seim m. a-St., in Gl. seit dem 3. Vier-
tel des 9. Jh.s sowie in WH und NBo: ‚Ho-
nig(wabe), Nektar, Binse; alga, favus, liquidum
mel, nectar‘ 〈Var.: -e-〉. – Mhd. seim, seum, sein
st.m. ‚Honigseim‘, frühnhd. seim m. ‚Honig‘,
nhd. Seim m. ‚klebrige, zähe Flüssigkeit, bes.
vom ungeläuterten Honig, wie er aus der Wabe
abfließt‘.
Splett, Ahd. Wb. 1, 802; eKöbler, Ahd. Wb. s. v. seim;
Schützeichel⁷ 275; Starck-Wells 513; Schützeichel,
Glossenwortschatz 8, 141 f.; Seebold, ChWdW9 715.
1109; Graff 6, 221 f.; Lexer 2, 858; Götze [1920] 1971:
199; Diefenbach, Gl. lat.-germ. 22 (alga). 228 (favus).
377 (nectar); Götz, Lat.-ahd.-nhd. Wb. 398 (mel); Dt.
Wb. 16, 226 f.; Kluge²¹ 700; Kluge²⁵ s. v. Seim; ePfeifer,
Et. Wb. s. v. Seim.
In den anderen germ. Sprachen entsprechen: as.
sēm m. a-St. ‚Honigseim; nectar‘, mndd. seem,
sê(i)m m. ‚Honigseim‘; andfrk. sēm, seym m.
‚Honig, Seim‘, frühmndl. seem, zeem m. ‚(un-
geläuterter) Honig‘, mndl. seem m. ‚Honig‘,
nndl. zeem ‚dss.‘; aisl. seimr m. ‚Honigwabe,
Honig‘, nisl. seimur m. ‚Honig‘: < urgerm.
*sai̯ma-.
Die ostseefinn. Wörter finn. sima ‚eine Art Li-
monade, Met‘, finn. dial. auch ‚Nektar, Honig‘,
karel. sima ‚Honig‘, estn. sima ‚klebrige Flüs-
sigkeit, süßer Fruchtsaft‘ stammen wohl nicht
aus dem Germ., eher handelt es sich um Ent-
lehnungen aus dem Wolga-Bulg. oder Tschu-
wasch.
Fick 3 (Germ.)⁴ 422; Kroonen, Et. dict. of Pgm. 422;
Tiefenbach, As. Handwb. 329; Wadstein, Kl. as. Spr.denkm.
217; Lasch-Borchling, Mndd. Handwb. 3, 199; Schiller-
Lübben, Mndd. Wb. 4, 168; ONW s. v. sēm; VMNW s. v.
seem; Verwijs-Verdam, Mndl. wb. 7, 868 f.; Franck, Et.
wb. d. ndl. taal² 813; Vries, Ndls. et. wb. 857; Et. wb. Ndl.
S-Z 653; WNT s. v. zeem¹; Vries, Anord. et. Wb.² 468 f.;
Jóhannesson, Isl. et. Wb. 771 f.; Fritzner, Ordb. o. d. g.
norske sprog 3, 199; ONP s. v. seimr¹; Holthausen, Vgl.
Wb. d. Awestnord. 239; Magnússon, Ísl. Orðsb. 802;
Falk-Torp, Norw.-dän. et. Wb. 2, 957 f.; Kylstra, Lehn-
wörter 3, 238 f. – Metsmägi 2012: 473.
Urgerm. *sai̯ma- hat keine sichere Etym.
Wahrscheinlich geht es auf älteres *sai̯ǥu̯ma- <
vorurgerm. *soi̯ku̯-mó- zurück und gehört als ur-
spr. Adj. zum urgerm. st.v. I *sei̯χu̯e/a- ‚seihen‘
(s. sîhan). Die uridg. Wz. *sei̯ku̯-, von der
*sei̯χu̯e/a- gebildet ist, bedeutet ‚ausgießen‘, im
Medium ‚sich ergießen‘. Daraus kann die Bed.
‚Seim‘ durch Substantivierung aus dem Adj.
‚(zähflüssig) fließend‘ entwickelt sein und ‚was
(zähflüssig) aus der Honigwabe fließt‘ bedeu-
ten. Honig fließt aufgrund seiner klebrigen
Konsistenz langsam. Weitere Anschlüsse zu
der hier zugrunde liegenden Wz.form urgerm.
*sai̯ǥu̯- mit einer Bed. ‚langsam oder zäh flie-
ßend‘ sind auch in ahd. seigar adj. ‚langsam tröp-
felnd‘ (s. d.), seiglîh adj. ‚dss.‘ (s. d.) und seigwîn
m. ‚Sackwein, Krätzer‘ (s. d.) fortgesetzt. Früh-
urgerm. *sai̯ǥu̯ma- kann sich somit in zweierlei
Richtung entwickelt haben: einerseits mit
Substantivierung ‚(zähflüssig) fließend‘ >
‚(zäh-)flüssige Masse‘ > ‚Honig, Nektar‘, ande-
rerseits ‚(zähflüssig) fließend‘ > ‚zähflüssig‘
> ‚träge, langsam‘. Im Falle der zweifachen
Weiterentwicklung des germ. Wortes können
daraus auch die anderen mit ahd. seim verwand-
ten Wörter zu unterschiedlichen Zeiten vom ur-
germ. Grundwort abgeleitet worden sein: Wäh-
rend die anderen germ. Sprachen bei dieser
Sippe nur die Bed. ‚Honig‘ u.ä. zeigen, sind im
Ahd. zwei Sippen erhalten, die ‚Honig‘ bzw.
‚langsam, träge‘ bedeuten. Ahd. seimag adj.
‚träge‘ (s. d.) setzt dann eine Ableitung von
frühurgerm. *sai̯ǥu̯ma- > urgerm. *sai̯ma- zu
einem Zeitpunkt fort, als dieses noch die Bed.
‚(zäh-)flüssige Masse‘ und ‚(zäh-)flüssig‘ hatte,
Gleiches gilt vielleicht für das KHG von ahd.
langseim(i) adj. ‚langsam‘ (s. d.; zu Weiterem s.
auch langsam), seimî f. ‚Trägheit‘ (s. d.) und
seimlîcho adv. ‚träge, säumig‘ (s. d.). Demge-
genüber ist seimîg adj. ‚honigartig‘ (s. d.) eine
jüngere Ableitung, als urgerm./vorahd. *sai̯ma-
nur noch ‚Honig‘ bedeutete; möglicherweise ist
seimîg ohnehin eine erst innerahd. Ableitung.
Nach anderen Vorschlägen gehört *sai̯ma- zu
einer Wz. für ‚binden‘, die auch in ahd. seil
‚Seil‘ (s. d.) vorliegt und mit m-Suff. in germ.
Wörtern wie as. sīmo m. ‚Strick, Fessel‘, ae.
sīma m. ‚dss.‘, afries. sīma, sīm m. (?) ‚Strick,
Seil‘, aisl. sími m. ‚Band, Strick‘, nhd. dial.
seime f. ‚Leine‘ erscheint (Tiefenbach, As.
Handwb. 334; Hofmann-Popkema, Afries. Wb.
427; Holthausen, Ae. et. Wb. 294; Vries, Anord.
et. Wb.² 476; Dt. Wb. 16, 227). Dabei nimmt N.
Törnqvist, SNPh 17 (1945), 166–182 an, dass
die urspr. Bed. von *sai̯ma- ‚Wabe‘ war, was
sich weiter auf etwa ‚Flechtwerk, Gebinde‘ zu-
rückführen lasse. O. Heinertz, SNPh 20 (1948),
142–159, betont jedoch, dass seim im Ahd. wabo,
waba ‚Wabe‘ (s. d.) gegenübersteht und dass
diese Wörter auf eine Ausgangsbed. ‚weben‘,
nicht ‚binden‘ weisen.
Aus anderen idg. Sprachen hat man die Subst.
gr. αἷμα n. ‚(fließendes) Blut‘ (< urgr. *sai̯m <
vorurgr. *sh₂ei̯-m ?), kymr. hufen m. ‚Rahm‘
(< urkelt. *soi̯meno- < vorurkelt. *sh₂oi̯-men-o-)
und alb. gjízë f. ‚Ziegenkäse, Molkenkäse, ge-
labte Milch‘ (< uralb. *sina- < voruralb.
*sh₂i-n-) mit urgerm. *sai̯ma- verglichen. Die
weitere Herleitung der Wörter bleibt aber prob-
lematisch. Gemeinsame Grundlage könnte zwar
formal die uridg. Wz. *sh₂ei̯- ‚fesseln, binden‘
mit verschiedenen m-Suff. sein, jedoch besteht
die Schwierigkeit, dass diese Wz. sonst nicht
‚binden‘ in Bezug auf das Gerinnen von Flüs-
sigkeiten ausdrückt. Diese zusätzliche Bed.nu-
ance müsste aber für alle vier Sprachen postu-
liert werden.
Walde-Pokorny 2, 464 f. 466 f.; Pokorny 889. 893 f. –
LIV² 523. 544; Add. s. v. *sh₂ei̯-; Frisk, Gr. et. Wb. 1, 39;
Chantraine, Dict. ét. gr.² 32 f.; Beekes, Et. dict. of Gr. 1,
38 f.; Demiraj, Alb. Et. 189 f.; Orel, Alb. et. dict. 136;
Fick 2 (Kelt.)⁴ 303; Dict. of Welsh 2, 1909.
HB