauch und ähnlichen Gewächsen), von der aus-
gehend die o.a. balt., slaw. und germ. Formen
abgeleitet worden sein können.

Walde-Pokorny 1, 426 f.; Pokorny 580 f.; Frisk, Gr. et.
Wb. 2, 23 f.; Chantraine, Dict. ét. gr.² 563; Beekes, Et.
dict. of Gr. 1, 782 f.; Trautmann, Balt.-Slav. Wb. 128 f.;
Berneker, Slav. et. Wb. 1, 145 f.; Trubačëv, Ėt. slov. slav.
jaz. 4, 66 ff.; Derksen, Et. dict. of Slav. 82. 444; Bezlaj,
Et. slov. slov. jez. 1, 87; Snoj, Slov. et. slov.³ 120; Vasmer,
Russ. et. Wb. 3, 321; ders., Ėt. slov. russ. jaz. 4, 339;
Derksen, Et. dict. of Balt. 239 f.; Fraenkel, Lit. et. Wb. 1,
243; Smoczyński, Słow. et. jęz. lit.² 501; ALEW 1, 479;
Mühlenbach-Endzelin, Lett.-dt. Wb. 1, 375; 3, 879; 6,
478; Karulis, Latv. et. vārd. 2, 172; Fick 2 (Kelt.)⁴ 98;
Holder, Acelt. Spr. 1, 1158 ff.; Matasović, Et. dict. of
Proto-Celt. 222; Delamarre, Dict. gaul.³ 129; Vendryes,
Lex. ét. de l’irl. anc. C-229; Dict. of Irish C-520; Dict. of
Welsh 1, 575; Deshayes, Dict. ét. du bret. 428. – Brückner
[1927] 1993: 580 f.; Skok 1971–1974: 1, 272 f.; R.
Matasović, in Meiser-Hackstein 2005: 369 f.; Orel 2011:
4, 213; Rejzek 2015: 668; S. Ziegler, in Neri-Sturm-
Ziegler 2016: 177–180.

HB

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