ratta
Band VII, Spalte 217
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ratta f. ōn-St., seit dem 10. Jh. in Gl.:
‚Ratte (Mus rattus), Hausratte (Rattus rattus);
animal, glis, sorex‘ 〈Var.: -â-; -dd-, -t-, -th-,
-tz-; -tt, -th; -e〉. – Mhd. ratte sw.f. ‚Ratte‘, nhd.
Ratte f. ‚größeres mausähnliches Nagetier,
(übertr.) gemeiner Mensch‘.
Daneben finden sich im Dt. mit anderem
wz.schließendem Dental ahd. ratza f. (s. d.),
mhd. ratz(e), nhd. dial. (obd., z. B. bair.) ratz m.
(nhd. dial. kann ratz neben ‚Ratte‘ auch ‚Mar-
der, Iltis‘ bedeuten) und ahd. rato m. an-St.
‚dss.‘ (s. rato²), mhd. rat(e) sw.m. ‚dss.‘.

Ahd. Wb. 7, 633 f.; Splett, Ahd. Wb. 1, 728; eKöbler,
Ahd. Wb. s. v. ratta; Schützeichel⁷ 254; Starck-Wells
474; Schützeichel, Glossenwortschatz 7, 337; Seebold,
ChWdW9 662. 1100 (rato [fälschlich angesetzt als ratto]);
Graff 2, 470 (s. v. rato); Lexer 2, 346; Diefenbach, Gl.
lat.-germ. 265 (glis). 543 (sorex); Götz, Lat.-ahd.-nhd.
Wb. 290 (glis¹); Dt. Wb. 14, 204 f.; Kluge²¹ 585; Kluge²⁵
s. v. Ratte; ePfeifer, Et. Wb. s. v. Ratte.

Dem nur ahd. radda/ratta, mhd. radde/ratte,
nhd. Ratte kann urgerm. *raþþōn- zugrunde
liegen. Dieser Ansatz ist mit Kroonen 2011:
222 einem sonst vorgenommenen Ansatz
*rađđōn- vorzuziehen, da die im Ahd. bezeug-
ten Formen mit -dd- als daraus entstandene
Vorstufen der später üblichen Formen mit -tt- be-
griffen werden können (Braune-Heidermanns
2018: § 167 Anm. 10); s. u. Daneben stehen
ahd. rato, mhd. rate < urgerm. *rađan- und ahd.
ratza f., mhd. ratz(e), nhd. dial. (obd., z. B.
bair.) ratz m. < urgerm. *rattōn-. Diesen ent-
sprechen in den anderen germ. Sprachen in der-
selben Bed. verschiedene Bildungen:
1) as. ratta sw.f., mndd. ratte f.; mndl. ratte f.,
nndl. rat; me. ratte: < urgerm. *rattōn-.
2) ae. ræt(t) f., me. raat, ne. rat < urgerm. *rattō-.
3) Dagegen gehen mndd. rotte; mndl. rotte,
nndl. rot; nwestfries. rōt, rotte-, saterfries.
rotte; me. rotte, ne. dial. rot; aisl. rottu- im
BeiN Rottuhryggr ‚Rattenrücken‘, nisl. rotta,
ndän. rotte, nnorw. (bm.) rotta, (nn./bm.) rotte,
aschwed. rotta, schwed. råtta auf urgerm.
*ruttōn- zurück, wobei im Falle der nordgerm.
Wörtern zudem Entlehnung aus dem Mndl./
Mndd. möglich ist.
Das Engl. zeigt weiter in me. ratoun, ratun,
raton ‚Ratte‘, ne. ratton ‚dss.‘ eine Entlehnung
aus anglonorm. ratoun, afrz., mfrz. raton
‚(kleine) Ratte‘ (s. u.) sowie dazu die Var. ne.
rottan ‚dss.‘, das in der Wz. Angleichung des
Vokals an die ne. dial. Var. rot ‚dss.‘ zeigt.

Fick 3 (Germ.)⁴ 336; Kroonen, Et. dict. of Pgm. 405;
Tiefenbach, As. Handwb. 310; Lasch-Borchling,
Mndd. Handwb. 2, 2, 2273; VMNW s. v. ratte; Verwijs-
Verdam, Mndl. wb. 6, 1067 f. 1648.; Franck, Et. wb. d.
ndl. taal² 536; Suppl. 135; Vries, Ndls. et. wb. 563 f.;
Et. wb. Ndl. Ke-R 628; WNT s. vv. rat, rot¹; Fryske wb.
18, 160 ff.; Dijkstra, Friesch Wb. 3, 42; Fort, Saterfries.
Wb.² 498; Holthausen, Ae. et. Wb. 254; Bosworth-
Toller, AS Dict. 785; eMED s. vv. rat, ratoun; Klein,
Compr. et. dict. of the Engl. lang. 2, 1303; eOED s. vv.
rat n.¹, ratton n., rottan n.; ONP s. v. *rottuhryggr;
Holthausen, Vgl. Wb. d. Awestnord. 232; Magnússon,
Ísl. Orðsb. 775 (rotta¹); Falk-Torp, Norw.-dän. et. Wb.
2, 913. 1534; Nielsen, Dansk et. ordb. 349; Ordb. o. d.
danske sprog 17, 1299 ff.; Torp, Nynorsk et. ordb. 545;
NOB s. vv. (bm.) rotta, (bm./nn.) rotte¹; Hellquist,
Svensk et. ordb.³ 2, 865; Svenska akad. ordb. s. v. råtta. –
Palander 1899: 74 f.; Lühr 1988: 283–285; Kroonen
2011: 221–223.

Zu den germ. Wörtern gehörige Lexeme zeigen
sich nur im Kelt. und Rom. Die sehr späte Be-
zeugung dieser Wörter im Lat. (erst ab dem
Hochmittelalter) und die innergerm. gut erklär-
baren Ablaut- und Kons.variationen deuten
eher auf Entlehnung aus dem Germ. in die an-
deren Sprachen als umgekehrt, auch wenn die
Ausbreitung der urspr. in Südostasien heimi-
schen Hausratte nach Mitteleuropa wohl im
Gefolge der römischen Expansion erfolgte.
Im Lat. bzw. Rom. sind bezeugt: nachklass.
lat./mlat. (ab dem 12. Jh. n. Chr.) rat(t)us m.
‚Ratte‘, afrz., mfrz., nfrz. rat m. ‚Ratte‘, afrz.,
mfrz. rate f. ‚Rättin‘, aprov. rata f., rat m.
‚Maus‘, katal. rata f., rat m. ‚dss.‘, aitalien.
ratto m., span. rata f., span., port. rato m.
‚Maus‘.
Daneben steht mlat. ratō, -ōnis m. ‚(kleine)
Ratte‘ (bes. ab Mitte des 13. Jh.s in brit. Quel-
len), afrz., mfrz. raton ‚dss.‘, aprov., span.
raton ‚dss.‘.
Aus mlat./rom. ratt- ist bret. raz ‚Ratte‘ ent-
lehnt. U.a. bei Lühr 1988: 284 und Kroonen
2011: 223 nach Lühr angeführtes mir. rata
konnte in den Wörterbüchern nicht verifiziert
werden, bei Lühr a. a. O. angeführtes schott.-
gäl. radán ‚Ratte‘ ist möglicherweise aus
schott.-engl. ratton entlehnt.
Eine gesicherte Etym. kann vorläufig nicht ge-
geben werden, alle bisher vorgestellten Her-
leitungen weisen in unterschiedlichem Maße
Schwächen auf:
Die älteren Etymologika nehmen einen Zu-
sammenhang der Tierbez. mit lat. rādere
‚kratzen‘ bzw. rōdere ‚nagen‘ und somit oft
auch mit ahd. râzi (s. d.; Weiteres zur Etym.
der beiden lat. Verben ebd.) an, wobei aber der
Anschluss an rādere < uridg. *rasd- oder
*(H)reh₂s-dh(h₁)- wegen der anzusetzenden
Wz.gestalt nun entfällt. Damit ist auch der auf
der Verbindung mit diesem lat. Verb basierende
Ansatz einer Verbalwz. urgerm. *rađ- (so Lühr
1988: 284) als Grundlage der Bez. für die Ratte
hinfällig.
Lat. rōdere kann aus uridg. *Hreh₃d-e/o- ent-
standen sein. Liegt die Wz. uridg. *Hreh₃d-
auch der Tierbez. zugrunde, ergibt sich ein
ablautendes Paradigma uridg. *Hréh₃d-on-,
*Hh₃d-n-´ > urgerm. *rōt-an-, *urtt- → *rutt-,
das weiter analogisch zu *ratt- (mit geneuertem
Vokalismus der st. Kasus nach der zahlreichen
Klasse der anderen an-St. mit urspr. o-Vokalis-
mus in der Wz. und Verallgemeinerung des
Auslauts der sw. Kasus) umgestaltet wurde.
Eine überzeugende Erklärung für die für einige
der dt. Tierbez. vorauszusetzenden Vorformen
urgerm. *raþþōn- und *rađan- steht noch aus.
Auf ähnliche Schwierigkeiten trifft der Ansatz
auf Grundlage einer Wz. uridg. *reh₁dh- von
Lühr 1988: 285: Uridg. *reh₁dh-on-, *rh₁dh-n-´
liefert zunächst einmal ein Paradigma urgerm.
*rēđ-an-, *urtt- → *rutt-, aus dem die bezeugten
Formen nur durch verschiedene analogische Vor-
gänge entstanden sein können: So muss auch hier
mit der Einführung einer sekundären Vollstufe
*ra- gerechnet werden und neben lautgesetzlich
entstandenem *-đ- und *-tt- sekundär auch
*-đđ- bzw. *-þþ- entstanden sein (Lühr rechnet
ausschließlich mit ersterem). Die Doppelmedia
*-đđ- kann dabei expressiver Natur oder laut-
symbolisch sein (so Lühr 1988: 305).
Nach Kroonen 2011: 222 f. lässt sich besser ein
Paradigma uridg. *Hrót-ōn, gen. *Ht-n-ós,
lok. *Ht-én-i > urgerm. *raþ-ōn, gen. *urttaz
→ *ruttaz, lok. *urđeni → *ruđeni rekonstru-
ieren, woraus neben lautgesetzlichem *raþ-
und *rutt- durch Verallgemeinerung des Vokals
der st. Kasus die Lautform *rađ- und durch
sekundäre (expressive?) Geminierung auch
*raþþ- entstanden. Problematisch bleibt hierbei
der Ansatz einer Wz. uridg. *Hret-, die sonst
keine Fortsetzer zu haben scheint.
Zur Diskussion gestellt sei, ob nicht die Wz.
uridg. *ret- ‚laufen‘ (Pokorny 866; LIV² 507)
zugrunde lag und das Tier im Germ. nicht als
der ‚Nager‘ oder ‚Kratzer‘, sondern vielmehr
als der ‚Läufer‘ bezeichnet worden sein kann.

Walde-Pokorny 2, 369; Pokorny 854; Niermeyer, Med.
Lat. lex.² 2, 1154; Du Cange² 7, 29 (ratus¹, rattus¹);
Körting, Lat.-rom. Wb.³ Nr. 7808; Meyer-Lübke, Rom.
et. Wb.³ Nr. 7089a; Wartburg, Frz. et. Wb. 10, 120 ff. –
Müller-Frings 1966–68: 2, 18.

HB

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