seih
Band VII, Spalte 1053
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seihAWB m. a- oder i-St., nur in Gl. 1,609,43
(um 1000, bair.) und 2,20,9 (Hs. des 11. Jh.s,
Zeit und Ort der Gl.einträge unbekannt): ‚Harn;
lotia, urina‘ 〈Var.: -ch〉. – Mhd. seich st.m.
‚Harn‘, frühnhd. seich m. ‚Harn, Jauche‘, nhd.
dial. schweiz. seich, sǟch, seikχ m. ‚Harn, etwas
Wertloses, leeres Geschwätz, Unsinn‘, els.
seich, sáχ, sǽχ m. ‚Urin, Jauche‘, bad. seich,
saiχ, sāiχ m. ‚Urin, Harn, Jauche, Unsinn‘,
schwäb. seich m. ‚Urin, Unsinn‘, vorarlb. seich,
sāχ m. ‚Urin, unsinniges Geschwätz‘, lothr. sǟch
m./f. ‚Urin‘, rhein. seich m. ‚Harn, Jauche‘,
pfälz. seich, seech m. ‚Urin (bes. von Tieren)‘,
nassau. saich m./f. ‚Urin, schlechtes Getränk‘,
südhess. seich, iχ, sāχ m. ‚Harn, Urin‘, hess.-
nassau. seich m. ‚dss.‘, thür. seich m. ‚Harn,
Jauche, albernes Geschwätz‘, osächs. seich m.
‚dummes Gerede‘, preuß. zaiχ(ә) m./n., meist f.
‚Urin, Jauche, minderwertiges Getränk‘.
Daneben ist seit mhd. Zeit das st.f. seiche
‚Harn‘ belegt, das seinerseits in modernen Dial.
weiterlebt: steir. seiche f. ‚Vagina, warmer
Harn‘, ohess. seiche f. ‚Harn‘, kurhess. seiche
f. ‚dss.‘, osächs. seiche f. ‚Urin‘, schles. seiche
f. ‚dss.‘, westf. sêke f. ‚dss.‘, meckl. seich f.
‚Urin, Unrat‘.

Splett, Ahd. Wb. 1, 813; eKöbler, Ahd. Wb. s. v. seih;
Schützeichel⁷ 275; Starck-Wells 513; Schützeichel,
Glossenwortschatz 8, 139; Bergmann-Stricker, Katalog
Nr. 665. 688; Graff 6, 134; Lexer 2, 853; Götze [1920]
1971: 199; Diefenbach, Gl. lat.-germ. 336 (lotium);
Götz, Lat.-ahd.-nhd. Wb. 689 (urina); Dt. Wb. 16, 166 f.;
Kluge²¹ 698 s. v. seichen; Kluge²⁵ s. v. seichen; ePfeifer,
Et. Wb. s. v. Seich
. – Schweiz. Id. 7, 135 ff.; Martin-
Lienhart, Wb. d. els. Mdaa. 2, 320; Ochs, Bad. Wb. 5, 28;
Fischer, Schwäb. Wb. 5, 1319; Jutz, Vorarlberg. Wb. 2,
1130 f.; Unger-Khull, Steir. Wortschatz 591; Follmann,
Wb. d. dt.-lothr. Mdaa. 1, 424; Müller, Rhein. Wb. 8, 36.
41; Christmann, Pfälz. Wb. 6, 27; Kehrein, Volksspr.
u. Wb. von Nassau 336; Maurer-Mulch, Südhess. Wb.
5, 961; Crecelius, Oberhess. Wb. 780; Vilmar, Id. von
Kurhessen 381; Berthold, Hessen-nassau. Volkswb. 3,
557 f.; Spangenberg, Thür. Wb. 5, 1149; Frings-Große,
Wb. d. obersächs. Mdaa. 4, 193 f.; Mitzka, Schles. Wb.
3, 1276; Woeste, Wb. d. westf. Mda. 235; Wossidlo-
Teuchert, Meckl. Wb. 6, 250; Frischbier, Preuß. Wb. 2,
336; Riemann, Preuß. Wb. 5, 614.

In den anderen germ. Sprachen entsprechen:
frühmndl. seik m. ‚Urin‘, mndl. seik m. ‚dss.‘,
nndl. zeik m. ‚Urin, Jauche‘: < westgerm./ur-
germ. *saka- oder *saki-.
Mndd. seyche f. ‚Harn‘ ist hd. Lehnwort.
Mit der o-stufigen Wz.form urgerm. *sak-
werden in anderen germ. Sprachen oft Wörter
verglichen, die aus e-stufigem urgerm. *sek-
entstanden sein können; semantisch stehen
diese aber ferner; vgl. ae. sīć n. ‚Wasserlauf,
Bach‘, aisl. sík n. ‚stehendes oder langsam flie-
ßendes Wasser, Teich, Bucht‘.

Fick 3 (Germ.)⁴ 439; Kroonen, Et. dict. of Pgm. 421 f.
436; Seebold, Germ. st. Verben 390; Lasch-Borchling,
Mndd. Handwb. 3, 186; Schiller-Lübben, Mndd. Wb. 4,
173; VMNW s. v. seik; Verwijs-Verdam, Mndl. wb. 7,
919; Franck, Et. wb. d. ndl. taal² 815 (s. v. zeiken);
Vries, Ndls. et. wb. 859 (s. v. zeiken); WNT s. v. zeik;
Holthausen, Ae. et. Wb. 291 (sīć); Vries, Anord. et. Wb.²
474 f. (sík); Jóhannesson, Isl. et. Wb. 772 f.; Holthausen,
Vgl. Wb. d. Awestnord. 243 (sík); Hellquist, Svensk et.
ordb.³ 2, 903 (sickla).

Urgerm. *sak- könnte eine o-stufige Bildung
zu einer Wz. uridg. *se(ĝ)- sein, die vielleicht
auch in lat. siat (3.sg.ind. oder konj.) ‚harnen‘
bezeugt ist. Aber obwohl das lat.Wort lautlich
älter *siga (mit schwundstufiger Wz.) fortset-
zen kann, ist es doch nur aus einem Glossar
bekannt, wo es gr. οὐϱεῖ ἐπὶ βρέφους ‚er harnt,
zu Kleinkindern (gesagt)‘ wiedergibt. Weil so-
mit die Form siat im Lat. isoliert bleibt, lässt
sich nicht entscheiden, ob tatsächlich eine Wz.
*sig- zugrunde liegt. Ein direkter Vergleich mit
der germ. Sippe von ahd. seih wird deshalb oft
bezweifelt. Weitere außergerm. Entsprechun-
gen fehlen.
Kroonen, Et. dict. of Pgm. 421 f., nimmt an,
dass die Wz.form *sak- erst in einer Vorstufe
des Germ. zu uridg. *sek- ‚ausgießen‘ (> ur-
germ. *seχ- s. sîhan) hinzugebildet wurde.
Ausgangspunkt für den Wz.auslaut *-k- sei ein
iteratives Verb urgerm. *sikkōn- ‚tropfen‘ <
vorurgerm. *sik-néh₂- gewesen, zu dem analo-
gisch eine Var. *sik- mit einfachem -k- gebildet
wurde. Zur selben Sippe würden nhd. sickern
sw.v. ‚allmählich durch etw. hindurchrinnen,
spärlich fließen‘ und ae. sicerian sw.v. ‚sickern‘
gehören.

Kloekhorst, Et. dict. of Hitt. 741 ff., greift tentativ den
in der früheren Forschung verworfenen Vergleich von
ahd. seih und seiner Wortsippe mit heth. šēhur n. r/n-St.
‚Urin‘ wieder auf. Er vermutet, das heth. Wort könnte aus
dem Palaischen entlehnt sein, wo šēhur lautgesetzlich
aus uridg. *sek- entstanden wäre. Der Bezug zu den
germ. Wörtern ist aber dennoch kein unmittelbarer, da
ahd. seih eben nicht direkt die Wz. uridg. *sek- fortset-
zen kann, sondern allenfalls eine geneuerte Wz.form, die
auf der Basis von uridg. *sek- entstanden ist.

Walde-Pokorny 2, 466 f.; Pokorny 893; Walde-Hofmann,
Lat. et. Wb. 2, 531; Ernout-Meillet, Dict. ét. lat.⁴ 622;
Kronasser, Etym. d. heth. Spr. 1, 93. 286. 298; Tischler,
Heth. et. Gl. 2, 973 ff.; Kloekhorst, Et. dict. of Hitt.
741 ff.; CHD Š 350 f.

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