ruota f. ō-/n-St., seit dem Ende des. 8.
Jh.s in Gl. und in MPs, bei N: ‚Rute, Schöss-
ling, Stab, Stange, (Mess-)Latte; antlia, (h)a-
rundo, ferula, fictor, fusticulus, pertica, rudis,
stiva, virga‘ 〈Var.: -ua-; -d-〉. – Mhd. ruote (md.
rûte, rôte, rûde, rôde) st./sw.f. ‚Gerte, Rute,
Zuchtrute, Zauberrute, -stab, Wünschelrute,
männliches Glied, bischöflicher Stab, Zepter,
Stange, Ruderstange, Messstange‘, nhd. Rute f.
‚langer, dünner, biegsamer Zweig, abgeschnit-
tener Zweig, Bündel aus abgeschnittenen Ruten
zum Schlagen, Züchtigen, (Kurzform für:) An-
gelrute, (Kurzform für:) Wünschelrute, (Jäger-
sprache) Schwanz (bei Raubwild, Hund und
Eichhörnchen)‘.
Ahd. Wb. 7, 1290 f.; Splett, Ahd. Wb. 1, 776; eKöbler,
Ahd. Wb. s. v. ruota; Schützeichel⁷ 268; Starck-Wells
500; Schützeichel, Glossenwortschatz 8, 42 f.; Seebold,
ChWdW8 245. 430. 506; Graff 2, 491; Lexer 2, 551 f.; 3,
Nachtr. 353; Diefenbach, Gl. lat.-germ. 621 (virga);
Götz, Lat.-ahd.-nhd. Wb. 712 (virga); Dt. Wb. 14,
1559 ff.; Kluge²¹ 617; Kluge²⁵ s. v. Rute; ePfeifer, Et.
Wb. s. v. Rute.
In den anderen germ. Sprachen entsprechen: as.
rōda f. ‚Messlatte, Kreuzesstamm, Rute, Maß
von 120 Einheiten‘ (es finden sich nur Schrei-
bungen mit 〈uo〉, einmal mit 〈ou〉), mndd. rôde
(roede, roͤde, roide, roude, rǒde, rôte, rôhe,
rûde, rûte) f. ‚Schössling, Spross, abgeschnit-
tener Zweig, Gerte, (Zucht-)Rute, Bündel aus
Gerten, Stock, Stab, Herrschaftsabzeichen,
Pfahl, Pfosten, Eisenstange, ein Landmaß,
Gerät zum Fischfang, Pflugsterz, Wurfarm,
Windmühlenflügel, Penis‘; andfrk. ruoda f.
‚(Zucht-)Rute, Stock, Messstange, Maß‘, früh-
mndl. roede (rode, roeden, rude, rueden) f.
‚Zweig, (Zucht-)Rute, Flöte, Stock, Stab, ein
Landmaß‘, mndl. roede (roe, roide, ruede,
ro[o]de, ro[e]ye) (f./m.) ‚Zweig, Schössling,
Messstange, ein Landmaß, Stock, Stab, Penis,
dünne Säule‘, nndl. roede, roe (f.) ‚dss.‘; afries.
rōde f. ‚Galgen, Rute, Gerte, Stab, Rute (ein
Landmaß)‘, nwestfries. roede f. ‚Zweig, Bündel
aus Gerten, (Zucht-)Rute, Stock, Stab, ein
Landmaß, Messstange‘, saterfries. roude f.
‚Rute‘, nnordfries. rou ‚Rute, Kreuz, Galgen‘;
ae. rōd, rōde f. ‚Rute, Stange, Kreuz, Galgen,
Rute Land‘, me. rọ̄de (rod, roude, [nordme.]
rud[e], [frühme.] roden, rode) ‚Kreuz, Kruzi-
fix, Schmerz, ein Landmaß‘, ne. rood ‚Kreuz,
(veraltet) ein Längen- und Flächenmaß‘; aisl.
róða f. ‚Rute, Stange, Stock, Kreuz, Heiligen-
bild‘, nisl. róða f., róði m. ‚dss.‘, nnorw. dial.
rå ‚Stange, Angel‘, nschwed. roa, dial. ro(e),
rod(a) ‚Stange, Stock‘: < urgerm. *rōđō(n)- f.,
*rōđa(n)- m.
Im Skand. sind die Bed. ‚Kreuz, Heiligenbild‘ (vielleicht
zusammen mit der Form) aus dem Engl. übernommen;
die urspr. Bed. zeigt sich noch im Komp. aisl. hjalmróða
f. ‚Stange, die das Dach eines Heuschobers trägt‘.
Die Wörterbücher führen teils auch eine aisl. Form róði
m. an (vgl. etwa Vries, Anord. et. Wb.² 450), die laut ONP
s. v. *róði aber zu streichen ist.
Aus dem Mndd. stammen ält. ndän. rode, ndän.
rode ‚ein Längen- und Flächenmaß‘, nschwed.
rode ‚dss.‘.
Unklar bleibt, ob finn. ruode ‚Dachlatte, Stütze,
große Rute, Querbalken unter dem Wagenkas-
ten‘, ruote ‚Dachlatte, Latte als Stütze der Tür-
pfosten, große Rute‘, ruoto ‚Dachlatte, Stütze‘,
ingr. rō̯Di(ain ‚Dachlatte, Stütze‘, wot. (Dial.
von Kukkosi) rō(tśiaimē-riuku ‚dss.‘ (zusam-
mengesetzt mit riuku ‚Stange‘), estn. ?rood
‚(Dach-)First, Kielbalken‘, roodjas ‚Dachlatte,
Stange‘, roodle, roodli ‚Zaunstecken, Stange,
Latte‘, rooe ‚Dachlatte‘ aus diesem urgerm. Wort
oder aus urgerm. *trōđōn-, *trōđa- ‚Stange,
Latte‘ entlehnt sind (vgl. Kylstra, Lehnwörter 3,
179 f. mit Literatur).
Fick 3 (Germ.)⁴ 347; Tiefenbach, As. Handwb. 315; Sehrt,
Wb. z. Hel.² 440; Berr, Et. Gl. to Hel. 322; Wadstein, Kl.
as. Spr.denkm. 215; Lasch-Borchling, Mndd. Handwb. 2,
2, 2176 ff. (rôde²); Schiller-Lübben, Mndd. Wb. 3, 494 f.;
ONW s. v. ruoda; VMNW s. v. roede; Verwijs-Verdam,
Mndl. wb. 6, 1485 ff.; Franck, Et. wb. d. ndl. taal² 553;
Suppl. 138; Vries, Ndls. et. wb. 582; Et. wb. Ndl. Ke-R
673; WNT s. v. roede; Hofmann-Popkema, Afries. Wb.
408; Richthofen, Afries. Wb. 997; eFryske wb. s. v. roede;
Dijkstra, Friesch Wb. 3, 35; Fort, Saterfries. Wb.² 499;
Sjölin, Et. Handwb. d. Festlnordfries. XXXIV. 168;
Holthausen, Ae. et. Wb. 262; Bosworth-Toller, AS Dict.
801; Suppl. 689 f.; Suppl. 2, 52; eMED s. v. rọ̄de n.⁵;
Klein, Compr. et. dict. of the Engl. lang. 2, 1356; eOED
s. v. rood n.; Vries, Anord. et. Wb.² 450; Jóhannesson, Isl.
et. Wb. 1138 f.; Fritzner, Ordb. o. d. g. norske sprog 3,
123 f.; ONP s. vv. róða, *róði; Jónsson, Lex. poet. 471;
Holthausen, Vgl. Wb. d. Awestnord. 231; Magnússon, Ísl.
Orðsb. 769 f.; Falk-Torp, Norw.-dän. et. Wb. 2, 908
(rode²). 1534 (rode²); Ordb. o. d. danske sprog 17, 1188
(rode²); Torp, Nynorsk et. ordb. 540; NOBFM s. v. rå²;
Hellquist, Svensk et. ordb.³ 2, 841; Svenska akad. ordb.
s. vv. roa subst., rode³. – Thier 2002: 147.
Urgerm. *rōđō(n)- f., *rōđa(n)- m. haben in
den anderen idg. Sprachen keine Entsprechun-
gen und keine gesicherte Etym.
In der Literatur findet sich häufig die Zusam-
menstellung der urgerm. Formen mit lat. ra-
tis, -is f. ‚Floß‘, lat. rētae, -ārum f. ‚aus dem
Ufer des Flusses hervorragende oder aus dem
Flussbett hervorstehende Bäume‘ (nur bei
Gell. 11,17,4 [nach Gavius]) und ksl. ratište
n. ‚Lanze‘, ratovište n. ‚Lanzenschaft‘, aruss.
ratišče n. ‚Lanze‘, russ. (älter) rátovišče n. ‚Lan-
zenschaft‘, ukrain. rátyšče n. ‚Lanze‘, slowen.
ratíšte n. ‚dss.‘, kroat. ratište ‚dss.‘, tschech.
ratište ‚dss.‘.
Die slaw. Wörter gelten aber heute nicht mehr
als zugehörig, sondern als eine Ableitung von
der Gruppe um aksl. ratь f. ‚Krieg, Kampf‘; da-
bei läge eine Einengung der Bed. von ‚Kampf-
gerät, Waffe‘ zu ‚Lanze‘ vor.
H. Bichlmeier hält einen Zusammenhang zwischen ur-
germ. *rōđō(n)- f., *rōđa(n)- m., das sich dann aus vor-
urgerm. < *rōtó/- entwickelt hat, und vorurslaw. *rōt-
> urslaw. *rāt- mit Ableitung *rāt-iske- > gemeinslaw.
*ratišče mit einer Bed. ‚stock-/steckenartiges (Kampf-)
Gerät‘ > ‚Lanze‘ für möglich. Jedoch fehlt offenbar
eine sonstige Anschlussmöglichkeit.
Bei den lat. Wörtern ist bereits deren innerer
Zusammenhang unklar; lat. ratis geht wohl bei
einer Vorform *h₁h₁-tí- auf die Wz. uridg.
*h₁erh₁- ‚rudern‘ zurück, so dass eine Verbin-
dung mit den germ. Wörtern aus semantischen
Gründen kaum in Frage kommt.
Will man die etym. Verbindung zwischen lat.
ratis und den germ. Wörtern dennoch auf-
rechterhalten, wäre für das Germ. von einer
urspr. Bed. ‚Ruderstange‘ auszugehen, die
sich zu ‚Stange‘ entwickelt hätte (zum proble-
matischen Nebeneinander von uridg. *h₁erh₁-
und *h₁reh₁- s. ruodar). Jedoch bleibt unklar,
wie sich daraus die Bed. ‚Sprössling‘ entwi-
ckelt hätte.
Bei der Annahme, dass die urspr. Bed. der
germ. Wörter ‚Sprössling‘ war, ist aber auch
der Anschluss an die Wz. uridg. *h₁er- ‚wohin
gelangen, geraten‘ oder uridg. *h₃er- ‚sich in
(Fort-)Bewegung setzen‘ denkbar; für die Se-
mantik von uridg. *h₁er- vgl. gr. ἔρνος n. ‚Trieb,
Spross‘, das lautlich hierher gehört, für die
Semantik von uridg. *h₃er- vgl. die Bed. von
aksl. rasti ‚wachsen‘. Dabei müsste *h₁er- bzw.
*h₃er- mit *-eh₁- zu *h₁r-eh₁- bzw. *h₃r-eh₁-
als Basis erweitert worden sein (zu solchen Er-
weiterungen s. u. a. krâ, kral, lâo).
Walde-Pokorny 1, 149; 2, 368; Pokorny 866; LIV² 238.
299 ff.; Add. s. vv. *h₁er-, *h₃er-; Frisk, Gr. et. Wb. 1,
564 f.; Chantraine, Dict. ét. gr.² 357; Beekes, Et. dict. of Gr.
1, 462 f.; Walde-Hofmann, Lat. et. Wb. 2, 430; Ernout-
Meillet, Dict. ét. lat.⁴ 565; de Vaan, Et. dict. of Lat. 514 f.;
Trubačëv, Ėt. slov. slav. jaz. 32, 212 f. 213 f. (ortь¹);
Derksen, Et. dict. of Slav. 376; Et. slov. jaz. staroslov. 754;
Bezlaj, Et. slov. slov. jez. 3, 155; Vasmer, Russ. et. Wb. 2,
495; ders., Ėt. slov. russ. jaz. 3, 448. – Schrijver 1991: 306 f.
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