rûta f. n-St., seit dem 2. Viertel des 9.
Jh.s in Gl. und in T: ‚Raute, Aaronstab ?;
a(a)ron, corna, erysimon, iarus, panchresta,
piganon, ruta‘ (Ruta graveolens L.) 〈Var.: -d-〉.
Das Wort ist aus lat. rūta f. ‚Raute, ein bitteres
Kraut‘ entlehnt. – Mhd. rûte sw.f. ‚Raute,
Name verschiedener Pflanzen‘, nhd. Raute f.
‚Pflanze mit Öl enthaltenden Blättern und gel-
ben oder grünlichen Blüten‘.
Das Wort ist etym. wohl identisch (anders etwa
Kluge²⁵ s. v. Raute¹: „Entstehung dunkel“) mit
mhd. rûte sw.f. ‚gleichseitiges, schiefwinkliges
Viereck, Raute, Fensterraute‘, frühnhd. raute f.
‚Rhombus, auch im Glasfenster‘, nhd. Raute f.
‚Rhombus, Kurzform für: Rautezeichen‘. Es
handelt sich um eine Übertragung der vierteili-
gen Blütenform der Pflanze auf eine zunächst in
der Heraldik auftretende geometrische Figur.
Ahd. Wb. 7, 1302 f.; Splett, Ahd. Wb. 1, 778; eKöbler,
Ahd. Wb. s. v. rūta; Schützeichel⁷ 268; Starck-Wells 500;
Schützeichel, Glossenwortschatz 8, 48 f.; Seebold,
ChWdW9 694; Graff 2, 490; Heffner 1961: 124; Lexer 2,
558 f.; Götze [1920] 1971: 174; Diefenbach, Gl. lat.-
germ. 152 (corna). 208 (erysimon). 421 (peganum). 504
(ruta); Götz, Lat.-ahd.-nhd. Wb. 581 (ruta); Dt. Wb. 14,
318 ff.; Kluge²¹ 587 f.; Kluge²⁵ s. vv. Raute¹, Raute²;
ePfeifer, Et. Wb. s. v. Raute. – Marzell [1943–79] 2000:
1, 446. 462; 3, 1552 ff.
Ebenfalls letztendlich aus lat. rūta entlehnt
sind: mndd. rûde, rûte (-tt-) f. ‚Raute‘ (in der
Fügung wilt rûde ‚Erdrauch‘) und mit gleicher
Entwicklung wie im Mhd. ‚Rhombus, Raute,
rautenförmige Einzelscheibe des Fensters‘;
frühmndl. rute, auch in lat. Form als ruta f.
‚Raute‘, mndl. rute (ruyte, ruyt) (f.) ‚Raute‘ und
wie im Mhd. ‚gleichseitiges, schiefwinkliges
Viereck, Fenster‘, nndl. ruit (f.) ‚Raute, Fenster-
scheibe, gleichseitiges, schiefwinkliges Vier-
eck‘; nwestfries. rút (m./f.) ‚Raute‘, rút (n.)
‚gleichseitiges, schiefwinkliges Viereck, Fens-
terscheibe‘, saterfries. rute f. ‚Fensterscheibe,
Karo, Eckstein, Farbe beim Kartenspiel‘,
nnordfries. rüt ‚Fensterscheibe‘; ae. rūde, rūte
f. ‚Raute‘, me. rūde (rute, [frühme., in lat.
Form] ruta) ‚dss.‘ (neben aus dem Anglonorm.
entlehnten rūe [ruwe, reu(e), reuwe] ‚dss.‘,
ne. rue ‚dss.‘); nisl. rúta f. ‚Raute‘ neben (aus
dem Dän.) rúða f. ‚dss.‘, fär. (aus dem Mndd.)
rúta- (in rútaglas ‚Fensterscheibe‘), (viel-
leicht aus dem Mndd.) ält. ndän. rutæ ‚dss.‘,
ndän. rude ‚dss.‘, (aus dem Mndd.) rude ‚Fens-
terscheibe‘, nnorw. (aus dem Mndd.) rute
‚Viereck, Fensterscheibe‘, aschwed., nschwed.
ruta ‚Raute‘, (aus dem Mndd.) ruta ‚Viereck,
Rhombus, Raute, Scheibe‘.
Das in der Lit. angeführte Wort spätaisl. rúta f. ‚Raute‘
ist in den Wörterbüchern nicht nachweisbar (es fehlt in
Vries, Anord. et. Wb.²; Fritzner, Ordb. o. d. g. norske
sprog; ONP; Jónsson, Lex. poet.; Holthausen, Vgl. Wb. d.
Awestnord.).
Das Nebeneinander von einzelsprachlichen
Formen mit -t- und -d- weist auf einen unter-
schiedlichen Entlehnungsweg, nämlich einmal
direkt aus dem Lat. und einmal über das Gallo-
rom. (vgl. die parallelen Verhältnisse etwa bei
ketin[n]a ,Kette‘ und jetan ‚jäten‘ [s. dd.]).
Aus dem Schwed. stammt finn. ruutu ‚Fenster-
scheibe, Karo (im Kartenspiel), Rautezeichen,
Bildschirm‘.
Lasch-Borchling, Mndd. Handwb. 2, 2, 2299 f. (rûde²).
2360 f. (rûte¹); Schiller-Lübben, Mndd. Wb. 3, 521. 536;
VMNW s. vv. ruta, rute; Verwijs-Verdam, Mndl. wb. 6,
1720 f. (rute¹, rute²); Franck, Et. wb. d. ndl. taal² 563 f.
(ruit¹, ruit²); Suppl. 141 (ruit¹); Vries, Ndls. et. wb. 595
(ruit¹, ruit²); Et. wb. Ndl. Ke-R 691 f.; WNT s. vv. ruit¹,
ruit²; eFryske wb. s. vv. rút¹, rút³; Dijkstra, Friesch Wb.
3, 48; Fort, Saterfries. Wb.² 503; Sjölin, Et. Handwb. d.
Festlnordfries. 169; Holthausen, Ae. et. Wb. 264. 265;
Bosworth-Toller, AS Dict. 803. 805; eMED s. vv. rūde n.,
rūe n.; Klein, Compr. et. dict. of the Engl. lang. 2, 1363
(rue³). 1367; eOED s. vv. †rude n.¹, rue n.²; Jóhannesson,
Isl. et. Wb. 1143; Magnússon, Ísl. Orðsb. 776. 781; Falk-
Torp, Norw.-dän. et. Wb. 2, 916 (rude¹, rude²); Nielsen,
Dansk et. ordb. 349 (rude¹, rude²); Ordb. o. d. danske
sprog 17, 1325 ff. (rude¹). 1327 (rude²); Torp, Nynorsk
et. ordb. 553 (ruta³); NOB s. v. rute¹; Hellquist, Svensk
et. ordb.³ 2, 855 (ruta¹, ruta²); Svenska akad. ordb. s. vv.
ruta¹, ruta².
Lat. rūta ist wohl aus gr. ῥῡτή f. ‚Raute‘ ent-
lehnt, das selbst keine gesicherte Etym. hat. Die
vorgeschlagene Anbindung an lat. rumex m./f.
‚Ampfer, Sauerampfer‘ (so Osthoff-Brugmann
1890: 75–80) ist unsicher. Möglicherweise ist
das Wort aus einer nicht-idg. Sprache entlehnt.
W. Krogmann, WuS 19 (1938), 133 nimmt an,
dass beide Wörter separate Entlehnungen aus
einer Mittelmeersprache sind, was möglich ist.
Im Rom. ist das Wort mit der Bed. ‚Raute‘ fort-
gesetzt in: afrz. rude, mfrz. rue, nfrz. rue, prov.
ruda, aokzitan. ruda, rum., italien. ruta, log.
ruda, friaul. rude, katal. ruda, span. ruda, port.
ruda, (mit Metanalyse des Artikels) arruda.
Aus dem Gallorom. ist das Wort auch in nbret.
ruz (vgl. H. d’Arbois de Jubainville, RC 3
[1876–78], 226; nicht in Deshayes, Dict. ét. du
bret.) und bask. erua entlehnt.
Frisk, Gr. et. Wb. 2, 667; Chantraine, Dict. ét. gr.² 946;
Beekes, Et. dict. of Gr. 2, 1295; Walde-Hofmann, Lat. et.
Wb. 2, 456; Ernout-Meillet, Dict. ét. lat.⁴ 583; Körting,
Lat.-rom. Wb.³ Nr. 8228; Meyer-Lübke, Rom. et. Wb.³
Nr. 7470; Wartburg, Frz. et. Wb. 10, 597.
RS