êregrehtî, êrgrehtî
Band II, Spalte 1125
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êregrehtî, êrgrehtî f. īn-St., nur Otfrid,
Ludw., Steinmeyer, Spr.denkm. 373, 3: (Ad
equum errhet: do begagenda imo min trohtin /
mit sinero arngrihte da begegnete ihm mein
Herr in seiner Herrlichkeit
): Herrlichkeit,
Huld, Gnade, Barmherzigkeit, misericordia

Var.: era-; arngrihte.

Ahd. Wb. I, 659; III, 383 (r[e]grehtî da die Etymo-
logie unsicher sei, sei ein genauerer Ansatz nicht mög-
lich); Splett, Ahd. Wb. I, 186. 736; Schützeichel⁴ 103;
Graff II, 412 f.; Schade 144; G. de Smet, PBB 75
(1953), 281 f. Urmoneit, Wortschatz d. Ludwigsliedes
169 ff. wendet sich zu Recht gegen O. Erdmanns (Ot-
frids Evangelienbuch. Hrsg. und erklärt, [1882], 352)
Deutung: Der Composition liegt zu Grunde die Vor-
stellung: der Hochstehende läßt die Einwirkung seiner
Hoheit (êra) dem Niederen gerade (grehtî = rectitu-

do), d. h. unvermittelt und unverkürzt zukommen
(zustimmend D. E. Green, The Carolingian Lord
[Cambridge, 1965], 188). Denn eine Bedeutung wie
gerade Richtung ergibt an den Belegstellen keinen
Sinn. Doch faßt Urmoneit grehtî als Verbalabstraktum
mit dem Suffix germ. -īn auf (dazu s. u.).

Eine vergleichbare Bildung begegnet in dem im
Heliand nur einmal im Monacensis und Cotto-
nianus belegten Adj. as. ēgrohtful (nom. sg.m.
egrohtful[l]) barmherzig. Es ist anzunehmen,
daß sowohl das ahd. als auch das as. Wort für
die damaligen Sprecher nicht mehr sicher analy-
sierbar war; so wurde im As. das zum Nebenton
gewordene e der zweiten Silbe verdumpft und
das erste r dissimiliert. Dabei dürfte in der Laut-
verbindung gr ein Vokal geschwunden sein; vgl.
ahd. grehtî Geradheit, gerader Weg, Recht-
schaffenheit
, grihtî Geradheit, Gerechtigkeit,
gnâda Gnade (s. d. d.). Ahd. êr(e)grehtî ist so
wie as. ēgrohtful von einer Basis *ēra-girehtī, ei-
nem (teils noch unfesten) Kopulativkompositum
der Bedeutung Ehre und Gerechtigkeit herleit-
bar ( êra, girehtî), woraus einerseits die Be-
deutung Herrlichkeit und andererseits die Be-
deutungen Huld, Gnade, Barmherzigkeit her-
vorgegangen sind; vgl. zum Bildetyp ae. mægen-
cræft Macht und Kraft, mōdsefa, as. mōdseo
Gemüt und Sinn und zur Kollektivbildung mit
dem Präfix gi- got. gawaurdi Gespräch in
ahd. girehtî ist -e- analogisch nach reht bewahrt
(zu solchen Fällen im Ahd. s. Braune, Ahd.
Gr.¹⁴ § 30 Anm. 1). Ist ahd. êr(e)grehtî tatsäch-
lich als Kopulativkompositum zu bestimmen, so
müßte arn- einen im Mhd. auch sonst gelegent-
lich beobachtbaren Wandel von ê zu â vor r
(Weinhold, Mhd. Gr.² § 101) mitgemacht, arn-
jedoch noch mit dem Wort Ehre identifiziert
worden sein und in der präpositionalen Fügung
in arngrihte eine dem Dat. Sg. der sw. flektieren-
den Feminina angepaßte Binnenflexion, wie sie
in Zusammenrückungen möglich erscheint, er-
fahren haben. Während im Ahd. êr(e)grehtî der
Flexion der Adjektivabstrakta folgt, ist im As.
ēgroht- ohne Endung in das Kompositum
ēgrohtful eingegangen.

Anders Gröger, Ahd. und as. Komp.fuge 41 f.: êragrehtî
sei wahrscheinlich ein uneigentliches Kompositum
mit dem Fugenvokal als Genitivendung; ähnlich Ur-
moneit, a. a. O. 172: arn- sei Gen. Pl., eine Auffassung,
die sich jedoch nicht mit der Deutung als Kopulativ-
kompositum verträgt.

Weniger wahrscheinlich ist Th. v. Grienbergers (PBB
45 [1921], 221) Bestimmung als Determinativkompo-
situm rechtlich begründeter Anspruch, Gerechtsame
(ebenso Schmeller, Bayer. Wb.² II, 31: êregrehtî id
quod honori regis, Dei
oder quod ei prae omnibus con-
venit, debetur, praerogativa
), da eine Bedeutungsent-
wicklung von Recht auf Ehre zu Ehre, Herrlichkeit
kaum naheliegt. Urmoneit, a. a. O. 171 und Anm. 138
erwägt im Falle eines Determinativkompositums eine
Ableitung von dem Verb rihten einsetzen, bereiten,
herrichten, aufrichten
und für êr(e)grehtî so eine Be-
deutung Ehrenerweis, Gnadenerweis. Doch hätte
man bei einer solchen Ableitung sicher einen Wurzel-
vokal -i- im zweiten Bestandteil von êr(e)grehtî zu er-
warten.

Keine morphologische Analyse findet sich bei Wah-
mann, Gnade 82 f., der êr(e)grehtî deutet als Auf-
rechtstehen in Ehre und Herrlichkeit
. Daß êr(e)grehtî
aber nicht eindeutig dem misericordia-Wortfeld zuzu-
ordnen ist, wie Wahmann und auch H. Hupka (Gratia
und misericordia im Mittelhochdeutschen [Diss. Leip-
zig, 1943]) es tun, hat Urmoneit, a. a. O. 172 ff. ge-
zeigt (vgl. auch Ahd. Wb., a. a. O.). Eine Lehnbildung
nach lat. iustitia erwägt W. Betz, IF 58 (19412), 91,
jedoch ebenfalls ohne genaue morphologische Bestim-
mung.

Holthausen, As. Wb. 14; Sehrt, Wb. z. Hel.² 93; Berr,
Et. Gl. to Hel. 90; Gallée, As. Gr.² § 148; Krahe-
Meid, Germ. Sprachwiss. III § 29.

Unwahrscheinlich F. Holthausen, Zfvgl.Spr. 72 (1954
55), 201: As. egrohtful sei als ē-grōht-full zu deuten
und enthalte im ersten Glied ēo Gesetz (ahd. êwa)
und im zweiten Glied eine Ableitung von as. rōkian
berücksichtigen.

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