êra f. ō-St. ‚Ehre, Ansehen, Glanz, Vor-
zug, Auszeichnung, Ehrerweisung, Zierde,
Würde, honor, dignitas, veneratio, gloria, re-
verentia, decus; (euph.) männliche Genitalia
(pl.), genitalia, verenda‘ 〈Var.: aer-, ęr-, her-,
haer-〉. — Mhd. êre st.f., nhd. Ehre.
Ahd. Wb. III, 346 ff.; Splett, Ahd. Wb. I, 186; Schütz-
eichel⁴ 103; Starck-Wells 129. 804; Graff I, 441 ff.;
Schade 141; Lexer I, 624; Benecke I, 442 f.; Diefen-
bach, Gl. lat.-germ. 168 (decor, decus). 266 (gloria).
280 (honor). 497 (reverentia). 610 (veneratio); Dt.
Wb. III, 54 ff.; Dt. Wb.² VII, 165 ff.; Kluge²¹ 153;
Kluge²² 166; Pfeifer, Et. Wb. 331. — Zur Bed.entwick-
lung vgl. E. Karg-Gasterstädt, PBB 70 (1948), 308 ff.;
G. F. Jones, Honor in Germ. Lit. (Chapel Hill, 1959);
Fr. Maurer, in Geschichte, Deutung, Kritik, Literatur-
wiss. (W. Kohlschmidt-Festschrift, Bern, 1969) 30 ff.
Das Wort hat Entsprechungen in fast allen
germ. Sprachen (nur nicht im Got., wo τιμή mit
swēriþa wiedergegeben wird): as. ēra ‚Ehre,
Hilfe, Schutz, Ehrengeschenk, Lohn‘, mndd.
ēre ‚Ehre, Verehrung, Herrlichkeit, Ansehen,
Ehrgefühl, ehrenhaftes Benehmen‘; andfrk. ēra
‚corona‘ (vgl. unēra ‚ignominia, pudor‘), mndl.
e(e)re, eer ‚Ehre, Ansehen, Ehrgefühl, Tugend‘;
afries. ēre ‚Ehre, Verehrung‘, nfries. är(e), er,
eare; ae. ār ‚Ehre, Würde, Ruhm, Verehrung,
Gnade, Wohltat, Hilfe, Besitz, Vorrecht‘, me.
ōr(e) (ne. durch das schon me. vorkommende
afrz. Lehnwort hono[u]r ersetzt): < *aizō; aisl.
eir (< *aizijō) ‚Gnade, Milde, Hilfe‘ (poet.);
‚Name einer Göttin‘ (spätaisl. æra, nnorw. æra,
ndän. ære, nschwed. ära ‚Ehre‘ sind aus dem
Mndd. entlehnt).
Fick III (Germ.)⁴ 4; Holthausen, As. Wb. 16; Sehrt,
Wb. z. Hel.² 105; Berr, Et. Gl. to Hel. 100; Lasch-
Borchling, Mndd. Handwb. I, 1, 581; Schiller-Lüb-
ben, Mndd. Wb. I, 717; Helten, Aostndfrk. Psalmenfrg.
66. 199. 98; Kyes, Dict. of O. Low and C. Franc. Ps.
19; Verdam, Mndl. handwb. 166; Franck, Et. Wb. d.
ndl. taal² 148 f.; Vries, Ndls. et. wb. 150; Holthausen,
Afries. Wb.² 20; Richthofen, Afries. Wb. 711; Doorn-
kaat Koolman, Wb. d. ostfries. Spr. I, 51 f.; Dijkstra,
Friesch Wb. I, 312; Holthausen, Ae. et. Wb. 7; Bos-
worth-Toller, AS Dict. 47; Suppl. 45; Suppl. II, 5; ME
Dict. O-280 ff.; OED² X, 915; Oxf. Dict. of Engl. Et.
447 (hono[u]r); Vries, Anord. et. Wb.² 97. 681; Jóhan-
nesson, Isl. et. Wb. 5 f.; Holthausen, Vgl. Wb. d.
Awestnord. 48; Falk-Torp, Norw.-dän. et. Wb. 1413;
Torp, Nynorsk et. ordb. 881; Hellquist, Svensk et.
ordb.³ 1442; Feist, Vgl. Wb. d. got. Spr. 27 f. (aistan);
Lehmann, Gothic Et. Dict. A-89 (aistan).
Die germ. Formen setzen urgerm. *aiz- < vor-
urgerm. *oi̯s- oder *ai̯s- mit Rhotazismus (s. u.)
voraus. Als Zeugnisse für die unerweiterte Wz.
kommen ital. Wörter für ‚Gott‘ und ‚göttlich‘,
z. B. osk. aisusis ‚sacrificiis‘, aisos ‚dis‘; umbr.
esono- ‚divinus, sacer‘ usw., in Betracht. Zwar
hat die auffällige Ähnlichkeit mit dem etrusk.
ais ‚Gott‘ zu einer Kontroverse über den sprach-
lichen Ursprung des etrusk. Wortes geführt, die
in letzter Zeit mit der Annahme der Entlehnung
der ital. Wörter aus dem Etrusk. beigelegt schien
(vgl. Walde-Hofmann, Lat. et. Wb. I, 20; Mei-
ser, Lautgesch. d. umbr. Spr. 252 f.). Im Rahmen
seiner Untersuchung etruskisch-ostitalischer
Lehnbeziehungen hat jedoch D. Steinbauer (in
Oskisch-Umbrisch. Texte und Grammatik. Ar-
beitstagung der Idg. Gesellschaft und der Società
Italiana di Glottologia vom 25. bis 28. Sept. 1991
in Freiburg, hrsg. von H. Rix [Wiesbaden,
1993], 298 ff.) Argumente beigebracht, nach de-
nen etrusk. ais aus dem ostital. Nom. Sg. *ai̯ss
entlehnt ist (etrusk. Pl. aiser analogisch nach Pl.
papalser zu Sg. papals ‚Enkel‘), wobei sich für
umbr. esono- eine Vorform *ai̯ssōno- (vgl. lat.
bello- : Bellōna) ergibt. Als ital. Vorform könne
so z. B. ein *ai̯so- [**H₂ai̯so-] ‚Verehrung ha-
bend‘ (anders Meiser 252: [**H₂ai̯(z)dto-] ‚ver-
ehrt‘) postuliert werden, die mit der Wurzelform
*oi̯s [**H₂oi̯s-] von ahd. êra im Ablautverhält-
nis steht (für das Germ. kommt jedoch auch a-
haltiges [**H₂ai̯s-] als Vorform in Frage). Eine
Dentalerweiterung (germ. *t, idg. *d) dieser
Wz. begegnet im Germ. in got. aistan ‚sich
scheuen vor, ἐντρέπεσθαί τινα‘; zugehörig sind
wohl gr. αἴδομαι, αἰδέομαι (< *aiz-d-) ‚scheue
mich, verehre‘, αἰδώς ‚Scheu, Ehrfurcht‘; ablau-
tend aind. ṭṭe ‚verehrt, preist‘ (< *izd-tai?) [<
**(H₂i-)H₂isd-].
Vgl. Peters, Idg. Laryngale im Gr. 77 f.: [**H₂isd-é(i̯)]
als Vorform für gr. αἴδεται und aind. ṭṭe (mit Ersatz
von -e durch -te im Aind.) oder [**Hi-Hisd-(t)é/oi̯]
als Vorform für aind. ṭṭe; zum Nebeneinander von αἰ-
δέομαι und ṭṭe vgl. dann gr. ἔχω und ἴσχω (< *si-
sg̑h-) ‚habe, halte‘.
Seebolds Ansatz (Kluge²² 166; Knobloch-Festschrift
445) eines idg. s-Stammes *ai̯d-s- (vgl. gr. αἰδώς) ist
sehr fraglich, denn das aus *ds > *ts > *ss nach lan-
gem Vokal oder Diphthong vereinfachte germ. *s
zeigt sonst nie grammatischen Wechsel.
Nicht verwandt sind lat. aestimō ‚ich schätze den Wert
ab, würdige, ermesse‘ (vgl. Walde-Hofmann, a. a. O. I,
20 f.; E. P. Hamp, Glotta 68 [1990], 119); gr. ἱερός
‚heilig, göttlich, kräftig, usw.‘ (vgl. Frisk, Gr. et. Wb.
I, 712 ff.; Chantraine, Dict. ét. gr. 457 f.).
Anders G. Must, PMLA 76 (1961), 326 ff.: die germ.
Wörter für ‚Ehre‘ stammten von einem kelt. Götterna-
men Aisus, der seinerseits aus dem Etruskischen ent-
lehnt worden sei (s. o.), und seien weder mit got. aistan
noch mit gr. αἴδομαι verwandt. Sehr unwahrschein-
lich.
Walde-Pokorny I, 13; Pokorny 16; Mayrhofer, K. et.
Wb. d. Aind. I, 95; ders., Et. Wb. d. Altindoar. I, 204;
Boisacq, Dict. ét. gr.⁴ 22. 368; Frisk, Gr. et. Wb. I,
34 f.; Chantraine, Dict. ét. gr. 31 f.