reginblint
Volume VII, Column 277
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reginblint adj., nur im AuS (dat.sg.m.
regenplinten): ‚gänzlich blind‘. Außerhalb des
appellativischen Wortschatzes findet sich das
KVG regin- lediglich in PN als Ragan-, Regin-
etc. (vgl. Förstemann [1900–16] 1966–68: 1,
1221–1240; Braune-Heidermanns 2018: §§ 66.
148 Anm. 1b. 149 Anm. 5*a). – Nhd. dial.
schweiz. rëgenblind adj. ‚kurzsichtig‘.

Ahd. Wb. 7, 774; eKöbler, Ahd. Wb. s. v. reginblint ?;
Heffner 1961: 121; Dt. Wb. 2, 119 (s. v. blind). –
Schweiz. Id. 5, 112; Stalder, Versuch eines schweiz. Id. 2,
267. – Riecke 2004: 2, 405.

In den anderen germ. Sprachen entspricht ledig-
lich as. reginblind adj. ‚vollständig blind‘: <
westgerm. *raginablinda-.
Das Wort ist ein Komp. aus westgerm.
*-blinda- ‚blind‘ (s. blint) und *ragina-.
Westgerm. *ragina- hat hier, wie auch in ande-
ren Komp. in den westgerm. Sprachen, die
Funktion eines verstärkenden Präf. (vgl. zur
Funktion etwa ahd. irmin- [s. d.], magan-, me-
gin- [s. magankraft, meginkraft und die danach
genannten Komp.]); vgl. as. regin- (in reginska-
tho m. ‚großer Übeltäter‘ und reginthiof m.
‚ruchloser Dieb‘), lat.-andfrk. rachin- (in
rachinburgius ‚Urteilsfinder bei Gericht, Zeuge
für einwandfreie Ladung‘; vgl. Seebold,
ChWdW8 236. 368) und ae. regen- (u. a. in re-
genheard adj. ‚sehr hart‘, regenþēof m. ‚Erz-
dieb‘). Die intensivierende Funktion ist durch
das Nebeneinander von as. reginthiof m. neben
in gleicher Bed. vorkommendem meginthiof m.
gesichert. Dieselbe Funktion findet sich auch in
PN des Typs ahd. Reginhart, ae. Regenheard
und ist sporadisch ebenfalls im Aisl. (vgl. u. a.
regindjúpr adj. ‚sehr tief‘) und Nisl. (vgl. u. a.
reginhaf n. ‚Ozean‘) vertreten.
Das als intensivierendes Präf. verwendete Wort
entspricht urgerm. *raǥena- ‚Macht, Gewalt‘
(zum Bed.ansatz s. u.), das appellativisch in as.
regin- (in regin[o]giskapu n.pl. ‚Bestimmungen
der göttlichen Vorsehung, Schicksal‘), run. ra-
gina- (in [akk.sg.f.] raginakudo ‚von den Göt-
tern abstammend‘ [Stein von Noleby, 460/70–
560/70]; vgl. Krause 1966: 1, 149 f.; Krause
1971: 157; Antonsen 1975: 55; Imer 2015: 191),
aisl. regin n.pl. ‚Götter‘, rǫgn n.pl. ‚Götter‘ (für
rǫgn gibt es aber auch andere Deutungen; vgl.
die Lit. in Vries, Anord. et. Wb.² 458), nisl. re-
gin n.pl. ‚dss.‘, got. ragin* n. ‚Rat, Beschluss;
γνώμη, δόγμα, οἰκονομία‘ fortgesetzt ist.
Das Wort ist auch Bestandteil in germ. PN: lat.-
germ. Ragi(n)-, Ragna/e/o-, Rigno-, Raino-,
ahd. Ragan-, Regin- (s. o.), as. Regin-, Rain-,
Rein-, afries. Regin-, ae. Regen-, aisl. Ragn-,
langob. Ragi(n)-, Rachi(n)-, Ragin-, Regim-,
Rain-.
Die Bed. von urgerm. *raǥena- wird in der Re-
gel mit ‚Ratschluss‘ (so etwa Fick 3 [Germ.]⁴
335), ‚decision‘ (so Kroonen, Et. dict. of Pgm.
401) angesetzt. Demgegenüber hat A. M.
Sturtevant, JEGPh 15 (1916), 251–266 gezeigt,
dass die Ausgangsbed. ‚Macht, Gewalt‘ war.
Die Entwicklung zu ‚Ratschluss‘ verlief dabei
über die Bed. ‚Bestimmung, Anordnung‘. Die
urspr. Bed. ‚Macht, Gewalt‘ geht noch aus den
Ableitungen got. fidurragini* n. ‚Amt eines
Vierfürsten; ὁ τετραρχῶν‘ und raginon* ‚Statt-
halter sein; ἡγεμονεύειν‘ hervor.
Aus dieser Bed. ist auch die Intensivierungs-
funktion des KVG erklärbar; sie hat zudem in
megin- eine unmittelbare Parallele.

Dagegen schlug Höfler 1899: 54 eine Verbindung des
Elements regin- in Bezeichnungen von Krankheiten mit
der Gruppe um ahd. biragên ‚emporragend, steil‘ (s. d.)
vor, was aus semantischen Gründen nicht überzeugt.

Fick 3 (Germ.)⁴ 335; Kroonen, Et. dict. of Pgm. 401;
Tiefenbach, As. Handwb. 310; Sehrt, Wb. z. Hel.² 434 f.;
Berr, Et. Gl. to Hel. 316 f.; Holthausen, Ae. et. Wb. 256;
Bosworth-Toller, AS Dict. 789 f.; Vries, Anord. et. Wb
431 f. 436 f. 458; Jóhannesson, Isl. et. Wb. 716; Fritzner,
Ordb. o. d. g. norske sprog 3, 27. 50; ONP s. vv. regin,
rǫgn; Jónsson, Lex. poet. 454. 460. 475; Holthausen, Vgl.
Wb. d. Awestnord. 222. 224. 235; Magnússon, Ísl. Orðsb.
747 f.; Feist, Vgl. Wb. d. got. Spr. 392; Lehmann, Gothic
Et. Dict. R-2; Bruckner, Spr. d. Langob. 292 ff. – Seebold,
ChWdW9 180. 665. – Heyne 1899–1908: 3, 138; Carr
1939: 348 f.; Schlaug 1955: 138–141; ders. 1962: 144–
147; Henzen 1965: 65; Ilkow 1968: 332–337; Reichert
1987–90: 2, 588; Bammesberger 1990: 67; Casaretto
2004: 140. 323; Ringe-Taylor 2014: 236.

In den etym. Wörterbüchern wird urgerm.
*raǥena- auf die Verbalwz. uridg. *rek(H)-
‚ordnen, festlegen, bestimmen‘ zurückgeführt,
die verbal u. a. in aksl. rešti (1.sg.präs. rekǫ),
aruss. reči, nruss. dial. rečí, tschech. říci, slo-
wak. riect’, poln. rzec, serb., kroat. rèći, slowen.
réči, bulg. rekà, alle mit der Bed. ‚sagen‘, air.
ad·eirrig* ‚wiederholen, verbessern, bereuen,
sich bekehren‘ (< uridg. Präs. *rék-e/o-) fort-
gesetzt ist.

LIV² 506 stellt auch mkymr. regu ‚fluchen‘, nkymr. rhegi
‚dss.‘ zu dieser Wz.; jedoch kann das Verb nach Schu-
macher, Kelt. Primärverb. 537 auch zur Verbalwz. uridg.
*pre- ‚fragen‘ gehören (vgl. zur Bed. lat. pl. precēs f.
‚Fluch, Verwünschung‘).
Die balt. Verben lit. rkti (1.sg.präs.) rėkiù ‚schreien,
brüllen‘, lett. rēkt [rèkt] ‚brüllen, laut schreien, heulen‘
(< urbalt. *rēk-e/o-) sind wohl Onomatopoetika.
Dagegen sieht F. O. Lindemann, IF 109 (2004), 311–318
in dieser Verbalwz. eine Erweiterung von uridg. *reh₁-
‚zählen, rechnen‘ (zur Wz. vgl. LIV² 499; s. reda); er setzt
sie mit Schwebeablaut als *reh₁-k- : *rh₁-ek- an. Doch
bleibt der Schwebeablaut unerklärt (vgl. zu den Bedingun-
gen für Schwebeablaut jetzt ausführlich Ozoliņš 2015).

Nominale Bildungen von der Wz. *rek(H)- fin-
den sich u. a. in ai. (episch) racanā- f. ‚Einrich-
tung, Ordnung‘, aksl. rokъ m., aruss. rokъ
‚Frist, Jahr, Maß, Regel‘, nruss. rok ‚Schicksal,
Verhängnis, (dial.) Jahr, Termin‘, ukrain. rik
‚Jahr‘, wruss. rok ‚dss.‘, tschech., slowak. rok
‚Jahr, Frist‘, poln. rok ‚Jahr‘, serb., kroat. rȏk
‚Termin, Zeit‘, slowen. rọ̑k ‚Termin, Schicksal,
Vorzeichen‘, (unklar, ob ererbt oder entlehnt) lit.
rãkas ‚Zeit, Ziel, Schluss‘, lett. raks ‚Ziel, Gren-
ze‘ und toch. A rake, B reki ‚Wort, Befehl‘.
Wegen der Ausgangsbed. ‚Macht, Gewalt‘
des germ. Wortes liegt diese Verknüpfung je-
doch fern.
Näher liegt die Verbindung von urgerm.
*raǥena- mit der Verbalwz. uridg. *h₂erk/-
‚halten‘, die u. a. in heth. har(k)-zi ‚halten, ha-
ben‘ und lat. arcēre ‚verschließen, fernhalten‘
fortgesetzt ist (so F. O. Lindeman, HS 116
[2003], 96–99). Jedoch muss auch hier eine
neueVollstufe angenommen werden, die schwie-
rig zu erklären ist (etwa *h₂k/-enó- > vorur-
germ. *k/-enó- > [mit Vddhierung] *rek/-
enó- und davon abgeleitet *rok/-enó-).

Die Annahme von F. O. Lindeman, a. a. O. 98 eines Ne-
beneinanders von Vollstufe I und Vollstufe II (uridg.
*h₂erk/- : *h₂rek/-) ist jedenfalls nicht haltbar (vgl.
Ozoliņš 2015 passim).
Für eine Basis uridg. *rek/-enó- könnte vielleicht
ahd. rigil ‚Querholz, Riegel‘ (s. d.) sprechen, falls es ein
Erbwort aus vorurgerm. *rek/-eló- ist (so etwa F. O.
Lindeman, a. a. O. 97; J.-P. Brachet, Wekwos 1 [2014],
18 [und Fn. 24]).

Das germ. Wort ist in PN auch in andere Spra-
chen entlehnt worden; vgl. etwa nfrz. Raim-
bert, italien. Raineri, air. Ragnailt und aruss.
Rognědь.

Walde-Pokorny 1, 80 f.; 2, 362; Pokorny 65 f. 863; LIV²
273. 506; Walde-Hofmann, Lat. et. Wb. 1, 62; Ernout-
Meillet, Dict. ét. lat.⁴ 43 f.; de Vaan, Et. dict. of Lat. 51;
Trautmann, Balt.-Slav. Wb. 243; Derksen, Et. dict. of
Slav. 433. 438; Et. slov. jaz. staroslov. 761 f.; Bezlaj, Et.
slov. slov. jez. 3, 163. 193; Snoj, Slov. et. slov.³ 632. 650;
Vasmer, Russ. et. Wb. 2, 532; ders., Ėt. slov. russ. jaz. 3,
496 f.; Fraenkel, Lit. et. Wb. 2, 693 f.; Smoczyński, Słow.
et. jęz. lit.² 995. 1015; ALEW 2, 859; Mühlenbach-
Endzelin, Lett.-dt. Wb. 3, 473; Matasović, Et. dict. of
Proto-Celt. 308; Schumacher, Kelt. Primärverb. 536 ff.;
Kavanagh-Wodtko, Lex. OIr. Gl. 37 f.; eDIL s. v. ad-eirrig;
Dict. of Welsh 3, 3048; Friedrich-Kammenhuber, Heth.
Wb. 3, 280 ff.; Kronasser, Etym. d. heth. Spr. 1, 366. 367;
Tischler, Heth. et. Gl. 1, 173 ff.; Kloekhorst, Et. dict. of
Hitt. 304 f.; Windekens, Lex. ét. tokh. 105; Adams, Dict.
of Toch. B² 2, 585. – Neri 2007: 77 f.; Ackermann 2014:
83–96.

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