rein m. a-St. (neben i-St.?), bei O und
frühestens seit dem 11. Jh. in Gl. (Hs. Prag,
Ms. VIII H 4, 11. Jh., die Zeit der Eintragung der
Gl. unbekannt): ‚Rain, (Acker-)Grenze, Schutz-
wehr; columen, limes, parimen, spatium in agris‘
〈Var.: -ai-〉. Die Stammklasse lässt sich aus
dem Beleg bei O 5, 3, 11: mit réino sicher als
a-St. bestimmen; bei einem i-St. wäre nach
Kelle (1856–81) 1967: 2, 188 *reinu zu er-
warten gewesen. Die Annahme von L. A. ten
Winkel, De Taalgids 2 (1860), 96, dass reino
zu einem sonst nicht belegten Subst. *reina f.
‚Reinheit‘, einer Nebenform zu reinî f. ‚Rein-
heit‘ (s. d.) gehört, ist sicher nicht zutreffend;
vgl. dagegen zu Recht Kelle, a. a. O. 3, 481, wo-
bei auch die dort vorgeschlagene Möglichkeit,
dass reino ein Adv. sein könnte, wegen der Ab-
hängigkeit von mit kaum überzeugend ist. Ob
die später bezeugten Gl.belege als a- oder i-St.
einzuordnen sind, bleibt offen; die Belege (nur
nom.sg.) lassen keine Entscheidung zu. Das
Wort erscheint auch als Bestandteil in ON (vgl.
Förstemann [1900–16] 1966–68: 2, 2, 532 f.). –
Mhd. rein st.m. (mit einem sw. Pl. [die reinen])
‚begrenzende Bodenerhöhung, Rain, Meeres-
ufer, Untiefe‘, nhd. Rain m. ‚(gehoben) unbe-
bauter schmaler Streifen Land als Grenze zwi-
schen zwei Äckern, (süddt., schweiz.) Abhang‘.
Die Schreibung mit -ai- setzt sich seit dem 18.
Jh. durch, um dieses Wort vom homonymen
Adj. rein zu unterscheiden.
Ahd. Wb. 7, 857; Splett, Ahd. Wb. 1, 739; eKöbler, Ahd.
Wb. s. v. rein; Schützeichel⁷ 257; Starck-Wells 478.
828; Schützeichel, Glossenwortschatz 7, 370; Bergmann-
Stricker, Katalog Nr. 785; Seebold, ChWdW9 672; Graff
2, 527; Lexer 2, 388; 3, Nachtr. 347; Diefenbach, Gl. lat.-
germ. 330 (limes); Dt. Wb. 14, 72 f.; Kluge²¹ 579; Kluge²⁵
s. v. Rain; ePfeifer, Et. Wb. s. v. Rain. – W. Erben, ZSavStR
43 (1922), 8–10.
In den anderen germ. Sprachen entsprechen: as.
(nur als KVG) rēni- (in rēnifano m. ‚Rainfarn‘
[s. reinfan*]), mndd. reyn ‚Grenze, Grenzmar-
kierung‘ (ohne Genusangabe in den Wbb.);
mndl. rein, reen m. ‚begrenzende Bodenerhö-
hung (an einem Acker oder Wald), Grenze,
Grenzpfahl‘, nndl. (veralt., dial. ostndl.) reen
m./f. ‚Grenze, Grenzstreifen, Grenzweg, Grenz-
pfahl‘, verbreiteter im Ndl. im Komp. reen-
genoot m. ‚Besitzer angrenzenden Landes‘; aisl.
rein (als KHG -reina) f. ‚Rain, Grenze, Weg,
Land‘, nisl. rein, reina f. ‚schmaler Streifen
Land, Gras- oder Bodenstreifen, Grenzlinie
zwischen Feldern‘, fär. rein f. ‚Kante eines Fel-
des, Landstücks‘, adän., ndän. ren ‚ungepflüg-
ter Streifen zwischen Äckern, Ackerscheide‘,
nnorw. rein, (nn.) reina ‚Wiesenstreifen zwi-
schen Äckern, Grashügel am unteren Rand
eines schrägen Ackers, Erdwall‘, aschwed.,
nschwed. ren, nschwed. dial. ren, rain ‚grasbe-
wachsene Kante um einen Acker‘, agutn. rain
f. ‚Ackerrain‘: < urgerm. *rai̯na-/-ō(n)-.
Aus dem Nordgerm. ist das Wort als me. rein
(neben rēne, rain[e], in ON raing) ‚Grenze‘
entlehnt (vgl. Björkman [1900–02] 1973: 1,
63); das Subst. erscheint auch in engl. ON wie
Rainhill in Lancashire (Raynhull a. 1190), viel-
leicht auch in Raincliff bei Scarborough (Ran-
cleiff a. 1405) (vgl. Lindkvist 1912: 74) und
möglicherweise auch in dem ON Rainworth in
Nottinghamshire (Reynwath a. 1268) ‚Grenz-
Furt‘; möglich ist aber auch die Anbindung an
die Entsprechung von ahd. reini adj. ‚rein, sau-
ber, lauter‘ (s. d.), also im Sinne von ‚saubere
Furt‘ (vgl. Mills 2011: 382).
Das in Verwijs-Verdam, Mndl. wb. 6, 1218 angeführte
afries. KVG rein- lässt sich weder bei Hofmann-Popkema,
Afries. Wb. noch bei Richthofen, Afries. Wb. finden.
Fick 3 (Germ.)⁴ 332; Kroonen, Et. dict. of Pgm. 403;
Tiefenbach, As. Handwb. 311; Wadstein, Kl. as. Spr.denkm.
215; Lasch-Borchling, Mndd. Handwb. 2, 2, 2000; Schiller-
Lübben, Mndd. Wb. 3, 451; Verwijs-Verdam, Mndl. wb.
6, 1218; Vries, Ndls. et. wb. 567; WNT s. vv. reen², reen-
genoot; eMED s. v. rein n.²; Vries, Anord. et. Wb.² 438 f.;
Jóhannesson, Isl. et. Wb. 698 f.; Fritzner, Ordb. o. d. g.
norske sprog 3, 66; ONP s. vv. -rein, -reina; Jónsson,
Lex. poet. 462; Holthausen, Vgl. Wb. d. Awestnord. 225;
Magnússon, Ísl. Orðsb. 750; Falk-Torp, Norw.-dän. et.
Wb. 2, 890. 1532; Nielsen, Dansk et. ordb. 343; Ordb. o.
d. danske sprog 17, 726 f.; Bjorvand, Våre arveord²
872 f.; Torp, Nynorsk et. ordb. 523; NOB s. vv. rein, (nn.)
reine; Hellquist, Svensk et. ordb.³ 2, 826; Svenska akad.
ordb. s. v. ren. – RGA² 24, 117–119.
Urgerm. *rai̯na-/-ō(n)- kann unmittelbar mit
air. róen, ráen m. ‚Weg, Pfad‘, nir. raon ‚Weg,
Pfad, Entfernung‘, abret. 〈runt〉 für +run ‚An-
höhe‘, mbret., nbret. run f. ‚Hügel‘ verbunden
werden, die auf eine Vorform *(H)roi̯-no-/-neh₂-
weisen.
Wenn die ursprüngliche Bedeutung ,Erhöhung‘
war (so bereits fragend E. Christmann, ZMF 31
[1964], 195: „ob also nicht ‚Erhöhung‘ ursprüng-
licher Wortsinn ist?“) und im Germ. eine mit der
im Kelt. belegten Bed.entwicklung ‚Hügel‘ →
‚Abhang‘ → ‚Weg‘ (vgl. Lucht 2007: 325 Fn. 19)
vergleichbare Bed.entwicklung von ,Abhang‘ zu
,Weg‘ eingetreten ist, können die Wörter eine Ab-
leitung von der Verbalwz. uridg. *h₁rei̯- oder
*Hrei̯H- (zu den möglichen Ansätzen des Verbs
vgl. LIV² 252) ‚sich erheben‘ sein (s. zur weite-
ren Etym. rîsan ‚[ab-]fallen, niederfallen‘). Die
germ. und kelt. Formen sind dann Substantivie-
rungen eines Adj. uridg. *h₁rei̯/h₁ri-nó- bzw.
*Hrei̯H/HriH-nó-/-néh₂- ‚erhoben‘ → *h₁rói̯-
no-/-neh₂- bzw. *Hrói̯H-no-/-neh₂- ‚das Erho-
bene, die Erhebung‘ (vgl. zum Typ urgerm.
*ƀarna- ‚Kind‘ < *bhór-no-, substantiviert aus
uridg. *bher-nó- ‚geboren‘; vgl. Neri 2011: 279
Fn. 180).
Unsicher bleiben weitere hiermit verbundene
Wörter. Vielleicht gehören lit. rievà f. ‚Riff, Stein-
kluft, Fels, Klippe, Hügel‘ und lett. rieva [riêva]
‚Vertiefung, Runzel, Falte, Furche, Schramme,
Narbe‘ hierher. Diese Wörter weisen wegen des
lett. Brechtons auf eine Vorform *(H)rei̯H-
u̯eh₂- oder *(H)reh₁i-u̯eh₂- (dazu auch noch lit.
raiv f. ‚Rille, Riefe, Streif, Strieme‘ [<*(H)roi̯H-
u̯ii̯eh₁- bzw. *(H)roh₁i-u̯ii̯eh₁-]). Sind diese
Wörter tatsächlich zugehörig, ist die Verbalwz.
sicher als uridg. *Hrei̯H- anzusetzen und dem-
entsprechend für die germ. und kelt. Formen eine
Vorstufe *(H)roi̯H-no-/-neh₂- zu postulieren.
Zweifel an der Beweiskraft des lettischen Brechtons und
damit auch an einer laryngalhaltigen Wz. äußert Karulis,
Latv. et. vārd. 755.
Dazu kann ferner noch air. réo m. ‚Streifen‘
(< urkelt. *riu̯o-) gehören.
Die Verbindung von ae. rāw, rǣw f. ‚Reihe‘
(< urgerm. *rai̯u̯a-) und lat. rīma f. ‚Ritze,
Spalte, Riss, Leck‘ mit dieser Gruppe bleibt da-
gegen gänzlich unsicher, da für diese Wörter je-
weils mehrere etym. Anbindungsmöglichkeiten
vorhanden sind.
Abzulehnen ist der Ansatz einer Wz. *rei̯- ‚ritzen, reißen,
schneiden‘ bei Pokorny 857, da eine solche sonst nicht
nachweisbar ist. Die in diesem Lemma angegebenen Er-
weiterungen sind wohl jeweils eigenständige Verbalwz.;
so gehören etwa die unter der Erweiterung „reik(h)-“ (S.
858) angeführten Wörter zu zwei unterschiedlichen Wz.,
nämlich *(h₁)rei̯k̂- ‚reißen, brechen‘ und *rei̯k(u̯)h₂- ‚rit-
zen, kratzen‘ (vgl. LIV² 504).
Aus dem Ndl. ist das Wort als mfrz. rain, rin
m., nfrz. dial. rain, rein m. ‚Waldesrand‘ (vgl.
Valkhoff 1931: 209) und wallon. rinnå m.
‚Grenzstein, Pfahl, Furche zwischen zwei Fel-
dern‘ (vgl. Haust 1933: 553) entlehnt.
Aus dem Nordgerm. stammt aruss. rěnь f.
‚Sandbank‘, nruss. ren’ f. ‚dss.‘, ukrain. riń ‚gro-
ber Sand‘ (vgl. C. Thörnqvist, ZSlPh 8 [1931],
428; ders. 1948: 243).
Walde-Pokorny 2, 343 f.; Pokorny 857 f.; LIV² 252;
Walde-Hofmann, Lat. et. Wb. 2, 435; Ernout-Meillet, Dict.
ét. lat.⁴ 574; de Vaan, Et. dict. of Lat. 523 f.; Meyer-Lübke,
Rom. et. Wb.³ Nr. 7014; Wartburg, Frz. et. Wb. 16, 656;
Fraenkel, Lit. et. Wb. 2, 691 f.; Smoczyński, Słow. et. jęz.
lit.² 1028; Mühlenbach-Endzelin, Lett.-dt. Wb. 3, 550;
Karulis, Latv. et. vārd. 755; Fick 2 (Kelt.)⁴ 234; Matasović,
Et. dict. of Proto-Celt. 316; Vendryes, Lex. ét. de l’irl. anc.
R-25. 39; eDIL s. vv. réo¹, róen, ráen; Deshayes, Dict. ét.
du bret. 636. – de Bernardo Stempel 1999: 220; Lucht
2007: 325; Bauer 2008: 136; Zair 2012: 107. 248. 249.
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