skalm¹
Band VII, Spalte 1356
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skalm¹ ? f. ō-St., in Gl. 2,258,59 (3.
Viertel des 11. Jh.s, bair.): ‚Schiff; navis‘ 〈Var.:
sc-〉. Das Wort kommt lediglich in der Reihung
Carinę . naue . scalmo (über Carinę noch po
dame [s. bodam]) vor. Es ist umstritten, ob
skalm ein ahd. Wort (dann Hapaxlegomenon)
oder das lat. Wort scalmus m. ‚Ruderpflock,
Dolle‘ (dann alternative lat. Glossierung) ist.
Daraus erklärt sich das Fehlen des Wortes in
Schützeichel⁷ und ders., Glossenwortschatz.
Aus etym. Gründen spricht nichts gegen die
Annahme eines Erbworts, das etym. identisch
mit dem aus dem Gr. entlehnten lat. scalmus
(s. u.) ist. In dem Fall sind auch innerdt. An-
schlüsse vorhanden (gegen Schulte 1993:
704 f.). – Wenn ein Erbwort vorliegt, gehört
ahd. skalm¹ nämlich zu nhd. (Forstwirtschafts-
sprache) Schalm m. ‚in die Rinde eines Baumes
geschlagenes Zeichen‘; vgl. auch noch nhd.
dial. bad. (Schiffersprache) schalme f. ‚eiserne
Schiene mit einer Öse, in die das Mastwerk ein-
gehängt wird‘ (zum abweichenden Genus bei
Boots[teil]bez. in dieser Region vgl. L. Sütter-
lin, ZDW 6 [1904/05], 69), rhein. schalm m.
‚Schieberiegel, eiserner Pflug mit nicht ver-
stellbarem Riester, Kettenglied‘, thür. (Korb-
machersprache) schalm m. ‚schräger Abschnitt
an Stäben, um diese durch Umwickeln mit Bast
miteinander verbinden zu können‘, märk.
schalm m. ‚Bezeichnung für etw. Abgespalte-
nes, Kettenglied, eingehauenes Zeichen an ei-
nem Baum‘, ndsächs. schalm m. ‚Leiterbaum,
in dem die Sprossen befestigt sind, Kerbholz,
Rechenstab, Brett zum Vernageln und Dichten
der Böden, bes. der Schiffsluken, Holm der Ein-
spännerdeichsel, Kettenglied‘, hamb. schalm
m. ‚Holzscheit, (pl.) Äste‘, lüneb. schalm m.
‚Kerbholz‘, schlesw.-holst. schall (fast nur im
Pl. schallen) m. ‚Zweig, Ast, Wurzel‘, meckl.
schalm m. ‚Abgespaltenes, Teilstück von einem
Baum/Stamm, Glied‘, preuß. schalm m. ‚Wald-
stück, Waldteil, Streifen Waldes, besonders
abgetrennt, Rain, Grenze (besonders im Wald),
Marke in Waldbäumen‘, ndd. (auf ostfries.
Gebiet) schalm (ohne Genusangabe) ‚flaches,
schalenartiges Brett, Holzplatte, dünner Holz-
streifen zum Vernageln und Dichten, Glied oder
Gelenk einer Kette oder eines Püttings‘ (zur laut-
lichen Entwicklung pl. schalmen > schalben >
schallen und daraus der rückgebildete Sg. schall
vgl. W. Foerste, NdW 5 [1965], 73 f.). Mit der in
der Schifffahrtssprache vorkommenden Bed.
‚Kettenglied‘ stammt das Wort dial. aus dem Ndl.

Splett, Ahd. Wb. 1, 1232; eKöbler, Ahd. Wb. s. v. skalm¹;
Starck-Wells 532; Bergmann-Stricker, Katalog Nr.
637; Graff 6, 491; Dt. Wb. 14, 2096 f. – Ochs, Bad. Wb.
4, 482; Müller, Rhein. Wb. 7, 885; Spangenberg, Thür.
Wb. 5, 461; Bretschneider, Brandenb.-berlin. Wb. 3, 999
(schalm¹); Jungandreas, Ndsächs. Wb. 10, 479; Kück,
Lüneb. Wb. 3, 38; Hamb. Wb. 4, 44; Mensing, Schleswig-
holst. Wb. 4, 288 (schall²); Wossidlo-Teuchert, Meckl.
Wb. 5, 1288 (schalm¹); Frischbier, Preuß. Wb. 2, 256;
Riemann, Preuß. Wb. 5, 91. – Doornkaat Koolman 1879–
1884: 3, 93 f. (schalm¹, schalm²); Teuchert 1972: 7. 130.
143 f. 165 f. 245. 471.

Wenn ahd. skalm¹ also mit nhd. Schalm zusam-
mengehört, stellen sich in den anderen germ.
Sprachen folgende Wörter dazu: mndl. schalm
(m.) ‚eisernes Fassband (?)‘, nndl. schalm (m.)
‚Kettenglied, in die Rinde eines Baumes ge-
schlagenes Zeichen‘; nwestfries. skalm m./f.
‚Kettenglied‘ (aus dem Ndl. ?): < westgerm.
*skalma-.
Eine mögliche weitere Entsprechung ist mndd.
schalm m., dessen Bed. (‚Teil des Braun-
schweiger Ratssilbers, Becher ? [in Kahn-
form ?]‘) aber nicht ganz gesichert ist.
Daneben stehen im Nordgerm. Kontinuanten
eines Fem. nordgerm. *skalmō-: aisl. skǫlm,
skalm f. ‚Gabelzweig, Schote, Schwert‘, nisl.
skálm f. ‚Machete, großes Messer, Gabel, (Ho-
sen-)Bein‘, fär. skølm f. ‚(kurzes) Schwert‘,
nnorw. skjelm, skolm ‚Schote‘, dial. ‚Kluft, Mu-
schel‘, nschwed. skalm ‚Bügel, Deichsel(arm),
Schenkel, Schere, Gabel‘.
Dagegen ist ndän. skalm ‚kleines viereckiges
Stück eines (Eichen-)Baums‘ aus dem Ndl. oder
Ndd. entlehnt.
Dazu gehört vielleicht auch ohne anlautendes
*s- die Gruppe um ahd. halm² (s. d., jedoch mit
abweichender Etym.).

Fick 3 (Germ.)⁴ 458; Lasch-Borchling, Mndd. Handwb.
3, 44 (schalm²); Schiller-Lübben, Mndd. Wb. 4, 42;
Verwijs-Verdam, Mndl. wb. 7, 273; Franck, Et. wb. d. ndl.
taal² 572; Vries, Ndls. et. wb. 607; WNT s. vv. schalm¹,
schalm²; eFryske wb. s. v. skalm; Vries, Anord. et. Wb
511; Jóhannesson, Isl. et. Wb. 847; Fritzner, Ordb. o. d. g.
norske sprog 3, 278; ONP s. v. skǫlm; Jónsson, Lex. poet.
517; Holthausen, Vgl. Wb. d. Awestnord. 262; Magnússon,
Ísl. Orðsb. 828; Falk-Torp, Norw.-dän. et. Wb. 2, 1002
(skjelm¹). 1018; Ordb. o. d. danske sprog 19, 205;
Bjorvand, Våre arveord² 985; Torp, Nynorsk et. ordb. 609;
NOB s. vv. skjelm², skolm; Hellquist, Svensk et. ordb.³ 2,
925; Svenska akad. ordb. s. v. skalm. – Schnepper 1908:
71 f.; W. Foerste, NdW 5 (1965), 73–79; Grünzweig
2009: 33 f.

Urgerm. *skalma- setzt uridg. *skol(H)-mo-
fort. Damit ist gr. σκαλμός m. ‚Ruderpflock‘
aus vorurgr. *sk--, dessen Schwundstufe
wohl an das Verb σκάλλω ‚hacke, scharre‘ <
uridg. *(s)k-é/ó- angeglichen ist, vergleichbar.
Es ist eine Bildung zu der Verbalwz. uridg.
*(s)kel- bzw. *(s)kelH- ‚spalten‘ (s. skala).
Ein thrak. Wort ist laut der Hesychgl. Σ 818
σκάλμη ‚Messer, Schwert‘, das mit μάχαιρα
Θρᾳκία glossiert ist; der Eintrag beruht auf ei-
ner Textstelle aus Sophokles’ Troilos (Soph. fr.
620 R.). Das Wort ist im Gr. ein weiteres Mal
bei Marcus Aurelius, med. 11, 15 belegt. Ob-
wohl generell als thrak. angesehen (< *skol[H]-
meh₂-), ist es letztendlich auch möglich, dass es
ein gr. Wort ist (vgl. Miller 2014: 23).
Ohne *s- vergleicht sich vielleicht auch die
Gruppe von lit. kélmas m. ‚Baumstumpf‘, lett.
celms [cȩms] m. ‚dss.‘, nehrkur. cêlms m.
‚dss.‘ < urbalt. *kél-ma- neben apreuß. kalmus
‚Stock‘ wohl < urbalt. *kal-ma- (J. Dulkienė, D.
Pakalniškienė, ABS 30 [2006], 128), vielleicht
aber auch < *kel-ma- (vgl. die Diskussion bei
Mažiulis, Apreuß. et. Wb.² 343), Wörter, die
man aber auch auf die Wz. uridg. *kelh₂- ‚schla-
gen‘ (etwa Smoczyński, Słow. et. jęz. lit.² s. v.
kélmas [denkbar]) bzw. *elh₂- ‚spitz sein ?‘
(so Kroonen, Et. dict. of Pgm. 205 [eher un-
wahrscheinlich]; zur Wz. s. halm¹) zurückführt.
Mit abweichendem Suff. gehören möglicher-
weise auch aruss. čьlnъ m. ‚Nachen, Boot‘,
nruss. čëln ‚dss.‘, ukrain. čóven m. ‚dss.‘,
wruss. čóven m. ‚dss.‘, bulg. čóln-ec ‚dss.‘,
serb. čȗn ‚dss.‘, kroat. čȗn ‚dss.‘, slowen. čọ̑ln
m. ‚dss.‘, tschech. člun m. ‚dss.‘, slowak. čln m.
‚dss.‘, poln. czółno m. ‚dss.‘, älter und dial.
czoł(e)n m. ‚dss.‘, osorb. čołm m. ‚dss.‘, ndsorb.
cołn m. ‚dss.‘ < vorurslaw. *k-no- und lit.
kelnas m. ‚Fischerkahn, Fähre‘ < vorurbalt.
*kel-no- hierher; in der Literatur verbindet man
diese Wörter aber auch mit der Wz. *kelh₂-
‚schlagen‘.
Gr. σκαλμός ist in lat. scalmus m. ‚Ruderpflock,
Dolle‘ entlehnt.

Walde-Pokorny 2, 593 f.; Pokorny 925; LIV² 552. 553;
Frisk, Gr. et. Wb. 2, 715 f.; Chantraine, Dict. ét. gr
974 f. 1352; Beekes, Et. dict. of Gr. 2, 1340 f.; Walde-
Hofmann, Lat. et. Wb. 2, 486; Ernout-Meillet, Dict. ét.
lat.⁴ 598; Trautmann, Balt.-Slav. Wb. 125 f.; Berneker,
Slav. et. Wb. 1, 166 f.; Trubačëv, Ėt. slov. slav. jaz. 4,
142; Bezlaj, Et. slov. slov. jez. 1, 86; Snoj, Slov. et. slov
119; Matasović, Et. rječ. hrv. jez. 1, 137; Vasmer, Russ.
et. Wb. 3, 311; ders., Ėt. slov. russ. jaz. 4, 327; Schuster-
Šewc, Hist.-et. Wb. d. Sorb. 122; Derksen, Et. dict. of Balt.
235 f.; Fraenkel, Lit. et. Wb. 1, 237; Smoczyński, Słow.
et. jęz. lit.² s. v. kélmas; ALEW 1, 475; Mühlenbach-
Endzelin, Lett.-dt. Wb. 1, 369; Karulis, Latv. et. vārd
162 f.; Trautmann, Apreuß. Spr.denkm. 351; Mažiulis,
Apreuß. et. Wb.² 342 ff.; Toporov, Prusskij jazyk I-K
171 ff. – S. Ambrazas, Baltistica 42 (2007), 16.

RS

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