ezzen
Band II, Spalte 1188
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ezzen [-ts-] sw. v. I, nur in Gl., 9.-12. Jh.,
obd. und einmal mfrk.: abweiden, abfressen
lassen, depascere
; ätzen, übertr. quälen,
mordere
, part. prät. giezz(i)t, einmal kiecit
2, 203, 12 (-c- = [-ts-] Braune, Ahd. Gr.¹⁴ § 159
Anm. 3; Koegel, Über d. Keron. Gl. 63. 67).
Mhd. etzen, auch atzen (ohne Umlaut: analo-
gisch zu mdartl. atz(e) st.m. Speise, Bekösti-
gung
?) speisen, beköstigen; abweiden.
Nhd. ätzen nur noch als chem.-techn. Fach-
wort beizen (eigtl. sich [in das Metall etc.]
einfressen lassen
), atzen meist nur noch in der
Bed. (Vögel) füttern.

Ein Nebenform mit â, âzen, giâzzen [-ts-] sw. v.
I zu essen geben, füttern, nähren, dare escam,
cibāre, pascere, imbuere
(auch übertr.), ist erst
spätahd. belegt (Notker, Pred.s. A, Reichen.
Beichte, Gl. 2, 593, 27 [11. Jh.]).

Ahd. Wb. III, 476 f.; I, 764 f. (âzen); Splett, Ahd. Wb.
I, 193; Starck-Wells 135. 39. 837 (âzen); Graff I,
527 f.; Schade 33; Lexer I, 104; Benecke I, 760; Dt.
Wb. I, 596. 586 (äsen). 6 (aasen); Kluge²¹ 35 (atzen,
ätzen). 34 (äsen); Kluge²² 1 (Aas). 46 (ätzen); Pfeifer,
Et. Wb. 91.

Ahd. ezzen hat Entsprechungen in fast allen
germ. Dialekten, so mndd. etten; mndl. nndl. et-
ten; afries. etta beweiden, nostfries. etten; ae.
ettan weiden; anord. etja füttern, schwed.
dial. ättja abweiden lassen; got. fra-atjan zum
Essen verteilen
.

Fick III (Germ.)⁴ 24; Lasch-Borchling, Mndd.
Handwb. I, 1, 622; Schiller-Lübben, Mndd. Wb. I,
750; Verdam, Mndl. handwb. 170; Vries, Ndls. et. wb.
163; Holthausen, Afries. Wb.² 22; Richthofen, Afries.
Wb. 722; Doornkaat Koolman, Wb. d. ostfries. Spr. I,
409; Holthausen, Ae. et. Wb. 94; Bosworth-Toller,
AS Dict. 261; Suppl. 195; Vries, Anord. et. Wb.² 106;
Jóhannesson, Isl. et. Wb. 53; Holthausen, Vgl. Wb. d.
Awestnord. 53; Falk-Torp, Norw.-dän. et. Wb. 198;
Torp, Nynorsk et. ordb. 91 (eta); Hellquist, Svensk et.
ordb.³ 1449; Feist, Vgl. Wb. d. got. Spr. 160; Leh-
mann, Gothic Et. Dict. I-129 (itan).

Wie die Belege zeigen, ist ahd. ezzen [-ts-] eine
-j-Ableitung von der o-Stufe der Wz. idg. *ed-,
germ. *at-, die normalerweise auch in der 1. 3.
Sg. Prät. der st. Verben erscheint, wie in germ.
*satjan : *sat oder *skarjan : *skar etc., demge-
mäß germ. *atjan, westgerm. *attjan, ahd. et-
zen, ezzen. Da nun aber in der 1. 3. Sg. Prät. des
germ. st. Verbs *etan ausnahmsweise *ǣt er-
scheint (> ahd. ezzan, âz; ezzan), überrascht
es nicht, daß analog zu dem Verhältnis sat; sat-
jan sich auch ein *ǣt : *ǣtjan ergab, und zwar
noch in germ. Zeit; daraus weiterhin, soweit die
westgerm. Kons.dehnung sich auswirkte (im
Obd. auch nach langem Vokal, s. Braune, Ahd.
Gr.¹⁴ § 96 u. Anm. 1; Simmler, Westgerm. Kons.-
gemin. 255 ff.) *āttjan, ahd. âzzen [-ts-]. Doch
konnte sich neben dieser Bildung eine nicht ge-
minierte Variante mit Spirans entwickeln (und
zwar in der 2. 3. Sg. *ātis, *ātiđ < *ātjis, *ātjiđ
mit lautgesetzlichem j-Schwund vor i), s. u.
Während die überlieferten Graphien -z-/-zz-
(nach langem Vokal) meist keine klare lautliche
Deutung gestatten, neigen Schatz, Ahd. Gr.
§ 180 und Ahd. Wb. I, 764 im Falle von âz(z)en
zur Deutung von -z(z)- als Affrikata, wohl mit
Recht aufgrund von Notkers Schreibung âzze
Bo. 138, 1 [149, 4] sowie der heutigen Mda.
(s. u.). Auch der im Schriftbild der ahd. Quellen
noch nicht erkennbare Umlaut von langem â
zeigt sich in mhd. æzen, der Variante mit Spi-
rans, Lexer I, 108; ja, unter dem Einfluß des
formal und semantisch nahestehenden mhd. âs
im Sinne von Nahrung, Speise begegnet dieses
Wort schon früh in der Schreibung mit -s-,
mhd. æsen, esen (ebd. 101), nhd. äsen (auch aa-
sen) mit der Bed. grasen (von wilden Tieren,
bes. vom Hirsch in der Jägerspr.).

In den Mdaa. von heute ist ätzen / atzen noch
weithin lebendig, meist in der Bed. zu essen ge-
ben (bes. Kindern)
oder füttern (bes. von Vö-
geln)
, gelegentlich auch noch von (ab)weiden
lassen
. Dabei verrät zuweilen die Aussprache,
daß nicht immer nur die älteren Formen mit
kurzem e- (a-) zugrundeliegen, sondern auch
solche mit ǣ- (â-), wie im Falle von schwäb. ät-
zen, gesprochen [aits-, ε:tsǝn], s. Fischer,
Schwäb. Wb. I, 350 f., oder von bair. [a:tsn] mit
hellem langem ā, der Aussprache von älterem
Umlauts-ǣ, s. Kranzmayer, Wb. d. bair. Mdaa.
in Österr. I, 426; vgl. auch Schweiz. Id. I, 626 f.;
Lexer, Kärnt. Wb. 11; Schöpf, Tirol. Id. 21. 78
(g-ātzen); Maurer-Mulch, Südhess. Wb. I, 365;
Müller, Rhein. Wb. I, 294 (auch ātǝn); Men-
sing, Schleswig-holst. Wb. I, 1070 (etten). Da-
neben sind, meist mit derselben Bed., aber auch
im Sinne von grasen, Formen mit -s(s)- im
mdartl. Gebrauch, s. Schweiz. Id. I, 500 (asen,
ässen); Ochs, Bad. Wb. I, 75; Schatz, Wb. d. ti-
rol. Mdaa. 31 (ās, älter ässen < ǣzen grasen
[vom Hochwild]); Westf. Wb. I, 303; Jungan-
dreas, Ndsächs. Wb. I, 516. (Sonst bedeutet aa-
sen heute umgangssprl., bes. im Nord- und
Ostdt., meist im Schmutz wühlen oder ver-
schwenderisch umgehen mit
.)

S. auch ezzan.

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