rechan¹ st.v. IV (prät. rach, râchun,
part.prät. girochan), seit Anfang des 9. Jh.s in
Gl. (älter ist das Komp. girechan, das seit dem
4. Viertel des 8. Jh.s belegt ist) und bei O, N,
Npg.: ,jmdn./sich bestrafen, etw. vergelten, rä-
chen, für jmdn./sich Vergeltung üben, jmdn./
sich rächen; punire, retribuere, ulcisci, ultio-
nem reddere, ultor [= wer richit], vindicare,
vindictas dare, vulnerare‘ 〈Var.: -hh-, -h-〉.
Zum sekundären Übertritt des Verbs in die
Klasse IV vgl. Braune-Heidermanns 2018: § 341
Anm. 1. – Mhd. rëchen (recken, md. wrëchen)
st.v. ‚ein Unrecht bestrafen, Rache nehmen,
jmdn. rächen, Genugtuung verschaffen‘, früh-
nhd. rechen ‚rächen‘, nhd. rächen sw.v. ‚jmdn./
sich für eine als böse, als besonderes Unrecht
empfundene Tat durch eine entsprechende Ver-
geltung Genugtuung verschaffen, eine als böse,
als ein besonderes Unrecht empfundene Tat
vergelten, für etw. Vergeltung üben, üble Fol-
gen nach sich ziehen, sich übel, schädlich
auswirken‘.
Das Verb flektiert bereits bei Luther nach den
sw. V., weil die Sprecher damals es als Deno-
minativ auf Rache bezogen haben. Nur das
Part.Prät. gerochen hält sich länger. Bis in das
17. Jh. wird das Verb mit -e- geschrieben; die
dann aufkommende Schreibung mit -ä- dient
dazu, den Zusammenhang mit Rache in der
Schrift kenntlich zu machen.
Ahd. Wb. 7, 780 ff.; Splett, Ahd. Wb. 1, 734; eKöbler,
Ahd. Wb. s. v. rehhan¹; Schützeichel⁷ 256; Starck-Wells
476 f. 828; Schützeichel, Glossenwortschatz 7, 359;
Seebold, ChWdW8 236; ders., ChWdW9 666. 1100; Graff
1, 1132 ff.; Lexer 2, 359 f.; 3, Nachtr. 345; Diefenbach,
Gl. lat.-germ. 620 (vindicare). 625 (ulcisci); Götz, Lat.-
ahd.-nhd. Wb. 169 (dare). 540 (punire). 559 (reddere).
574 (retribuere). 684 (ulcisici). 711 (vindicare). 721
(vulnerare); Götze [1920] 1971: 174; Dt. Wb. 14, 21 ff.;
Kluge²¹ 576 f.; Kluge²⁵ s. v. rächen; ePfeifer, Et. Wb. s. v.
rächen. – DRW 10, 1544 ff.; Braune-Heidermanns 2018:
§§ 106 (und Anm. 1). 341.
In den anderen germ. Sprachen entsprechen:
as. wrekan (prät. –, wrākon, part.prät. –) st.v.
‚vergelten, (sich) rächen‘ (Gallée 1993:
§§ 64, c. 379 Anm. 5. 394 Anm. 1), mndd.
wreken st.v. ‚rächen‘ (Lasch [1914] 1974:
§§ 299. 428 Anm. 1, 2); andfrk. -wrekan (in
giwrekan st.v. ‚sich rächen, Rache nehmen‘;
einziger Beleg 3.sg.konj.präs. gereche [1151–
1200]), frühmndl. wreken (prät. wrak, wraken,
part.prät. gewraken/gewroken) st.v. ‚(sich)
rächen, strafen‘, mndl. wreken (wreiken) st.v.
‚Rache nehmen, sich rächen‘ (Franck 1910:
§ 139), nndl. wreken st.v. ‚dss.‘; afries. wreka,
wraka, wrēka (nur im Präs. belegt) st.v. ‚rä-
chen‘ (Bremmer 2009: § 135), nwestfries.
wrekke, wrekje (die Form wreke ist aus dem
Ndl. entlehnt) st./sw.v. ‚rächen, Rache neh-
men, vergelten‘, saterfries. wreke st.v. ‚rächen‘;
ae. wrecan (prät. wræc, wrǣcon, part.prät. wre-
cen) st.v. ‚treiben, stoßen, verstoßen, verfolgen,
rächen, strafen, vergelten, vorrücken, erfüllen,
äußern, sprechen‘ (Brunner 1965: §§ 110
Anm. 1. 391 Anm. 1, 5), me. wrēken (wrek[e],
wrekin[e], wrekke, wreck[en], wreake, wreike,
[frühme.] wrec[a][n], wrekie, wreoke[n],
wræken, whreken) st.v. ‚vertreiben, rächen,
Rache nehmen, schädigen‘, ne. wreak sw.v.
‚anrichten, auslassen, stiften‘; aisl. reka st.v.
(prät. rak, rǫ́ko, part.prät. rekinn) ‚treiben,
jagen, rächen‘ (Noreen [1923] 1970: §§ 90.
288. 497), nisl. reka ‚(aus-)treiben, jagen,
schieben, ausführen‘, fär. reka st.v. ‚dss.‘,
adän. vrage, vråge, vræge st.v. ‚rächen‘
(Kalkar [1881 ff.] 1976: 4, 871), nnorw. reke
st.v. ‚auf dem Wasser treiben, umherwandern‘,
norn rag ‚treiben, jagen‘, aschwed. vræka st.v.
‚treiben‘ (Noreen [1904] 1978: §§ 173 Anm.
3. 269 Anm. 2. 324, l. 337, 12. 537, 1. 539),
nschwed. vräka ‚schmeißen, schütten, kippen,
auf die Straße setzen, hinausschmeißen‘, agutn.
reka st.v. ‚treiben‘; got. wrikan st.v. (prät. wrak,
wrekun, part.prät. wrikans) ‚verfolgen‘ (Braune-
Heidermanns 2004: § 176 Anm. 1): < urgerm.
*u̯reke/a-.
In der Literatur wird als zugehörige Form run.-gutn.
(prät.) rAk ‚er trieb an‘ auf dem Stein von Roes genannt
(ca. Mitte des 8. Jh.s [s. aber unten]) (vgl. u. a. Krause
1966: 1, 236; Birkmann 1995: 222; Düwel 2008: 39).
Dies bleibt jedoch offen, da einerseits auch andere Le-
sungen, wie etwa rd für r(ai)d ‚ritt‘ (vgl. S. Bugge,
SvFT 11 [1902], 114–124), in Frage kommen, anderer-
seits die Inschrift jung oder gefälscht sein könnte, wie
Anne Haavaldsen in Looijenga 2003: 336 vermutet.
Schließlich hat Looijenga, a. a. O. die Möglichkeit einer
Schriftimitation in Betracht gezogen. Laut Magnus
Källström, Stockholm (in einer Mail vom 09.02.2017)
gibt es zwar kein Indiz für eine Fälschung, jedoch bleibt
die Lesung und Interpretation der gesamten Inschrift
schwierig; er kommt daher zu folgender Folgerung:
„it might be wise to avoid the “word” rAk … in any
linguistic discussion“.
Aus dem Nordgerm. stammen lapp.-norw. rehkkat
‚treiben, umherstreichen‘, lapp.-schwed. ræket ‚dss.‘
(Qvigstad 1893: 262).
Fick 3 (Germ.)⁴ 415 f.; Kroonen, Et. dict. of Pgm. 595;
Seebold, Germ. st. Verben 568 ff.; Tiefenbach, As.
Handwb. 477; Sehrt, Wb. z. Hel.² 721; Berr, Et. Gl. to
Hel. 459 f.; Wadstein, Kl. as. Spr.denkm. 249; Schiller-
Lübben, Mndd. Wb. 5, 779; ONW s. v. giwrekan; VMNW
s. v. wreken; Verwijs-Verdam, Mndl. wb. 9, 2863 ff.;
Franck, Et. wb. d. ndl. taal² 805 f.; Suppl. 199; Vries,
Ndls. et. wb. 850; Et. wb. Ndl. S-Z 641; WNT s. v. wre-
ken¹; Boutkan, OFris. et. dict. 459; Hofmann-Popkema,
Afries. Wb. 601; Richthofen, Afries. Wb. 1160 f.; eFryske
wb. s. v. wreke; Dijkstra, Friesch Wb. 3, 478; Fort, Sater-
fries. Wb.² 760; Holthausen, Ae. et. Wb. 407; Bosworth-
Toller, AS Dict. 1272 f.; Suppl. 750; eMED s. v. wrēken
v.; Klein, Compr. et. dict. of the Engl. lang. 2, 1753;
eOED s. v. wreak v.; Vries, Anord. et. Wb.² 440; Jóhan-
nesson, Isl. et. Wb. 172; Fritzner, Ordb. o. d. g. norske
sprog 3, 70 ff.; ONP s. v. reka²; Jónsson, Lex. poet. 463;
Magnússon, Ísl. Orðsb. 752; Falk-Torp, Norw.-dän. et.
Wb. 2, 888 f.; Bjorvand, Våre arveord² 875 f.; Torp, Ny-
norsk et. ordb. 524; NOB s. v. reke; Jakobsen, Et. dict. of
the Norn lang. 2, 678 (s. v. rag²); Hellquist, Svensk et.
ordb.³ 2, 1370; Feist, Vgl. Wb. d. got. Spr. 574; Lehmann,
Gothic Et. Dict. W-93.
Urgerm. *u̯reke/a- < uridg. *u̯rég-e/o- hat
eine unmittelbare Parallele in ved. (part.)
vrájant- ‚gehend, wandelnd‘ (vgl. Gotō 1987:
300 f.), mi., dard., ni., pāli vajati ‚bewegt sich,
wandert‘. Uridg. *u̯rég-e/o- ist eine Präs.bil-
dung zur Verbalwz. uridg. *u̯reg- ‚einer Spur
folgen‘.
Der Aor. der Wz. uridg. *u̯rḗg-/u̯rég-s- ist in aav.
(3.pl.inj.) uruuāxšat̰ ‚sie wandeln‘ fortgesetzt
(vgl. Hoffmann-Forssman 2004: 230. 231).
Unsicher bleibt die Zugehörigkeit von lat. ur-
gēre ‚(sich) drängen, drängend fortstoßen, trei-
ben, stoßen, drängend belästigen, bedrängen,
hart zusetzen, keine Ruhe lassen, jmdm. durch
die Rede, durch Fragen usw. zusetzen, immer
etw. einwenden, eifrig betreiben, von etw. nicht
ablassen‘, das nach LIV² 697 eine Präs.bildung
uridg. *u̯g-éi̯e/o- fortsetzt; dabei sei die Bed.
‚(be-)drängen‘ über ‚verfolgen‘ aus ‚einer Spur
folgen‘ entstanden. Aus semantischen Gründen
verbindet Schrijver 1991: 76 dagegen lat. ur-
gēre mit der Wz. uridg. *u̯erĝh- ‚(zu-)binden‘
(LIV² 688; s. wurgen ‚würgen, töten, ersti-
cken‘); diese Anbindung bevorzugt u. a. auch
de Vaan, Et. dict. of Lat. 644, da die älteste fass-
bare Bed. des lat. Verbs „‘to weigh down on’“
gewesen sei. In beiden Fällen ist die lautliche
Entwicklung mit ur- statt zu erwartendem
**vor- unklar; laut Meiser [1998] 2010: § 49, 2
liegt eine sporadische Entwicklung von *CC >
lat. CurC vor, besonders nach einem u̯ oder
einem Labiovelar; vgl. auch Schrijver 1991:
76: „Lat. ur- is probably the regular develop-
ment of *u̯-“ (vgl. auch Sommer-Pfister
1977: 125).
Eine Nominalbildung zu dieser Wz. ist heth.
ūrki- (〈ur-, u-ur-〉) c. ‚Spur, Weg‘ < uridg.
*u̯g-í- oder *u̯g-íh₂- (vgl. H. Eichner, MSS 31
[1972], 73; ders., GS Kronasser 1982: 20); zur
Lautentwicklung *u̯- > *ur- > (mit Dehnung
unter dem Akzent) heth. ūr- vgl. Kimball 1999:
123. 247.
Nach Kloekhorst, Et. dict. of Hitt. 928 wäre bei einer
Vorform *u̯- eine Entwicklung über aheth. ur- zu mheth.
war- zu erwarten, die Vorform sei so „*h₁/₃urg-i-“. In
diesem Fall wäre der Wurzelansatz uridg. *h₁/₃u̯reg-. Die
von Kloekhorst, a. a. O. angeführten Beispiele mit dem
Wandel ur- > war- sind jedoch sämtlich in ihrer Interpre-
tation umstritten.
Weitere vorgeschlagene Anbindungen wie die Gruppe
um lit. vagas m. ‚Elend, Not, Mühsal‘, vargùs, vagus
adj. ‚arm, schwer, schwierig, mühselig‘, vérgas, vegas
m. ‚Sklave, Leibeigener‘ bleiben besser fern (vgl. ALEW
2, 1189 ff. 1217 f.).
Nach Bjorvand, Våre arveord² 876 ist vorurgerm.
*u̯reg- weiter eine Erweiterung einer Verbalwz. uridg.
*u̯er- (dessen Bed. er nicht angibt) mit *-eg-; dafür gibt
es jedoch keinen Anlass.
Walde-Pokorny 1, 319 f.; Pokorny 1181; LIV² 697;
Mayrhofer, KEWA 3, 276 f.; ders., EWAia 2, 594;
Bartholomae, Airan. Wb.² 1536; Cheung, Et. dict. of Iran.
verb 438; Walde-Hofmann, Lat. et. Wb. 2, 839; Ernout-
Meillet, Dict. ét. lat.⁴ 754 f.; de Vaan, Et. dict. of Lat. 644;
Kronasser, Etym. d. heth. Spr. 1, 211. 496; Tischler, Heth.
et. Gl. 15, 99 ff.; Kloekhorst, Et. dict. of Hitt. 927 f. –
Werba 1997: 379; Kümmel 2000: 508.
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