senawa
Band VII, Spalte 1107
Symbol XML-Datei TEI Symbol PDF-Datei PDF Zitat-Symbol Zitieren

senawa f. ō(n)-St., seit dem letzten
Viertel des 9. Jh.s in zahlreichen Gl. sowie in
Nps und Npw: ‚Sehne, Bogensehne, Riemen,
Schlinge, Darmsaite; chorda, habena, nervus
〈Var.: sena, -i-; -ew-, -nw-; -ua〉. – Mhd.
sënewe, sënwe, sëne, senne st./sw.f. ‚Sehne,
Bogensehne‘, frühnhd. sehne, senne f. ‚dss.‘,
nhd. Sehne f. ‚starker Strang aus Bindegewebs-
fasern, der Muskeln und Knochen verbindet,
Schnur als Teil einer Schusswaffe, bes. des Bo-
gens, die gespannt wird, um dem Geschoss bei
der Lösung Flug- und Durchschlagskraft zu
vermitteln, in der Geometrie: Gerade, die zwei
Punkte einer gekrümmten Linie verbindet‘.

Splett, Ahd. Wb. 2, 806; eKöbler, Ahd. Wb. s. v. senawa;
Schützeichel⁷ 277; Starck-Wells 516; Schützeichel,
Glossenwortschatz 8, 161 f.; Seebold, ChWdW8 252.
436. 510; ders., ChWdW9 718. 1109; Graff 6, 266; Lexer
2, 880; Diefenbach, Gl. lat.-germ. 150 (chorda). 379
(nervus); Götz, Lat.-ahd.-nhd. Wb. 428 (nervus); Dt. Wb.
16, 148 ff.; Kluge²¹ 698; Kluge²⁵ s. v. Sehne; ePfeifer, Et.
Wb. s. v. Sehne.

In den anderen germ. Sprachen entsprechen: as.
sena, sinuwa f. ō(n)-St. ‚Sehne, Bogensehne,
Riemen‘, mndd. sene, senwe, senne f. ‚Sehne,
Nerv‘; frühmndl. senuwe m./f. ‚Sehne‘, mndl.
senuwe, senewe, sene f. ‚Sehne, Nerv‘, nndl.
zeen f. ‚Sehne‘, zenuw f. ‚Nerv‘; afries. sini,
sine, sin f. ‚Muskelband, Sehne, Nerv‘, nwest-
fries. sine m./f. ‚Sehne, Nerv‘, senuw m./f.
‚Nerv‘, saterfries. síene, sine f. ‚Sehne‘; ae.
sionu, sinu, seonu, senu, gen.sg. seonwe, sine,
akk.sg. sinwe, sinuwan f. ‚Sehne, Nerv‘, me. si-
new(e), seonew(e), sinnu ‚Sehne, Nerv, Mus-
kelstrang‘, ne. sinew ‚Sehne‘, obs. sine ‚dss.‘;
aisl. sin f./n., sina f. ‚Sehne, Nerv, Muskelband,
männliches Glied bei Tieren‘, nisl. sin, sina f.
‚Sehne, Penis‘, fär. sin, sina f. ‚dss.‘, adän. sinæ,
senæ f. ‚Sehne‘, ndän. sene f. ‚dss.‘, nnorw. sin,
sina, sen, sena f. ‚Sehne, Penis‘, norn sin ‚Sehne‘,
aschwed. sina f. ‚Sehne‘, nschwed. sena f.
‚dss.‘, älv. sina f. ‚dss.‘: < urgerm. *sinu-,
*sineō(n)-.
Die germ. Wörter führen auf divergierende
Vorformen. Zugrunde liegt wahrscheinlich ein
fem. u-stämmiges Paradigma, das schwund-
und vollstufige Ablautformen im Suff. zeigte.
In den germ. Einzelsprachen wurde das Wort
auf verschiedene Weise in andere fem. Klassen
integriert. Dabei ist teils *sinu-, teils *sine- die
Basis der belegten Formen. Fortsetzer mit *--,
wie ahd. senawa < *sineō(n)- bauen auf der
vollstufigen Suff.form auf, eine urspr. Gruppe
*-n- mit schwundstufigem Suff. hätte im Ur-
germ. *-nn- ergeben (Krahe-Meid 1969: 1,
§ 97). Andererseits können nordgerm. Var. wie
aisl. sin direkt auf *sinu- beruhen und durch
Flexionswechsel ō-stämmig geworden sein.
Daneben stehen im Nordgerm. ōn-Stämme wie
aisl. sina. Ae. sionu flektiert als ō-St. mit
gen.sg. seonwe, dann analogisch als ō-St. mit
gen.sg. sine (Brunner 1965: § 260 Anm. 2;
Hogg-Fulk 2011: 117 f.). Im Ne. lebt heute nur
die Form sinew fort, die auf dem ō-St. beruht.
Im Nndl. sind zeen und zenuw durch Paradig-
maspaltung zwei unterschiedliche Wörter ge-
worden.

Unwahrscheinlich ist, dass es sich bei finn. suoni
‚Ader‘ um ein Lehnwort aus dem Germ. handelt; vgl. F.
Kortlandt, MSS 50 (1989), 81.

Fick 3 (Germ.)⁴ 428; Kroonen, Et. dict. of Pgm. 433;
Tiefenbach, As. Handwb. 335; Wadstein, Kl. as.
Spr.denkm. 218; Lasch-Borchling, Mndd. Handwb. 3,
203; Schiller-Lübben, Mndd. Wb. 4, 189; VMNW s. v.
senuwe; Verwijs-Verdam, Mndl. wb. 7, 971 f. 977 f.;
Franck, Et. wb. d. ndl. taal² 817; Vries, Ndls. et. wb.
861; Et. wb. Ndl. S-Z 659; WNT s. vv. zeen, zenuw;
Boutkan, OFris. et. dict. 341 f.; Hofmann-Popkema,
Afries. Wb. 428; Richthofen, Afries. Wb. 1016; eFryske
wb. s. vv. sine, senuw; Dijkstra, Friesch Wb. 3, 76;
Fort, Saterfries. Wb.² 516; Holthausen, Ae. et. Wb. 295;
Bosworth-Toller, AS Dict. 865; eMED s. v. sineu; Klein,
Compr. et. dict. of the Engl. lang. 2, 1448; eOED s. vv.
sinew¹, sine¹; Vries, Anord. et. Wb.² 476; Jóhannesson,
Isl. et. Wb. 771; Fritzner, Ordb. o. d. g. norske sprog 3,
245; ONP s. vv. sin¹, sin², sina¹; Jónsson, Lex. poet. 496;
Holthausen, Vgl. Wb. d. Awestnord. 244; Magnússon,
Ísl. Orðsb. 817; Falk-Torp, Norw.-dän. et. Wb. 2, 958;
Nielsen, Dansk et. ordb. 364; Ordb. o. d. danske sprog
18, 1098 f.; Suppl. s. v. sene¹; Bjorvand, Våre arveord²
943 f.; Torp, Nynorsk et. ordb. 579; NOB s. v. sene²;
Jakobsen, Et. dict. of the Norn lang. 2, 757; Hellquist,
Svensk et. ordb.³ 2, 900; Svenska akad. ordb. s. v. sena
subst.¹.

Urgerm. *sinu-/*sine- gehört wahrscheinlich
zu der Wz. uridg. *sh₂e- ‚binden‘, die auch in
weiteren ahd. Subst., wie seil (s. d.), seita, zu-
grunde liegt. In der Bildeweise am nächsten
steht in den verwandten Sprachen jav. hinu-
(m.?) ‚Band, Fessel‘ < älterem *sinu- (Yašt 19,
86 = 13, 100). Diese Form setzt eine schwund-
stufige Wz. *si- voraus, die aus *sh₂i- (ohne La-
ryngalmetathese) entstanden sein kann oder
etwa aus einer Bildung wie *si-ne-h₂-ti (> ved.
sinti ‚fesselt‘) abstrahiert wurde.

Eine etwas abweichende Herleitung für die germ. Wörter
schlagen M. de Vaan und G. Kroonen, ABäG 76 (2016),
316 f. vor. Sie rechnen mit einem hysterodynamisch ab-
lautenden Paradigma urgerm. nom.sg. *sinū, akk.sg.
*sineum, gen.sg. *sinuwaz, das einen uridg. uH-St. mit
nom.sg. *s(e)inuH, akk.sg. *sineuHm, gen. *sinuHos
fortsetzen könne. Eine uH-stämmige Ausgangsform
passt zwar gut zu dem fem. Genus der germ. Lexeme, da
Feminina bei uH-Stämmen geläufig sind; fraglich bleibt
indessen, ob ein uridg. uH-St. eine vollstufige Suffixge-
stalt *-eH- gekannt hat, denn bei hysterodynamischer
Flexion wäre eher eine Vollstufe *-eH- zu erwarten, wie
sie die Autoren auch selbst (S. 314), z. B. für germ. Wör-
ter wie aisl. ǫr f. ,Pfeil‘, ae. earh f. ‚dss.‘, annehmen. Zur
Erklärung von germ. Fortsetzern wie ahd. senawa ist aber
*-e- erforderlich (s. o.).
Andere Ableitungen mit n-Suff. von derselben Wz., wie
lit. síena f. ‚Wand, Grenze‘, lett. siẽna f. ‚Wand‘, akymr.
hin ‚Grenze‘, stehen formal und semantisch ferner und
sind nicht direkt mit urgerm. *sinu- vergleichbar.
Urgerm. *sinu- als gemeingerm. Bezeichnung für
‚Sehne‘ und ähnliche Körperteile hat den uridg. r/n-St.
*sneh₁er/n- ‚Sehne, Nerv‘ ersetzt, der aus den Wörtern
ved. snvan- n. ‚Sehne‘, av. snāvarǝ- ‚dss.‘, arm. neard
‚Sehne, Faser, Fiber‘, gr. νεῦρον n. ‚Sehne, Schnur,
Nerv‘, lat. nervus m. o-St. ‚Sehne, Muskel, Nerv‘ (< äl-
terem *snēros) und toch. B ṣñor ‚Sehne‘ erschließbar
ist. S. zu diesem Etymon Pokorny 977, Mallory 1997:
568 (s. v. tendon).

Walde-Pokorny 2, 463; Pokorny 891 f.; LIV² 544; Add.
s. v. *sh₂e-; Mayrhofer, KEWA 3, 550. 803; ders., EWAia
2, 720 f.; Rastorgueva-Ėdel’man, Et. dict. Iran. lang.
3, 400; Bartholomae, Airan. Wb.² 1814; Trautmann,
Balt.-Slav. Wb. 253; Fraenkel, Lit. et. Wb. 2, 782 f.;
Smoczyński, Słow. et. jęz. lit.² s. v. 1253 f.; Mühlenbach-
Endzelin, Lett.-dt. Wb. 3, 585; Karulis, Latv. et. vārd
811; Vendryes, Lex. ét. de l’irl. anc. S-112 f.; eDIL s. v.
sín, ? sin²; Dict. of Welsh 2, 1867 (s. v. hin²).

DSW

Information

Band VII, Spalte 1107

Zur Druckfassung
Zitat-Symbol Zitieren
Symbol XML-Datei Download (TEI)
Symbol PDF-Datei Download (PDF)

Lemma:
Referenziert in: