sê interj., in I, B, GB, MF: ‚wohlan,
siehe!; ecce‘ 〈Var.: see〉. – Mhd. sê interj. ‚siehe
da, da, nimm!‘, frühnhd. se interj. ‚höre!, hier
nimm!‘, pl. sêt, sênt, nhd. mdartl. (bes. beim
Anbieten, auch Lockruf für Tiere, v. a. Rinder,
Ziegen, Schweine) schweiz. sē, sĕ, sä interj.
‚sieh, gib acht, wohlan, nimm hin, lass sehen!‘,
pl. sinet, sinnen, els. sä, se interj. ‚hier, da hast
du, nimm!‘, bad. se, sȩ, sǝ, s, s̄, sö interj. ‚da,
dort, hier‘, pl. send, sn ‚da habt ihrs‘, schwäb.
se, sä, sḝ interj. ‚schau, da!, nimm!‘, pl. seǝnt,
senet, vorarlb. se interj., pl. send, seaned als
Lockruf, in Verbindung mit wie ‚lass sehen!,
wohlan!, vorwärts!‘, bair. sè interj. ‚nimm
hin!‘, 3.sg. sèrǝ ‚nehme er‘, sès ‚nehme sie‘, pl.
sèts, sèttǝ ‚nehmt!‘, sèns ‚nehmen Sie!‘, kärnt.
sê interj. ‚nimm!, da hast du!‘, 2.pl. seat, seatit,
3.pl. seant se, tirol. se, sê, sẹ, sệ interj. ‚da
nimm!, schau hier!‘, pl. sèts, sètted ‚nehmt
hin!‘, sèns ‚nehmen Sie!‘, steir. se! se!
‚wohlan!, sieh da! da nimm!‘, lothr. sä interj.
‚hier, da hast du, nimm‘, rhein. se, zə Lockruf
für das weidende Vieh, preuß. sä ‚nimm hin!,
da hast‘.
Die Interj. sê erscheint in sênu und nsê in Ver-
bindung mit n, sie ist weiterhin zweiter Be-
standteil des Demonstrativpron. dese (s. s. vv.).
Im späteren Dt. finden sich häufiger Verwen-
dungen mit Lokaladv., wie in mhd. sê hin, dô sê.
Obwohl die lat. Vorlage ecce zunächst auf eine
Bedeutung ‚siehe‘ führt und so an etymologi-
sche Zugehörigkeit zu ahd. sehan ‚sehen‘ den-
ken lässt, spricht der formale Unterschied ge-
gen diese Anknüpfung: die reguläre 2.sg.imper.
ahd. sih zu sehan ist gut belegt, ebenso die
3.sg.konj.präs. sehe. Die dt. Dial. führen die
Trennung von Interj. und dem entsprechenden
Imper. fort; vgl. etwa schwäb. sieh, sī ‚siehe‘
vs. se, sä, sḝ, schweiz. (g’)sich vs. sē, sĕ, sä.
Die Numerusdifferenzierung wie in frühnhd.
sêt kann sekundär aufgekommen sein und eine
weitere Personenbildung wie in bair. 3.sg. sèrǝ
nach sich gezogen haben; vgl. eine ähnliche
Entwicklung in got. sg. hiri ‚her, hierher‘, du.
hirjats, pl. hirjiþ (Braune-Heidermanns 2004:
§ 219 Anm. 1), gr. τῆ ‚da!‘, pl. τῆτε. Im Ahd. ist
hingegen sê mit dem Pron. gi der 2.pl. bezeugt
(s. sêgi).
Splett, Ahd. Wb. 1, 795; eKöbler, Ahd. Wb. s. v. sē;
Schützeichel⁷ 273; Seebold, ChWdW8 250; ders.,
ChWdW9 709; Graff 6, 113 f.; Heffner 1961: 129; Lexer
2, 840; Götze [1920] 1971: 198; Götz, Lat.-ahd.-nhd.
Wb. 216 (s. v. ecce); Dt. Wb. 15, 2769 ff. – Schweiz. Id.
7, 1 ff.; Martin-Lienhart, Wb. d. els. Mdaa. 2, 314; Ochs,
Bad. Wb. 5, 1; Fischer, Schwäb. Wb. 5, 1300; Jutz, Vor-
arlb. Wb. 2, 1117; Schmeller, Bayer. Wb.² 2, 201 f.; Lexer,
Kärnt. Wb. 229 f.; Schatz, Wb. d. tirol. Mdaa. 2, 566;
Schöpf, Tirol. Id. 663 f.; Unger-Khull, Steir. Wortschatz
588; Follmann, Wb. d. dt.-lothr. Mdaa. 1, 424; Frischbier,
Preuß. Wb. 2, 334; Riemann, Preuß. Wb. 5, 1.
In den übrigen germ. Sprachen entspricht got.
sai interj. ‚siehe; ἴδε, ἰδού, ἴδετε, ὅρα, βλέπε,
ἄρα οὖν, ἔστω‘, auch in der Verbindung sai nu
(s. sênu, auch zu as. sinu): < urgerm. *sai̯ ‚da,
sieh!‘.
Fick 3 (Germ.)⁴ 421; Seebold, Germ. st. Verben 387;
Feist, Vgl. Wb. d. got. Spr. 403; Lehmann, Gothic Et.
Dict. S-5.
Urgerm. *sai̯ setzt den uridg. Lok.Sg. *soi̯ des
Pronominalstammes *so ‚der, dieser‘ fort. Da-
neben stand ein e-stufiger Lok.Sg. *sei̯, den das
Germ. im zweiten Bestandteil von runennord.
nom.sg.m. sa-si, akk.sg.m. þan-si usw. (s. dese)
und womöglich auch in ahd. sinu, as. sinu (s.
sênu) bewahrt. Diese Herleitung von ahd. sê ist
ökonomischer als eine formal ebenfalls mögli-
che Rückführung auf urgerm. *sē < uridg. in-
str.sg. *seh₁ von *so, da sie im Einklang mit den
germ. Verwandten steht.
Der Pronominalstamm uridg. *so ist in idg.
Sprachen weithin fortgesetzt (s. LIPP 732 ff.;
zum Germ. s. hier s. v. der). Er erscheint ge-
wöhnlich im Suppletionsverhältnis mit dem
Stamm *to- für oblique Kasus sowie das Neutr.;
doch kommt auch analogische Durchführung
einer einheitlichen Anlautform s- oder t- vor.
Uridg. *soi̯ liegt auch dem enklitischen dat.sg.
gr. οἱ ‚ihm, ihr‘ zugrunde; nphryg. οι ‚ihm‘ ist
im Anlaut mehrdeutig. Auf uridg. *soi̯ oder *sei̯
können die Enklitika aheth. dat.lok.sg. -še,
heth. -ši ‚ihm, ihr‘, aav. dat.sg. hōi ‚ihr, der ge-
nannten‘, jav. hē, šē ‚ihm‘, apers. gen.dat.sg. -šiy
/-šai̯/ ‚dss.‘ beruhen.
Walde-Pokorny 2, 509; Pokorny 978 f.; LIPP 2, 381.
734 f.; Mayrhofer, KEWA 3, 475; ders., EWAia 2, 732;
Rastorgueva-Ėdel’man, Et. dict. Iran. lang. 3, 324 ff.;
Bartholomae, Airan. Wb.² 1721 ff.; Schmitt, Wb. d. apers.
Königsinschr. 247; Morgenstierne, Et. voc. Pashto 7; Frisk,
Gr. et. Wb. 1, 431 f.; Chantraine, Dict. ét. gr.² 293; Beekes,
Et. dict. of Gr. 1, 365; Tischler, Heth. et. Gl. S-1, 967 f.;
Kloekhorst, Et. dict. of Hitt. 741; CHD S-2, 321 ff.
DSW