êrackar adj., nur Otfrid und Gl. 4, 196, 21
(Trier Hs 61 [früher R. III. 13] eruuakerer
mfränk. 11./12. Jh.): ‚früh wach, antelucanus‘
〈Var.: -c-, -ch-〉; êrackari adj. ja-St., Gl.
1, 557, 37 f. 575, 28 f. bair. 10.-12. Jh.: ‚dss.‘
〈Var.: -ch-; -iri〉.
Ahd. Wb. III, 352. 433; Splett, Ahd. Wb. I, 185. 1052;
Schützeichel⁴ 103; Starck-Wells 133. 805. 843; Graff
I, 436; Kluge²¹ 173 f.
Ahd. êrackar entspricht aisl. ārvakr, ndän. aar-
vaagen; vgl. ae. ǣrwacol. Das Wort ist zusam-
mengesetzt aus êr- bzw. aisl. ār-, ae. ǣr- ‚früh‘
und wackar, aisl. vakr, ae. wacol ‚wachsam,
munter‘ (→ wackar). Eine sekundäre Weiterbil-
dung zum ja-St. begegnet in êrackari; vgl. got.
fairneis, ahd. firni ‚alt‘ neben got. fairns, ae.
fern ‚vorig‘ (s. Krahe-Meid, Germ. Sprachwiss.
III § 74, 4). Zum w-Schwund im Anlaut des
zweiten Teils von Komposita s. Braune, Ahd.
Gr.¹⁴ § 109 Anm. 4; wie in der Vorform des PN
ahd. Otachres, Otachre (Hildebr.) trat in dem
zugrundeliegenden Hinterglied *wakra- Ver-
dumpfung des / a/ vor dem w-Schwund ein;
vgl. Schreibungen wie odochar, odocher für den
PN (Lühr, Stud. z. Hildebrandlied 479).
Dem ersten Bestandteil entsprechen: ae. ǣr
‚früh‘ (vgl. ǣr on morgon ‚früh am Morgen‘);
nfries. ear ‚früh‘ (auch adj.); aisl. ár (adj. árr
‚frühzeitig‘), nisl. ár, nnorw. aar ‚früh‘ (aus dem
Skand. lapp. ar(r)ad, arrat ‚früh‘; möglicherwei-
se me. ār(e), ōr(e); doch s. u.); vgl. aisl. árla,
aschwed., mschwed. ārla, mdän. årle; got. air
‚früh, πρωί‘ (air þis dagis afarsabbate ‚πρωὶ τῆς
μιᾶς σαββάτων‘). Die Vorform bildet den Positiv
zu êr ‚früher‘ (s. d.) und beruht auf einem Loka-
tiv *ai̯eri mit Lautentwicklung zu *ajiri > *airi
(die Brechung von *ai zu ā vor r ist im Nord-
germ. nach dem ersten i-Umlaut eingetreten).
Zum Schwund von urgerm. *j vor i s. Trautmann,
Germ. Lautgesetze 61; Krahe-Meid, Germ. Sprachwiss.
I § 71; Lühr, a. a. O. 465 und Anm. 3). — Fick III
(Germ.)⁴ 3; Berr, Et. Gl. to Hel. 99; Franck, Et. wb. d.
ndl. taal² 149; Vries, Ndls. et. wb. 150; Dijkstra,
Friesch Wb. I, 311; Holthausen, Ae. et. Wb. 12; Bos-
worth-Toller, AS Dict. 17. 48; Suppl. 17 f.; Vries, A-
nord. et. Wb.² 12. 14; Thomsen, Einfluß d. germ. Spr.
131; Quigstad, Nord. Lehnw. im Lapp. 92; Björkman,
Scand. Loanwords 108. 200; Jóhannesson, Isl. et. Wb.
1; Holthausen, Vgl. Wb. d. Awestnord. 6; Falk-Torp,
Norw.-dän. et. Wb. 8; Torp, Nynorsk et. ordb. 13;
Hellquist, Svensk et. ordb.³ 31; Feist, Vgl. Wb. d. got.
Spr. 24 f.; Lehmann, Gothic Et. Dict. A-83.
Wenn der Schwund eines *j vor *i früher als die Apo-
kope eines in dritter Silbe (nach zwei kurzen Silben)
stehenden auslautenden *-i stattfand, wofür mögli-
cherweise die aus einem Dat.(Gen.) *miluki(z) stam-
mende Lautung angl. milc gegenüber ws., kent. mio-
luc, meoluc ‚Milch‘ mit Velar-Umlaut spricht, so han-
delt es sich bei dem vereinzelten spätnordh. ār(-)
‚früh‘ um eine Rückbildung vom Komparativ ǣr <
*airiz und nicht um das Ergebnis einer Lautentwick-
lung *ajiri > *ajir > *air. Me. ar(e), or(e) könnten
auf spätnordh. ār(-) weisen, sofern diese Lautungen
nicht anord. ár wiedergeben (OED² V, 364: Schwach-
tonentwicklung aus ǣr als weitere Möglichkeit). Ein
(endungsloser) Lokativ vorurgerm. *ai̯er dürfte als
Vorform ausgeschlossen sein, da wohl vor *-r die
Lautqualität des *-e- in nebentoniger Silbe erhalten
blieb (Lühr, a. a. O. 465).
Noreens (Urg. Lautlehre 89) Verbindung von ahd. êr-
mit ahd. jâr ‚Jahr‘ (s. d.) scheitert daran, daß im Ur-
germ. anlautendes *j vor Vokal nicht schwindet.
Die Lokativform *ai̯eri ist außerhalb des Germ.
in gr. ἄριστον ‚Frühstück‘ < *ai̯eri-d-to-
[**(H1/3)ai̯eri-H₁d-to-] fortgesetzt; unkontra-
hiertes ἀέριστον ist noch herstellbar (Homer,
Ilias V 124, Odyssee π 2). Eine Variante *āi̯eri
wurde in gr. ἦρι ‚früh‘ (ἠέριος ‚morgendlich‘)
gesehen (doch s. u.), Formen, die zu altav. aiia-
rǝ̄, jungav. aiiarǝ n., jungav. aiian-, gen. aiiąn
‚Tag‘ gehören und auf ein r/n-Heteroklitikum
uridg. *āi̯-er/ en- [**(H1/3)āi̯-er/ en-] weisen.
Peters, Idg. Laryngale im Gr. 32 f. wendet sich gegen
die traditionelle Herleitung von gr. ἦρι aus *āi̯eri, da
für das Nebeneinander zweier ablautender Lokativ-
formen *āi̯eri und *ai̯eri das Material keine Rechtfer-
tigung gewähre (P. Kiparsky, Lang. 43 [1967], 625;
E. Risch, in Palmer-Festschrift 310 = Kleine Schriften.
Zum 70. Geburtstag, hrsg. von A. Etter [Berlin, 1981],
518). Statt dessen führt er gr. ἦρι auf einen zu
aind. us- (zu aind. uṣás- f. ‚Morgenröte, Morgen;
Abendröte‘ usw.; → ôstar, ôstara) gehörigen Lokativ
*au̯seri zurück (Ch. Bartholomae, BB [1898], 15; Ki-
parsky, a. a. O.), dem dann *αὐρι in αὔριον ‚morgen‘
als demselben Paradigma entstammender Lokativ
*au̯sri zugesellt werden kann; zur Lautentwicklung
vgl. gr. ion. ἠώς ‚Morgenröte‘ < *āϝōs < *aὐhώς [<
**H₂usṓs] (vgl. schon Curtius‘ [Stud. zur griech. und
lat. Gr., II (Leipzig, 1869), 175 ff.; Grundzüge der gr.
Et.⁵ 400 f.] Verbindung von gr. ἦρι mit gr. αὔριον
‚morgen‘ usw. (dagegen A. Fick, Zfvgl.Spr. 22 (1874),
95 f.).
Wahrscheinlich wurde der Stamm *ai̯er- ursprl.
nur von der Tageszeit gebraucht; zum u-Stamm
*oi̯u- [**(H1/3)oi̯u-], *ai̯u- [**(H1/3)ai̯u-] s.
io. Die zugrundeliegende Wz. uridg. *ai̯-
[**(H1/3)ai̯-] ‚brennen‘ begegnet wohl in heth.
3. sg. āri, 3. pl. ānta (mit Hyperpleneschreibung
a-a-an-t-) < Stativ *ái̯-ē-o-rei̯ [**(H1/3)ái̯-
eH₁-o-rei̯] (Oettinger, Mü. Stud. z. Spr.wiss. 34
[1976], 136; H. Eichner, in Kronasser-Gedenk-
schrift 28) und arm. ayg ‚Tagesanbruch‘ < *ai̯-
u̯o-. Sonst findet sich eine Wurzelerweiterung
mit *-dh-: aind. indhé ‚entzündet, entflammt‘;
gr. αἴθω, αἴθομαι ‚anzünden, brennen‘, αἶθος m.
‚Brand‘ (= aind. édha- m. ‚Brennholz‘), ahd. eit
‚Scheiterhaufen‘ usw. (s. d.).
Setzt man wie H. Osthoff, PBB 13 (1888), 404. 406 f.
gr. ἄριστον ‚Frühstück‘ unmittelbar als ‚frühestes, er-
stes‘ dem urgerm. *airista- > ahd. êrist (s. d.) gleich,
muß man annehmen, daß ein Wort für ‚Essen‘ in El-
lipse stand.
Walde-Pokorny I, 3; Pokorny 12; Bartholomae, Ai-
ran. Wb. 157; Boisacq, Dict. et. gr.⁴ 23. 78. 315. 329;
Frisk, Gr. et. Wb. I, 37. 140. 643; Chantraine, Dict. ét.
gr. 109. 406 f.; Puhvel, Hittite Etym. Dict. I, 12; Tisch-
ler, Heth. et. Gl. I, 3 f.; J. A. C. Greppin, Bazmavep
141 (1983), 282; H. L. Ahrens, Zfvgl.Spr. 3 (1854),
171; A. Fick, Die ehemalige Spracheinheit der Indoger-
manen Europas (Göttingen, 1873) 303 f.; K. Brug-
mann, IF 10 (1899), 88. — Mayrhofer, Et. Wb. d. Alt-
indoar. I, 104. 267 setzt für aind. indhé usw. dagegen
eine Wz. **H₂ei̯dh- an, da er die Zerlegung in *ai-dh-
problematisch findet. Ist aber heth. āri mit ā- < *ai̯a-
zugehörig, so kann wegen des Fehlens von anlauten-
dem ḫ im Heth. keine Wz. mit anlautendem uridg.
[**H₂] vorliegen; zur Vertretung von [**H₁/ H₃]
im Heth. s. H. Eichner, a. a. O. 137; unter einem
„fourth laryngeal“ vereint dagegen E. P. Hamp (Glotta
67 [1989], 41; ders., in The New Sound of Indo-Euro-
pean: Essays in Phonological Reconstruction, ed. by Th.
Vennemann [Berlin, 1989] 209) gr. ἄριστον und alb. herë
‚Mal, bestimmte Zeit‘, heret, herët ‚früh‘; vgl. auch R. S.
P. Beekes, in Laryngaltheorie 101).
Von der Wz. *ai̯- [**(H1/3)ai̯-] ‚brennen‘ ist wahr-
scheinlich der Stamm *oi̯u- [**H₂oi̯u-] ‚Leben‘ zu
trennen; → êwa², io.
Fraglich ist die Zugehörigkeit von lit. áiškus (< *āi-s-)
neben schwundstufigem alit. iškus ‚deutlich‘; denn
diese Wörter könnten auch zu aksl. jasnъ ‚klar, deut-
lich‘ < *ěsnъ < *ai̯skna- (Berneker, Slav. et. Wb. I,
276; Sadnik-Aitzetmüller, Handwb. zu den aksl. Tex-
ten 213) gestellt werden (Fraenkel, Lit. et. Wb. 3).
Air. an-air ‚von vorn‘ (gall. are- z. B. in dem Volksna-
men Are-morici), mir. -air ‚vor, auf‘ < *pi-
[**pH₂i-] (zu gr. πάρα, παρά ‚daneben, von-her‘;
lat. prae, got. faúr ‚entlang‘; heth. parā ‚vorwärts, her-
vor, hinaus‘ usw.; → fora) bleiben fern (Wh. Stokes,
Zfvgl.Spr. 38 [1905], 459; Walde-Pokorny II, 33;
Vendryes, Lex. ét. de l’irl. anc. A-37 f. 70; J. Fraser,
Zfcelt. Ph. 8 [1912], 5).