regula
Volume VII, Column 281
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regula f. ō-St., in Gl. seit dem 11. Jh., in
B, GB, bei O, Ol, in Ni, HHö: ‚Regel, Ordens-
regel, Richtschnur, Reimform; canon, regula
〈Var.: -il-〉. Das Wort ist aus klass. lat. rēgula f.
‚Richtholz, Maßstab, Regel, gerader Stab aus
Holz oder Metall, Regel, Vorschrift, Hand-
lungsmaxime‘ entlehnt (s. u.). Ahd. rigil (s. d.)
hingegen ist aus vulg.lat. *rĕgula f. ‚Latte,
Leiste‘ übernommen. – Mhd. rëgel, rëgele,
rêgel, rêgele st./sw.f. ‚Ordensregel, Regel, Vor-
schrift, Norm, Maß‘, nhd. Regel f. ‚aus be-
stimmten Gesetzmäßigkeiten abgeleitete, aus
Erfahrungen und Erkenntnissen gewonnene, in
Übereinkunft festgelegte, für einen jeweiligen
Bereich als verbindlich geltende Richtlinie, (in
bestimmter Form schriftlich fixierte) Norm, Vor-
schrift, regelmäßig, fast ausnahmslos geübte Ge-
wohnheit, das Übliche, üblicherweise Geltende,
auch (wegen der regelmäßigen Wiederkehr)
Menstruation‘, bis ins 18. Jh. auch bildungs-
sprachlich regul, gestützt durch das häufige
Verb regulieren. Phras. nach allen Regeln der
Kunst ‚ganz vorschriftsmäßig, in jeder Hinsicht
richtig‘, ugs. ‚gründlich, gehörig‘, die goldene
Regel ‚Grundregel für rechtes Handeln‘ (bes. in
der christlichen Religion nach Mt. 7, 12), in der
/ aller Regel ‚üblicherweise, fast immer‘.

Ahd. Wb. 7, 775 f.; Splett, Ahd. Wb. 1, 733; eKöbler,
Wb. d. ahd. Spr. 876; Schützeichel⁷ 256; Starck-Wells
476; Schützeichel, Glossenwortschatz 7, 357; Seebold,
ChWdW9 665. 1101; Graff 2, 440; Heffner 1961: 121;
Lexer 2, 372 f.; 3, Nachtr. 346; Diefenbach, Gl. lat.-germ.
490 (regula); Götz, Lat.-ahd.-nhd. Wb. 563 (regula); Dt.
Wb. 14, 496; Kluge²¹ 590; Kluge²⁵ s. v. Regel; ePfeifer,
Et. Wb. s. v. Regel. – Müller-Frings 1966–68: 2, 441 f.;
Röhrich 2003: 2, 1235.

Klass. lat. rēgula ist zunächst als Ausdruck des
Klosterlebens in die germ. Sprachen entlehnt
worden: mndd. rēgule f. ‚Verhaltensnorm, Re-
gel, Ordens-, Klosterregel‘; frühmndl. reghel,
reghele f. ‚Ordensregel, Lebensregel, Richtlinie
des gesunden Verstands, Vorschrift, Gesetz,
Lineal‘ (a. 1236), mndl. regel, reg[e]le, regule
m./f. ‚(Ordens-)Regel, Richtschnur, Reihe, ge-
rade Linie, Lineal‘, nndl. regel ‚Linie, Zeile,
Norm, gewohnte Ordnung, Richtschnur, Or-
densregel, Menstruation‘; nwestfries. regel ‚an-
genommene akzeptierte Handelsanweisung,
Gewohnheit, Gebrauch, Vorschrift, Verord-
nung, (im Pl.) Menstruation, aufrechter Teil
(eine Planke oder ein Balken) von einem Holz-
bau, z. B. von einer Tür‘, rigel (ab 1802 belegt)
‚Reihe, Regel, Wörterreihe, über eine be-
stimmte Breite Geschriebenes oder Gedrucktes,
Gebrauch, Vorschrift, Verordnung‘; ae. reghel/
regol n. (selten regula n.) ‚Regel, Kanon, Ge-
setz, Muster, Lineal‘, me. selten regulam n.
(erneute Entlehnung aus dem lat. Akk.Sg.), da-
gegen ist ne. rule ‚Ordensregel, Regel, Maxime
des Handelns, Prinzip, Gewohnheit, Grundsatz‘
frz. Lehnwort aus anglonorm. reulle < rēgula;
in das Nordgerm. gelangte klass. lat. rēgula
über mndd. Vermittlung: aisl. regla, regúla f.,
nisl. regla f., dial. räggler ‚Regel, Klosterregel,
Gesetz, Ordnung, Orden, Richtmaß, Stange
zum Abstecken von Beeten im Garten‘, pl. auch
‚Reglement‘, regula f. ‚Klosterregel, Ordensre-
gel‘, fär. regla ‚Regel‘, ndän. regel, dial. rægle
‚dss.‘, nnorw. regel ‚Vorschrift, Norm, Ge-
wohnheit‘, regl n., regla f. ‚lange, weitschwei-
fige Erzählung, Gewäsch‘, nschwed. regel,
regul (Lehnwort aus nhd. Regel) ‚Richtschnur,
Lineal, Vorschrift, Regel, Grundsatz‘, dial.
reggla ‚wenig glaubwürdiges Geschwätz‘. Wie
nnorw. regl, regla ist die dial. Form nschwed.
reggla, die jeweils eine ‚lange Erzählung, Ge-
schwätz‘ bezeichnen, nach Falk-Torp, Norw.-
dän. et. Wb. 2, 887 ebenso wie Hellquist, Svensk
et. ordb.³ 2, 823 eine Bed.übertragung aus der
Schulsprache, zurückgehend auf die sich wie-
derholenden Wortreihen der lat. Grammatik,
zunächst als Verb, dann auch substantiviert.

Lasch-Borchling, Mndd. Handwb. 2, 2, 1995 ff.; VMNW
s. v. reghel, reghele; Verwijs-Verdam, Mndl. wb. 6,
1190; Franck, Et. wb. d. ndl. taal² 540; Vries, Ndls. et.
wb. 568; Et. wb. Ndl. Ke-R 642; Fryske wb. 17, 333;
Hofmann-Popkema, Afries. Wb. 398; Dijkstra, Friesch
Wb. 3, 22; Bosworth-Toller, AS Dict. 790 f.; Suppl. 685;
eMED s. v. regol; Klein, Compr. et. dict. of the Engl.
lang. 2, 1321. 1364; eOED s. vv. rule n.¹, reghel, regula,
regle; Vries, Anord. et. Wb.² 437; Jóhannesson, Isl. et.
Wb. 1132; Fritzner, Ordb. o. d. g. norske sprog 3, 50;
Holthausen, Vgl. Wb. d. Awestnord. 225; Magnússon, Ísl.
Orðsb. 748; Falk-Torp, Norw.-dän. et. Wb. 2, 886. 887;
Nielsen, Dansk et. ordb. 342; Ordb. o. d. danske sprog
17, 575; Torp, Nynorsk et. ordb. 521; NOB s. v. regel;
Hellquist, Svensk et. ordb.³ 2, 823; Svenska akad. ordb.
s. v. regel.

Lat. rēgula f. ‚Richtholz, Linie, Richtschnur,
Latte‘, das vom Wz.nomen rēx m. ‚Leiter, Re-
gierer, König‘ abgeleitet ist, bedeutet zunächst
‚Leiste, Latte, Richtscheit, Lineal, Richtholz‘,
in übertr. Bed. dann ‚Regel, Richtschnur, Hand-
lungsmaxime, Grundsatz‘.
Volkstümlich ist in den rom. Sprachen rēgula
nur in der konkreten Bed. fortgesetzt, aprov. re-
lha f., katal. rella f., span. reja f., port. relha f.
‚längliche Pflugschar (die die alte, trichterför-
mige Pflugschar ablöst)‘, rhrom. reła ‚Quer-
leiste am Schlitten‘, trent. redža ‚Eisenstab‘,
aarag. rellia ‚Gitter‘, port. rejas, astur. reyas
‚Radspeichen‘.
Neben den vorgenannten volkssprachlich ent-
wickelten Formen zeigen sich im Frz. seit dem
11. Jh. Formen mit erhaltenem -u-, die durch
den Einfluss des Lat. bedingt sind; vgl. afrz.
riule f., mfrz. rieule f. ‚Regel, moralisches Prin-
zip, Richtschnur, Lineal‘. In der abstrakten Bed.
wurde diese afrz./mfrz. Form ins Engl. entlehnt;
vgl. ne. rule ‚Regel, Vorschrift, Mönchsregel,
Handlungsmaxime, Gewohnheit, Gesetz‘. Die
nfrz. Form règle (seit Anfang des 14. Jh.s) ist
ein jüngerer bildungssprachlicher Fortsetzer
aus klass. lat. rēgula.
Lat. rēgula ist in den rom. Sprachen bildungs-
sprachlich fortgesetzt: italien. regolo m. ‚Li-
neal‘, regola f. (< ält. italien. régula f. ‚Regel‘;
auch als spezielle Bez. für im Spätmittelalter
entwickelte Richtlinien zur geregelten Nutzung
von Gemeinschaftsgebieten, v. a. Waldeigen-
tum; in dieser Bed. wurde das Wort ins Dolo-
mitenladin. entlehnt: regole f. < italien. régula),
rum. regulă ‚Regel‘, prov. regla ‚dss.‘, frz.
règle ‚dss.‘ (afrz. reule, riule f., mfrz. ruille,
rieulle m. ‚Regel, moralisches Prinzip, Richt-
schnur‘, afrz., mfrz. regle f. ‚Lineal, Prinzip,
Maxime, die unser Handeln lenkt‘, mfrz. regule
‚Regel, von Amtsträgern zu befolgen‘), nfrz.
auch ‚Lineal‘, span. regla f. ‚Regel, Lineal‘,
port. regra f. ‚Regel‘, régua f. ‚Lineal‘.
Ins Kelt. ist rēgula in seiner abstrakten Bed.
ebenfalls übernommen worden: air. riagul,
ríagol f., nir. riaghal, riail f. ‚Regel, Vorschrift,
Richtlinie, Disziplin, Sitte, Lineal, gerade Linie‘,
abret. regul, bret. reol f. ‚Regel, Prinzip, Re-
gime‘, korn. rewl ‚dss.‘, kymr. rheol, reol f.
‚dss.‘.

Walde-Pokorny 2, 362 ff.; Pokorny 854 ff.; LIV² 498;
Walde-Hofmann, Lat. et. Wb. 2, 427; Ernout-Meillet,
Dict. ét. lat.⁴ 569; de Vaan, Et. dict. of Lat. 517; Niermeyer,
Med. Lat. lex.² 2,1178; Du Cange² 5, 675 f.; Körting,
Lat.-rom. Wb.³ Nr. 7912; Meyer-Lübke, Rom. et. Wb
Nr. 7177; Wartburg, Frz. et. Wb. 10, 217 ff.; Hessens Ir.
Lex. 2, 206; Vendryes, Lex. ét. de l’irl. anc. R-26; Dict.
of Irish R-56; Deshayes, Dict. ét. du bret. 622. – Kramer,
EWD 5, 497 f.; Stotz 1996–2004: 5, 931.

S. rigil.

LW, HB

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