ânu präp., adv. (nur in den Verbindungen ânu
wesan, werdan) und konj. ‚ohne, außer; sine,
absque‘ 〈Var.: ano, aano, ana, ane, an〉. Mhd.
ân(e); nhd. ohne.
Die von Kluge²¹ 521 zitierte mhd. Nebenform aniu
ist nirgends zu finden. S. dazu Kranzmayer, Wb. d.
bair. Mdaa. in Österr. I, 226 (unten).
Ahd. Wb. I, 577 ff.; Schützeichel³ 10; Starck-Wells
32; Graff I, 282 ff.; Schade 14; Lexer I, 66; Nachtr.
23; Benecke I, 40 f.; Dt. Wb. VII, 1210 ff.; Kluge²¹
521. — G. Krömer, PBB 86 (Halle, 1964), 450 ff.
Entsprechungen finden sich in den meisten an-
deren germ. Sprachen: as. āno, mndd. ān(e);
andfrk. āna (Lips.Gl. 54); mndl. aen, an(e); a-
fries. ōni, ōn(e); aisl. án, ón, nisl. án, sämtliche
< idg. *ēn-; damit ablautend got. inu(h). Das
Wort fehlt vom Anfang unserer Überlieferung
an im Engl., wie auch im Nndländ. und in den
meisten nskand. Sprachen.
Nnorw. vón ist vielleicht eine Kontamination von a-
nord. án, ón und vanr ‚ermangelnd‘(?); vgl. Aasen,
Norsk ordbog 943; Torp, Nynorsk et. ordb. 872 f.
Fick III (Germ.)⁴ 25; Holthausen, As. Wb. 3; Sehrt,
Wb. z. Hel.² 32; Berr, Et. Gl. to Hel. 31; Lasch-
Borchling, Mndd. Handwb. I, 1, 82; Schiller-Lübben,
Mndd. Wb. I, 85 f.; Verdam, Mndl. handwb. 8; Holt-
hausen, Afries. Wb. 80; Richthofen, Afries. Wb. 964;
Vries, Anord. et. Wb.² 9; Jóhannesson, Isl. et. Wb. 58;
Holthausen, Vgl. Wb. d. Awestnord. 4; Feist, Vgl. Wb.
d. got. Spr. 295. 582.
Am nächsten verwandt sind gr. ἄνευ, ἄνευϑε(ν)
‚ohne, fern von‘. Auf Grund der germ. und gr.
Formen läßt sich eine idg. Basis *enu̯ anset-
zen: got. inu < *én(e)u, mit Dehnstufe ahd.
ânu usw. < *ḗn(e)u und mit Schwundstufe gr.
ἄνευ < *ńu̯ (vgl. Brugmann, Grdr.² II, 2,
§ 652; oder *ьńu̯: vgl. Hirt, Idg. Gr. II, § 111).
Das Wort ist vielleicht aus einer urspr. Lokativ-
form eines u-Stammes entstanden (s. Chr. Bar-
tholomae, IF 10 [1899], 12; Loewe, D. freie Ak-
zent des Idg. 78).
Falsch ist die manchmal für got. inu angesetzte Ur-
form *ǝneu̯, da dies got. *anu hätte ergeben müssen
(s. z. B. Kluge, Et. Wb.²¹ 521); nicht viel besser die mit
*ь (Walde-Pokorny I, 127; Pokorny 318: *ǝneu-), die
zu got. *unu geworden wäre.
Gr. ἄνευ läßt sich ebensogut aus *ǝneu̯ herleiten (so
Boisacq, Dict. ét. gr.⁴ 62; Feist, a.a.O. 295), nur wäre
*ǝ in der Ablautreihe *en- : *ēn- : *(n)-/ *ьn- ein
Fremdkörper; wenn man dagegen eine idg. schwere
Basis *ēneu̯ : *ǝneu̯ ansetzte, wäre der Vokalismus
des got. Wortes schwer zu erklären.
Sicher abzulehnen ist eine Verbindung von gr. ἄνευ
(aus urspr. *ἅνευ, idg. *s-) mit lat. sine ‚ohne‘, ai.
sanu-tár ‚abseits‘, ahd. suntar usw. (vgl. u. a. Chr. Bar-
tholomae, BB 15 [1889], 16 f.; Frisk, Gr. et. Wb. 106;
Chantraine, Dict. ét. gr. 86; Schwyzer, Gr. Gram. II,
535: „nicht zu lat. sine!“). A. Meillet, BSLP 30 (1930),
Nr. 89, 81 will sogar die germ. Wörter (ahd. ânu
usw.) als s-lose Formen hierher stellen (s. auch Er-
nout-Meillet, Dict. ét. lat.⁴ 627 f.).
Alle anderen außergerm. Entsprechungen sind
unsicher. Verwandtschaft mit osset. änä ‚ohne‘
ist möglich (vgl. H. Hübschmann, Zddt. Mor-
genl. Ges. 38 [1884], 427; ders., Etym. u. Laut-
lehre d. osset. Spr. [1887], 21; dagegen E. Hamp
(briefl.): zum privativen æ-). Vielleicht gehört
hierher auch das nur bei den Grammatikern be-
legte aind. anō ‚nicht‘.
Toch. A ānu ‚cessation, arrêt‘, das früher Windekens,
Lex. ét. toch. 13 mit dieser Sippe verband, hat er spä-
ter (Le tokharien, 101) zur idg. Wz. *men- (vgl. gr.
μένω) gestellt. Nicht hierher ai. anu ‚nach, entlang
usw.‘ (als Präf. gelegentlich zu ānu- gedehnt: s. Wak-
kernagel, Aind. Gr. II, 1, § 29); → ana.
Ein von Brugmann, Grdr.² II, 2, § 652 vorgeschlage-
ner und in der Lit. öfters erwähnter Zusammenhang
mit den Negationspartikeln *n, *nei̯, * usw. (vgl.
z. B. ahd. un-) ist sehr fragwürdig; wenn idg. *enu̯
tatsächlich eine alte Kasusform ist, läßt es sich kaum
von einer (unflektierten) Partikel herleiten.