refsen sw.v. I (prät. rafsta, part.prät.
girefsit), seit dem Ende des 8. Jh.s in Gl. und
in T, MH, B, GB, bei O, N: ‚jmdm. (wegen
etw.) zurechtweisen, tadeln, schelten, jmdn.
einer Sache bezichtigen, bevorstehen, drohen;
arguere, castigare, catazizare [= catechizare ?],
coercere, corripere, deprehendere, increpare,
obiurgare, percutere, redarguere, refellere,
reprehendere, sugillare, urgēre‘ 〈Var.: ra-;
-phs-〉. – Mhd. refsen (rephsen, refzen, [prät.]
rafste, refste) sw.v. ‚mit Worten strafen, tadeln,
schelten, züchtigen‘, daneben repsen sw.v.
‚dss.‘ und respen sw.v. ‚dss.‘ (zum Nebeneinan-
der der unterschiedlichen Lautungen -fs-, -sp-
und -ps- s. u.).
Ahd. Wb. 7, 761 ff.; Splett, Ahd. Wb. 1, 732; eKöbler,
Ahd. Wb. s. v. refsen; Schützeichel⁷ 255; Starck-Wells
476. 828; Schützeichel, Glossenwortschatz 7, 353; See-
bold, ChWdW8 236; ders., ChWdW9 664 f.; Graff 2, 501;
Heffner 1961: 121; Lexer 2, 370 f. 407. 409 f.; Götz, Lat.-
ahd.-nhd. Wb. 52 (arguere). 155 (corripere). 184 (de-
prehendere). 328 (increpare). 640 (sugillare); Dt. Wb.
19, 702 (s. v. strafen); Kluge²¹ 754 (s. v. Strafe); ePfeifer,
Et. Wb. s. v. strafen. – Riecke 1996: 389; Rübekeil 2002:
29; Braune-Heidermanns 2018: § 356 (S. 301).
In den anderen germ. Sprachen entsprechen:
(zu den einzelsprachlichen Formen mit -i- s. u.)
as. repsian sw.v. ‚tadeln‘ (nur 2.sg.konj.präs.
repsies), mndd. (nur komponiert) berispen, be-
repsen, beripsen sw.v. ‚tadeln, schelten‘; früh-
mndl. berespen sw.v. ‚schelten, beschuldigen,
tadeln‘, mndl. berispen (berespen, beruspen)
sw.v. ‚schelten, strafen, beschuldigen, tadeln‘,
einmal ist eine st. Prät.form berasp belegt, nndl.
berispen sw.v. ‚rügen, tadeln, zurechtweisen‘;
afries. respa sw.v. ‚vergelten, sühnen‘ (daneben
auch das Komp. birespa sw.v. ‚tadeln‘), nwest-
fries. (nur komponiert) berispje ‚tadeln‘; ae.
ræpsan, ræfsan sw.v. ‚tadeln‘; aisl., nisl. refsa
sw.v. ‚züchtigen, strafen‘, fär. revsa sw.v. ‚dss.‘,
adän. ræfsæ sw.v. ‚dss.‘, ndän. revse sw.v.
‚dss.‘, nnorw. refse sw.v. ‚dss.‘, aschwed. ræfsa
sw.v. ‚dss.‘: < urgerm. *rafsii̯e/a- (zum Neben-
einander von -f- und -p- s. u.).
Der in der Literatur teils ebenfalls hinzugestellte Beleg
as. 3.sg.ind.präs. (hri)psod ‚tadelt‘ ist wegen des anlau-
tenden h- (und des abweichenden Vokalismus) zu tren-
nen. Die Einordnung bei Tiefenbach, As. Handwb. 312
als repson ist daher unzutreffend; ebenso die Annahme
eines unetym. h-, so etwa E. Wadstein, ZDA 75 (1938),
288 als Verbesserung seines Ansatzes hripson in Wad-
stein, Kl. as. Spr.denkm. 194. Die as. Form stammt ent-
weder aus westgerm. *χripisōi̯e/a-, einer Ableitung von
einem nicht fortgesetzten Subst. westgerm. *χripi-/
*χripi̯a- < urgerm. *χrepi-/*χrepi̯a-, oder aus urgerm.
*χrepisōi̯e/a-, einer Bildung mit dem produktiven Suff.
urgerm. *-isōi̯e/a- (vgl. zu mit *-s- abgeleiteten Verben
Krahe-Meid 1969: 3, § 187), das etym. zu lat. crepāre
‚klappern, knattern‘ gehört; vgl. lat. increpāre, das u. a.
auch ‚laut scheltend anrufen, anfahren, hart anlassen,
ausschelten, verhöhnen‘ bedeutet (vgl. u. a. Hortling
1907: 48; T. E. Karsten, NphM 10 [1908], 38). Davon ab-
weichend stellt F. Holthausen, IF 32 (1913), 335 das
germ. Wort zu lat. crispīre ‚glucken‘, das aber wohl ono-
matopoetisch ist (vgl. Walde-Hofmann, Lat. et. Wb. 1,
293; Ernout-Meillet, Dict. ét. lat.⁴ 151).
Unklar bleibt die Deutung der westgerm. einzelspr. For-
men mit -i-. Laut Franck, Et. wb. d. ndl. taal² 51 sind sie
entweder dialektale Var. oder analogisch entstanden.
Wahrscheinlich geht das Nebeneinander von -e- und -i-
auf einzelsprachlichen Zusammenfall von urgerm.
*rafsii̯e/a- und westgerm. *χripsōi̯e/a- zurück (so bereits
T. E. Karsten, NphM 10 [1908], 38). Dieser Zusammenfall
könnte auch für die aisl. Prät.form refsaða nach der Kon-
jugation der sw.v. II verantwortlich sein.
In der Literatur findet sich vereinzelt rekonstruiertes ur-
germ. *rafisii̯e/a-, das als innergerm. Ableitung eines
s-St. urgerm. *rafaz-/-iz- angesehen wird (s. u.). Aber
eine solche Ableitung hätte einerseits wohl urgerm. *ra-
fizii̯e/a- ergeben (vgl. das Nebeneinander von urgerm.
*reku̯az-/-iz- ‚Finsternis‘ : urgerm. *reku̯izii̯e/a- ‚finster
werden‘), andererseits weist ae. ræpsan, ræfsan mit -æ-
(und nicht -e-) auf eine ursprüngliche Verbindung *-fs-
(vgl. Hallander 1966: 199 f.); auch wäre ein *-i- im Ahd.
wohl erhalten geblieben (vgl. Braune-Heidermanns
2018: § 66); bei einer ererbten Bildung wäre dagegen
*raƀizii̯e/a- (< vorurgerm. *ropesii̯é/ó-) zu erwarten.
Dazu kommt, dass ein solcher s-St. für das Urgerm. nicht
zu sichern ist (s. u.).
Im Mndl. ist kein Simplex belegt (vgl. die Angaben in
Verwijs-Verdam, Mndl. wb. 6, 1457 [rispen¹]).
Bei Hofmann-Popkema, Afries. Wb. 402 sind unter ei-
nem Lemma respa, rispa unterschiedliche Verben zu-
sammengestellt, einerseits ein Verb mit der Bed. ‚ernten‘
und das hier behandelte Verb. Aus den dortigen Angaben
ist nicht nachprüfbar, ob für die jeweiligen Verben so-
wohl Schreibungen mit -e- und -i- belegt sind oder ob das
Verb mit der Bed. ‚ernten‘ als rispa und das mit der Bed.
‚tadeln‘ als respa anzusetzen ist.
Fick 3 (Germ.)⁴ 338; Tiefenbach, As. Handwb. 312
(repsian ist fehlerhaft als sw.v. II bezeichnet); Lasch-
Borchling, Mndd. Handwb. 1, 218. 221; Schiller-Lübben,
Mndd. Wb. 1, 248; VMNW s. v. berespen; Verwijs-
Verdam, Mndl. wb. 1, 946 f.; Franck, Et. wb. d. ndl. taal²
51; Suppl. 17; Vries, Ndls. et. wb. 46; Et. wb. Ndl. A-E
270 f.; WNT s. v. berispen; Hofmann-Popkema, Afries.
Wb. 55. 402; Fryske wb. 2, 103; Holthausen, Ae. et. Wb.
256; Bosworth-Toller, AS Dict. 784; Suppl. 684; Vries,
Anord. et. Wb.² 436; Jóhannesson, Isl. et. Wb. 721;
Fritzner, Ordb. o. d. g. norske sprog 3, 49; ONP s. vv.
refsa¹, refsa² (mit unsicherer Trennung [„formmæssigt
ambig“]); Jónsson, Lex. poet. 460; Holthausen, Vgl. Wb.
d. Awestnord. 224; Magnússon, Ísl. Orðsb. 747; Falk-
Torp, Norw.-dän. et. Wb. 2, 894 f. 1532; Nielsen, Dansk et.
ordb. 345; Ordb. o. d. danske sprog 17, 957 f.; Bjorvand,
Våre arveord² 868 ff.; Torp, Nynorsk et. ordb. 521; NOB
s. v. refse. – RGA² 24, 45.
Urgerm. *rafsii̯e/a- wird in der Regel auf der
Basis der Analyse von W. v. Unwerth, PBB
36 [1910], 31 (so auch wieder KS Schlerath
2000: 2, 762) als Ableitung eines urgerm. s-St.
*rafiz-/-az- angesehen, der eine unmittelbare
Entsprechung in ved. rápas- n. ‚Gebrechen,
körperlicher Schaden, Verletzung, Krankheit‘
hat. Dies ist aber nicht möglich, da ved.
rápas- aus uridg. *rép-e/os- stammt (so richtig
Bjorvand, Våre arveord² 869), während ur-
germ. *rafiz-/-az- auf vorurgerm. *róp-es-/-os-
weist; ein solcher neutr. s-St. ist jedoch kaum
wahrscheinlich.
Daher ist die Grundlage des urgerm. Verbs
eher eine Ableitung von dem uridg. s-St.
*rép-es-/-os-, und zwar entweder von einem
Subst. *róps-o- m. ‚Schädiger‘, das sekundär
wieder zum Adj. wurde oder von *róps-o- n.
‚Beschädigung‘ (Hinweis von S. Neri). Davon
wäre das Verb mit dem Suff. uridg. *-(i)i̯e/o-
entweder im Sinne von ‚schadhaft sein‘ oder
von ‚Beschädigung machen‘ abgeleitet.
Die Grundbed. der Wz. *rep- ist vermutlich
‚beschädigen‘, aus der sich die Bed. ‚Krank-
heit‘ von ved. rápas- sekundär entwickelt hat.
Zu dieser Wz. gehören im Iran. wohl auch noch
sogd. r’β ‚Krankheit‘, khot. rrāha- ‚dss.‘
(< *rāpu-; vgl. I. Gershevitch, CAJ 7 [1962],
92) und oss. ryn/run ‚dss.‘ (< *rafna-; vgl.
Benveniste 1959: 20).
Früher wie auch noch in letzter Zeit wurden die germ.
Wörter zur Wortgruppe um lat. rapere ‚etw. an sich raf-
fen, anraffen, erraffen, aufraffen, entraffen, wegraffen‘
gestellt, die auf eine Wz. uridg. *(h₁)rep- ‚(an sich) rei-
ßen, rupfen‘ zurückgeht (vgl. dazu LIV² 507). Dies ist je-
doch aus semantischen Gründen wenig überzeugend
(vgl. Nowicki 1976: 99).
Da die urspr. Lautung urgerm. *-fs- war, sind
die abweichenden einzelsprachlichen Lautun-
gen -sp- und -ps- sekundär. -sp- ist durch Meta-
these aus *-fs- entstanden (vgl. dazu S. Neri, in
Neri-Ziegler 2012: 81) und -ps- durch Aus-
gleich oder unter Einfluss der Kontinuanten
von westgerm. *χripisōi̯e/a-.
Walde-Pokorny 2, 369 f.; Pokorny 865; Mayrhofer,
KEWA 3, 41; ders., EWAia 2, 433.
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