sal(a)ha
Volume VII, Column 895
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sal(a)ha f. n-St., seit dem Ende des 8.
Jh.s in Gl.: ‚(Sal-)Weide; populus, salietum, sa-
liunca, saliuncula, salix‘ 〈Var.: -lah-, -leh-,
-lih-; -hh-, -ch-〉. Das Wort ist auch Bestandteil
von ON (Förstemann [1900–16] 1966–68: 2, 2,
664 f.). – Mhd. salhe sw.f. ‚Salweide‘, nhd.
Sal- im verdeutlichenden Komp. Salweide f.
‚als Strauch oder Baum wachsende Weide mit
breit-elliptischen, oberseits mattgrünen, un-
terseits bläulichen, filzigen Blättern und zot-
tigen silberweißen Kätzchen, Palmweide‘ (s.
sal[a]hwîda*).
Daneben steht im Ndd. noch die Form sæle f.
‚Salweide‘.

Splett, Ahd. Wb. 1, 788; eKöbler, Ahd. Wb. s. v. salaha;
Schützeichel⁷ 270; Starck-Wells 504. XLVI; Schütz-
eichel, Glossenwortschatz 8, 76 f.; Seebold, ChWdW8
247. 430. 506; ders., ChWdW9 703. 1103; Graff 6, 189;
Lexer 2, 583; Diefenbach, Gl. lat.-germ. 508 (salix); Dt.
Wb. 14, 1696. 1704 f.; Kluge²¹ 622; Kluge²⁵ s. v. Sal-
weide; ePfeifer, Et. Wb. s. v. Salweide.

Die Bildung ahd. salha < westgerm. *salχōn-
steht im Germ. allein, ist aber auch im Andfrk.
als *salha ‚Weide‘ vorhanden gewesen (s. u.).
Eine mögliche weitere Entsprechung ist mndd.
sal(e)-, sol(e)- als KVG von sal(e)wîde,
sol(e)wîde ‚Salweide‘ (neben volksetym. an
mndd. salt, solt ‚Salz‘ [s. salz] angeglichenem
salt-/soltwîde), das aber auch zu ae. sealh, angl.
salh, sal(i)g m. ‚Salweide‘ (zur Verteilung von
Länge und Kürze im Paradigma nach Schwund
von -h- in den flektierten Formen vgl. Hogg
1992: §§ 5, 124. 127; Hogg-Fulk 2011: § 3, 28),
me. salou(e) (sallou, sal[e]u, solou, salu[g]h,
sal[o]we, salwhe, salgh[e], salȝe, sali, seli)
‚(Sal-)Weide‘, ne. sallow, dial. saugh, sauch,
(veralt.) seal ‚Salweide‘ < westgerm. *salχa-
gehören kann.

Die ae. Form wird teilweise in älterer Literatur (und neu-
erdings auch bei Lühr 2000: 98, Kroonen, Et. dict. of
Pgm. 424 und s. v. îgo) unzutreffend als f. eingeordnet;
vgl. zur Beleglage Bierbaumer 1975: 2, 102.
Die Form ne. (veralt.) seal beruht wohl zumindest teil-
weise auf aisl. selja (s. u.; vgl. Thorson 1936: 75).

Entsprechungen zu ndd. sæle f. ‚Salweide‘ fin-
den sich in: andfrk. (in ON) sella f. ‚Weide‘;
aisl. selja f. ‚Salweide‘, nisl. selja f. ‚dss.‘, ält.
ndän. silie, sellie ‚dss.‘, ndän. selje, silje ‚dss.‘,
nnorw. selje ‚dss.‘, nschwed. sälg ‚dss.‘ < ur-
germ. *salχiōn-.
Aus dem Nordgerm. sind lapp.-norw. šallja,
lapp.-schwed. šalj(a) ‚Salweide‘ (Qvigstad 1893:
331) und finn. selja ‚Holunder‘ entlehnt.

Die ahd. Form zeigt, dass ein Rekonstrukt urgerm. *sa-
liχōn-, das Kroonen, Et. dict. of Pgm. 424 alleinig zur Er-
klärung sämtlicher germ. Formen ansetzt, unwahrschein-
lich ist. Da nur das Ahd. einen Vokal zwischen *-l- und
*-χ- zeigt, liegt die Annahme näher, dass die urspr. Lau-
tung im Germ. *-- war und der Vokal im Ahd. ein
Sprossvokal ist (Reutercrona 1920: 33. 66. 70; zum Spross-
vokal in der Folge ahd. -lh- vgl. Braune-Heidermanns
2018: § 69), da urgerm. *-i- in der Mittelsilbe nach kurzer
Silbe ziemlich fest ist und erst spätahd. in -e- übergeht
(vgl. Braune-Heidermanns, a. a. O. § 64); im Falle von
urgerm. *saliχōn- hätte daher das ahd. Wort saliha ge-
lautet. Die Form *saliχōn- ist offenbar lediglich ange-
setzt, damit die germ. Formen formal enger an die Ver-
wandten in den anderen idg. Sprachen angeschlossen
werden können (s. u.).

Fick 3 (Germ.)⁴ 436; Kroonen, Et. dict. of Pgm. 424;
Lasch-Borchling, Mndd. Handwb. 3, 17. 19. 333; Schiller-
Lübben, Mndd. Wb. 4, 18; ONW s. v. sella; Franck, Et.
wb. d. ndl. taal² 796 f. (s. v. wilg); Vries, Ndls. et. wb.
839 f. (s. v. wilg); Et. wb. Ndl. S-Z 625 (s. v. wilg);
Holthausen, Ae. et. Wb. 286; Bosworth-Toller, AS Dict.
851; Suppl. 700; eMED s. v. salou(e) n.; Klein, Compr.
et. dict. of the Engl. lang. 2, 1375 (sallow n.); eOED s. vv.
sallow n., saugh | sauch n., seal n.⁴; Vries, Anord. et. Wb
469 (selja²); Jóhannesson, Isl. et. Wb. 766; Fritzner,
Ordb. o. d. g. norske sprog 3, 203; ONP s. v. selja²;
Jónsson, Lex. poet. 488 (selja¹); Holthausen, Vgl. Wb. d.
Awestnord. 239 (selja²); Magnússon, Ísl. Orðsb. 803
(selja¹); Falk-Torp, Norw.-dän. et. Wb. 2, 956. 1538;
Nielsen, Dansk et. ordb. 363; Ordb. o. d. danske sprog
18, 986 f. 1381; Bjorvand, Våre arveord² 941 f.; Torp,
Nynorsk et. ordb. 573; NOB s. vv. (bm.) selje, (nn.) selje¹;
Hellquist, Svensk et. ordb.³ 2, 1145 f.; Svenska akad.
ordb. s. v. sälg subst.¹. – Mottausch 2011: 147.

Urgerm. *salχ- < vorurgerm. *solH-()- hat
keine genau vergleichbaren Entsprechungen,
da sämtliche nahestehenden Formen nicht mit
*-()-, sondern mit *-i()- gebildet sind: gr.
myk. gen.sg. e-ri-ka /helikās/ f. ‚Weide‘, gr.
ἑλίκη f. ‚dss.‘ (< *selH-i[]-ah₂-; s. u.); vgl.
auch lat.-gr. akk.sg. helicem bei Plinius,
nat.hist. 16,177: tertiam [= salicem] quae bre-
vissima est helicem vocant ‚die dritte [Weide],
die sehr kurz ist, nennen sie Helix‘; lat. salix
f. ‚Weide(nbaum)‘ (< *sH-i[]-; zur Entwick-
lung von *H > aR /_V vgl. Meiser [1998]
2010: § 76, 9); gall. KVG Salico- ‚Weide‘ (in
PN dat.sg. Salicogenne), auch in ON wie
gr.-hispano-kelt. (?) Σαλίκα, air. sail, gen.sg.
sailech f. ‚dss.‘, mkymr. helyg-en f. ‚Weide‘,
helyg ‚Weiden‘, mbret. halek ‚dss.‘, nbret.
haleg m./Koll. ‚Weide(n) ‘, korn. helyk ‚dss.‘
(< *sH-i[]-; zur Entwicklung von *H > aR /
_V vgl. etwa air. sain adj. ‚abweichend‘ <
*sH-i-).
Da der Baum in den Einzelsprachen mit dem
Farbadj. ‚grau‘ verbunden werden kann (vgl.
im Lat. die stehende Verbindung salix cāna ‚die
graue Weide‘), liegen wohl unterschiedliche
Ableitungen von der Wz. *selH- ‚grau, düster,
dunkel‘ vor, die im Ahd. noch in salo ‚dunkel‘
(s. d.; auch zur weiteren Etym.) fortgesetzt ist.
Benennungsmotiv ist die Farbe der Blätter; zu
‚grau‘ als Benennungsmotiv vgl. auch lit. žilvìtis
m. ‚Korb-, Uferweide‘ zu lit. žìlas adj. ‚grau‘
(Fraenkel, Lit. et. Wb. 2, 1309; Smoczyński,
Słow. et. jęz. lit.² s. v. žilvìtis).

Dass diese Wz. zur Bildung von PflN auch sonst vor-
kommt, zeigen etwa nhd. dial. thür. sa(a)llaub, saal-
lauch(e), saallauf, saalzwiebel, sämtlich ‚Schnittlauch‘,
schwäb. salblume ‚Knabenkraut‘, holst. saalber ‚schwar-
ze Johannisbeere‘ (vgl. dazu S. Ziegler, in Neri-Sturm-
Ziegler 2016: 187–191). Zu Farbbez. als Benennungs-
motiv von Bäumen vgl. etwa ahd. îwa ‚Eibe‘ (s. d.).

Aus dem sonst nicht belegten andfrk. *salha f.
‚Weide‘ stammt nfrz. saule f. ‚dss.‘ (Gamillscheg
1970: 1, 325. 370).

In der Literatur (vgl. stellvertretend Beekes, Et. dict. of
Gr. 1, 410 [ἑλίκη¹]) werden die gr. Wörter wegen gr. boiot.
ϝελικών (überliefert bei Corinna [PMG 654.30]) neben gr.
Ἑλικών, Name eines Gebirges in Böotien, von den ande-
ren Wörtern für die Weide getrennt, da die boiot. Form
eine Rekonstruktion mit *w- nötig mache. A. Nikolaev
aber zeigt (im Erscheinen; ich bedanke mich ganz herz-
lich bei dem Autor für die Möglichkeit zur Einsicht-
nahme), dass der Gebirgsname in boiot. Inschriften aus-
nahmslos ohne Digamma geschrieben wird, die Form mit
Digamma bei Corinna somit vollkommen isoliert steht.
Daraus schließt er überzeugend, dass das Digamma in
ϝελικών das Resultat eines Hyperboiotismus ist, der von
Corinna selbst eingeführt wurde.
Die Zugehörigkeit von gr. myk. gen.sg. e-ri-ka /helikās/
f. ‚Weide‘, gr. ἑλίκη f. ‚dss.‘ zu den restlichen Wörtern
ist dennoch nicht ganz sicher. Die Wörter gehören in-
nergr. wohl zu gr. ἕλος n. ‚Sumpf, Morast, Marsch,
feuchte Wiese, Flussdelta‘, das Stüber 2002: 147–149
nicht als *selH-e/os- ‚Morast, Dreck, Sumpf‘ zu uridg.
*selH- ‚grau‘, sondern zu uridg. *sel- ‚wohnen, verwei-
len‘ (s. sal¹) im Sinne von ‚Ort, an dem das Wasser zum
Stillstand kommt bzw. stehen bleibt‘ stellt; etwas abwei-
chend bereits bei F. Solmsen, ZVSp 32 (1893), 286: zu
lat. solum n. ‚Boden, Grund‘, wobei er die gr. Wörter von
*sel- ‚wohnen‘ trennt. Semantisch überzeugt diese An-
bindung aber weniger (vgl. auch S. Neri, in Neri-Ziegler
2012: 55 f.).

Zur Verwendung des Suff. uridg. *-()- in
Baumnamen vgl. u. a. St. Schaffner, MSS 56
(1996), 158 f. Fn. 112; vgl. auch etwa die
Gruppe um mhd. wilge f. ‚Weide‘.

Da ähnlich klingende Wörter auch im Finno-Ugr. vor-
kommen (vgl. finn. salava ‚Palmweide‘, tscherem. šol
‚Ulme‘, ung. szil ‚Ulme Rüster‘; vgl. Rédei 1988: 458 f.),
nahm Collinder 1965: 32 ein gemeinsames indo-ural.
Spracherbe an; wahrscheinlicher ist jedoch entweder eine
Entlehnung dieser Wörter aus einer idg. Sprache oder
eine zufällige lautliche Nähe.
Die oben vorgeschlagene Etym. macht die Annahme ei-
nes Substratwortes (so etwa Et. wb. Ndl. S-Z 625 [s. v.
wilg]) überflüssig.

Walde-Pokorny 2, 453 f.; Pokorny 879; Frisk, Gr. et. Wb.
1, 494 (ἑλίκη¹). 501 f.; Chantraine, Dict. ét. gr.² 322 f.
326. 1295; Beekes, Et. dict. of Gr. 1, 410 (ἑλίκη¹). 415;
Aura Jorro-Adrados 1985 ff.: 1, 244 f.; Walde-Hofmann,
Lat. et. Wb. 2, 469; Ernout-Meillet, Dict. ét. lat.⁴ 590 f.;
de Vaan, Et. dict. of Lat. 536; Körting, Lat.-rom. Wb.³ Nr.
8287; Meyer-Lübke, Rom. et. Wb.³ Nr. 7524; Wartburg,
Frz. et. Wb. 17, 10 f.; Fick 2 (Kelt.)⁴ 292; Matasović, Et.
dict. of Proto-Celt. 319 f.; Delamarre, Dict. gaul.³ 265 f.;
Vendryes, Lex. ét. de l’irl. anc. S-13; eDIL s. v. sail; Dict.
of Welsh 2, 1846 f.; Deshayes, Dict. ét. du bret. 320. – A.
Kuhn, ZVSp 2 (1853), 129; Solmsen 1901: 15 f. Fn. 1;
Krahe-Meid 1969: 3, § 144a (S. 189); Schrijver 1991:
103 f.; Genaust 1996: 326; Mallory 1997: 643; Bartoněk
2003: 170. 355. 556.

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