selb pron.-adj., im Abr und weiteren
Gl. sowie in FP, I, B, KG, MF, WK, MH, T,
OT, APs, O, BB, LB, L, JB, SG, FB, MB, N,
Npg, DH, G, OG, Ph, RhC, WH, TC: ‚selber,
selbst, eben dieser, eigen, sogar; idem, ipse,
suus‘, der selbo ‚derselbe‘, sîn selbes ‚sein ei-
gen; proprius, suus‘, selb sô ‚wie, gleichsam,
als ob; sic, sicut‘, sô selb ... sô sama ‚ebenso
wie; sicut ... ita‘, selb selbaz ‚dasselbe; id ip-
sum‘, sô selb sô ‚ebenso, gleichsam; sicut, ut‘,
selbo sô ‚ebenso wie‘, sô selbo ‚gleichsam als
ob‘, selb sama ‚ebenso‘, nâh az selbu ‚nahezu;
fere‘, selbes willen ‚freiwillig; ex proposito‘,
widar selb ‚von Angesicht zu Angesicht, Mann
gegen Mann; comminus‘ 〈Var.: -i-; -f, -p〉. –
Mhd. sëlp, sëlb, der sëlbe pron.-adj. ‚selbst‘,
frühnhd. selbs, selbst, nhd. selbst, selber ‚in
eigener Person, das Genannte‘, derselbe pron.
zum Ausdruck der Identität ‚der Genannte,
eben dieser‘.
Die Verbindung des Pron.-Adj. mit dem best.
Artikel als ‚derselbe‘ geht in ahd. Zeit zurück.
Sie hat Parallelen in as. the seluo und afries. thi
selva, ae. se sylfa; vgl. auch ndl. dezelfde ‚der-
selbe‘. Älteres ahd. der samo gleicher Bed. fin-
det sich nur selten (Braune-Heidermanns 2018:
§ 290 Anm. 1; s. sama). Es entspricht got. sa
sama ‚derselbe‘, das gegenüber z. B. got. þata
silbo ‚eben dieses‘ der gewöhnliche Ausdruck
für ‚derselbe‘ ist. In den nordgerm. Sprachen
sind Entsprechungen von sama für ‚derselbe‘
alleinherrschend. – Zur Entwicklung im Dt. vgl.
Behaghel 1923–32: 1, 330–341. Nhd. selbst ist
aus mhd. selbest entstanden; dieses setzt den
Gen.Sg. selbes mit sekundär angefügtem -t fort
(Dt. Wb. 16, 445).
Splett, Ahd. Wb. 1, 804; eKöbler, Ahd. Wb. s. v. selb;
Schützeichel⁷ 275; Starck-Wells 514; Schützeichel,
Glossenwortschatz 8, 147 ff.; Seebold, ChWdW8 251 f.
436. 469; ders., ChWdW9 716 f. 1109; Graff 6, 193 ff.;
Heffner 1961: 130; Lexer 2, 867; Götze [1920] 1971:
199; Diefenbach, Gl. lat.-germ. 5 (absolute). 11 (actus
reflexus). 277 (hic). 284 (idem); Götz, Lat.-ahd.-nhd. Wb.
259 (fere). 311 (idem). 355 (ipse). 532 (proprius). 608
(sic). 609 (sicut). 690 (ut); Dt. Wb. 16, 411 ff. 430 ff.
445 ff.; Kluge²¹ 701; Kluge²⁵ s. v. selber; ePfeifer, Et. Wb.
s. v. selbst².
In den anderen germ. Sprachen entsprechen:
as. self pron.-adj. ‚selbst‘, mndd. self, sulf,
selve, silve, sülve, sölve ‚dss.‘; andfrk. self
‚selbst‘, frühmndl. selve ‚selbst‘ mit poss.
pron. ‚eigen‘, mndl. self, selve, sulve, zelve,
nndl. zelf pron. ‚selbst, persönlich‘; afries.
self, sulf, solf, salf‚ selva ‚selbst‘, nwestfries.
sels, self, selfs, saterfries. sälven, säärm,
sääuwen ‚dss.‘; ae. self, seolf, sylf ‚selbst‘, me.
self ‚dss.‘, ne. self ‚selbst‘ gewöhnlich mit Pron.
himself ‚er selbst‘; aisl. sjálfr ‚selber‘, nisl.
sjálvur, fär. sjálvur ‚dss.‘, ndän. selv, nnorw.
(nn.) selv, sjølv ‚selbst, eigen‘, nschwed. själv
‚dss.‘; got. silba pron.-adj. ‚selbst; αὐτός‘;
langob. im KVG selp-mundia f. ‚die selbst
mündig ist‘, in PN wie Selberada f.: < urgerm.
*selƀa-.
Fick 3 (Germ.)⁴ 437; Kroonen, Et. dict. of Pgm. 432;
Tiefenbach, As. Handwb. 327 f.; Sehrt, Wb. z. Hel.²
454 ff.; Berr, Et. Gl. to Hel. 334; Wadstein, Kl. as.
Spr.denkm. 217; Lasch-Borchling, Mndd. Handwb. 3,
597 ff.; Schiller-Lübben, Mndd. Wb. 4, 463 f.; ONW s. v.
self; VMNW s. v. selve; Verwijs-Verdam, Mndl. wb. 7,
958 ff.; Franck, Et. wb. d. ndl. taal² 816; Vries, Ndls.
et. wb. 860; Et. wb. Ndl. S-Z 657 f.; WNT s. vv. selve¹,
sels¹; Boutkan, OFris. et. dict. 324 f. 331; Hofmann-
Popkema, Afries. Wb. 418; Richthofen, Afries. Wb.
1004 f.; eFryske wb. s. v. sels¹; Dijkstra, Friesch Wb.
3, 64; Fort, Saterfries. Wb.² 507. 510; Holthausen,
Ae. et. Wb. 289; Bosworth-Toller, AS Dict. 860; Suppl.
701; eMED s. v. self; Klein, Compr. et. dict. of the Engl.
lang. 2, 1414; eOED s. v. self¹; Vries, Anord. et. Wb.²
478; Fritzner, Ordb. o. d. g. norske sprog 3, 261 f.;
ONP s. v. sjalfr; Jónsson, Lex. poet. 499; Holthausen,
Vgl. Wb. d. Awestnord. 245; Magnússon, Ísl. Orðsb.
821 f.; Falk-Torp, Norw.-dän. et. Wb. 2, 957; Nielsen,
Dansk et. ordb. 363; Ordb. o. d. danske sprog 18,
1005 ff.; Suppl. s. v. selv²; Bjorvand, Våre arveord² 942;
Torp, Nynorsk et. ordb. 584; NOB s. v. selv²; Hellquist,
Svensk et. ordb.³ 2, 918; Svenska akad. ordb. s. v. själv;
Feist, Vgl. Wb. d. got. Spr. 421; Lehmann, Gothic Et. Dict.
S-57; Bruckner, Spr. d. Langob. 210. 302; Rhee, Die
germ. Wörter i. d. langob. Gesetzen 114 f. – Francovich
Onesti 2000: 119. 213.
Urgerm. *selƀa- hat eine Entsprechung allein
im Venet., wo das Pron. verdoppelt als dat.sg.m.
sselboisselboi ‚sich selbst, für ihn selbst‘ be-
zeugt ist; vgl. dazu die ahd. Verbindung selb-
selbo (s. d.; Pellegrini-Prosdocimi 1967: 2,
167 f.; Lejeune 1974: 100. 294).
Die venet. und ahd. Verdoppelung kann unabhängig in
beiden Sprachen aufgekommen sein. In ähnlicher Weise
sind im Venet. wie auch im Germ. durch Parallelentwick-
lung Reimformen im Pron. der 1.sg. entstanden; vgl. ve-
net. nom. ego ‚ich‘, das auf akk. mego ‚mich‘ reimt, wie
ahd. ih auf mih, got. ik auf mik usw.; dabei gehen aber die
germ. Akkusative von *me-ge, nicht *mego, aus (s. ih;
Lejeune 1974: 101).
Der Pronominalstamm urgerm. *selƀa- setzt
uridg. *selbho- fort, doch ist dessen weitere
Analyse nicht klar. Man nimmt oft an, dass
*selbho- das Reflexivpron. *se- enthält. Neben
*se- stand im Uridg. die Variante *su̯e-. Die
Schreibung mit ss- im Venet. deutet vielleicht
auf Herkunft aus *su̯e- (so Lejeune 1974: 153).
Wenn venet. sselbo- eine Vorform *su̯elbho-
voraussetzt, wird Anschluss an das Reflexiv-
pron. wahrscheinlicher. Der folgende Bestand-
teil *-lbho- ist aber noch nicht eindeutig identi-
fiziert. Er könnte eine Partikelkette oder einen
Nominalst. enthalten.
Bei der in der früheren Literatur vorgeschlagenen Ver-
bindung mit air. selb f. ā-St. ‚Besitz‘, mkymr. helw m.
‚Gewinn, Besitz‘, gall. PN Luguselua ‚Besitz des Lugus‘
ist zu beachten, dass die kelt. Wörter lautlich nur uridg.
*sel-u̯o/eh₂-, nicht *sel-bho-, fortsetzen können. Ein et-
waiger Zusammenhang wäre also auf die mögliche ge-
meinsame Wurzel beschränkt. Das Suffix *-bho-, wie es
dann in *selbho- vorliegen müsste, bliebe dabei noch im-
mer erklärungsbedürftig.
Walde-Pokorny 2, 457 f.; Pokorny 884; LIPP 2, 759; de
Vaan, Et. dict. of Lat. 584.
DSW