-ing, -ung
Band V, Spalte 81
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-ing, -ung m. Suff. zur Subst.bildung.
Mhd. -ing, -ung, nhd. -ung. Das Suff. ahd.
-ing, -ung bildet Bez. von Konkreta und No-
mina agentis, seltener auch Dimin. Die Ab-
leitungsgrundlage sind Adj. und Subst., Ver-
ben treten nur vereinzelt auf, wobei es sich
bei diesen Bildungen aber auch um deno-
minale Bildungen zu Nomina handeln könn-
te, die nicht mehr bezeugt sind, aber eng ver-
wandte Verben neben sich haben. Die im
Germ. verbreitete Verwendung des Suff. zur
Bildung von Patronymika ist synchron nhd.
nicht mehr greifbar, als Relikte sind noch
zahlreiche Ruf- und FamN erhalten, die auf
diesen Bildetyp zurückgehen; vgl. etwa nhd.
Henning, Göhring/Gehring etc.

Ebenso wie bei den Fortsetzern von ahd. -inga, -unga
(s. d.) kommt es bei diesen PN in unterschiedlichen
Gegenden zum Verlust des Nasals im Suff. Zentrum
des Ausbreitungsgebiets ist hier v. a. das Ostmd., von
dem aus der Nasalschwund in je nach Name unter-
schiedlicher Ausdehnung ausstrahlt.

Splett, Ahd. Wb. 2, 290292 (-ing). 372 (-ung). Klu-
ge²⁵ s. vv. -ing, -ung. Schatz 1927: § 111 [S. 78];
Wilmanns [190630] 1967: 2, §§ 278 ff.; Bach
1952 ff.: 1, 1, §§ 106. 128132; 139. 150; 1, 2 § 396,
1; Brendel 1997: 458518. 562 f.; U. Demske, PBB
122 (2000), 365411; Braune-Reiffenstein 2004:
§ 63; Klein-Solms-Wegera 2009: 126 ff.; Kunze-Nüb-
ling 2010: 810821; Pimenova 2011: 247282; Kun-
ze-Nübling 2012: 196209.

In den anderen germ. Sprachen entsprechen:
as. -ing, mndd. -ing, -ung; andfrk. -ing,
mndl. -inc/g, nndl. -ing; afries. -inge, -unge,
nfries. -ing; ae. -ing, -ung, me. -ing, ne. -ing;
aisl. -ingr, -ungr, nisl. -ingur, -ungur, norw.
-ing, adän. -ing, -ung, dän. -ing, schwed.
-ing, -ung; got. -iggs; langob. -i/eng: < ur-
germ. *-i/una-.

Häufig ist auch die Verwendung des Suff.
zur Bildung von Patronymika bzw. von
germ. StammesN; vgl. etwa aus der lat. Ne-
benüberlieferung Juthungi (neben urnord.
PN Iuþingar), ae. Scyldingas Nachkom-
men des Scyld
(neben ae. Scyldungas, aisl.
Skjldungr) etc. (Schaffner 2005: 340 f.).
Eng damit verwandt ist die Verwendung
als Dimin.suff., da ein kleiner Hans auch
als Sohn des Hans interpretiert werden
kann.

Mit diesem Suff. gebildet sind auch die zahlrei-
chen bes. süddt. ON auf -ing, -ung bzw. -ingen,
-ungen, wobei letztere als urspr. Dat.-Pl.-Formen
zu patronymischen bzw. allgemein Zugehörigkeit
bezeichnenden EinwohnerN zu bestimmen sind. In
dieser Funktion ist das Suff. auch in Skandinavien
weit verbreitet.

In der o.g. genannten Funktion der Zugehörigkeits-
bzw. Abstammungsbez. wird -ing, -ung bereits früh
durch das bei Ableitungen von bereits mit einem l-
haltigen Suff. erweiterten Bildungen entstandene und
durch Fehlsegmentierung abgetrennte Suff. -iling
(s. d.) bedrängt, das seit ahd. Zeit bis ins Nhd. pro-
duktiv bleibt und zum dimin. oft auch einen pejo-
rativen Sinn annimmt.

Vries, Ndls. et. wb. 281; Franck, Et. wb. d. ndl. taal²
275; Et. wb. Ndl. F-Ka 522 f.; Faltings, Et. Wb. d.
fries. Adj. 8 f.; ME Dict. s. vv. -ing, -ing(e) suff.¹,
-ing(e) suff.²; OED² s. vv. -ing suff.¹, -ing suff.³;
Magnússon, sl. Orðsb. 421 f. 1087; Nielsen, Dansk
et. ordb. 207; NOB s. v. (bm., nn.) -ing, (nn.) -ung;
Hellquist, Svensk et. ordb.³ 406 f. 407 f. 1280; Bruck-
ner, Spr. d. Langob. 271. Kluge 1926: 11 ff.; Jóhan-
nesson 1927: §§ 57. 122. 125; Bach 1952 ff.: 1, 1,
§ 180; 2, 1, §§ 196214; 2, 2 §§ 576580; Munske
1964 passim, bes. 96 ff.; Henzen 1965: §§ 89 [S.
142 f.]. 103; Guchman 196266: 3, 83 f. 86 f. 101 f.
105; Krahe-Meid 1969: 3, § 150; Seebold 1975:
161 f.; Udolph 1994: 149161; Francovich Onesti
2000: 157; Schaffner 2009: 1 ff.

Es handelt sich bei dem Suff. um im Germ.
unterschiedlich realisierte, urspr. Ablaut auf-
weisende Var. von zumindest zwei etym.
verschiedenen Suff.konglomeraten, die im
Urgerm. (urgerm. *-ina-, *-una-; verein-
zelt auch *-ana-) lautlich zusammengefal-
len sind. Es stehen Ableitungen mit einem
Suff. mit velarem uridg. *-k- neben solchen
mit pal. *-- (zu den beiden unterschiedli-
chen Gutturalsuff. vgl. auch Krahe-Meid
1969: 3, § 144 [bes. S. 188f.]; s. jung). Diese
Bildungen sind urspr. Ableitungen von n-St.
in unterschiedlichen Ablautstufen mit den
Suff. uridg. *-ko- und *-o-.

Die dimin. Funktion ist hier zunächst dem
Suff. uridg. *-kó- zuzuschreiben; vgl. etwa
ai. rājaká- m. kleiner König, Königlein <
uridg. *h₃rē--kó- zu ai. rjan- m. Kö-
nig
< uridg. h₃rē-on- oder weitergebildet
im Lat. homunculus Menschlein < urit.
*hemon-ke-lo- zu lat. homō, -minis m.
Mensch < urit. *hemon- (Schaffner 2005:
339; ders. 2009: 2).

Daneben bestand ein das Grundwort kaum
modifizierendes Suff. uridg. *-ó-: vgl. ai.
yuvaá- jugendlich, jung, ahd. jung (s. d.) <
uridg. *h₂u-hx-ó- zu ai. yúvan- jung, jun-
ger Mann
< uridg. *h₂u-hxe/on- (Schaffner
2005: 334. 336 Anm. 981; ders. 2009: 3).

Die urspr. Verteilung war so, daß *-e-n-ó-
> germ. *-inga- formal als nach vorne ver-
längertes Suff.konglomerat von individuali-
sierenden n-Stämmen zu thematischen Ba-
siswörtern und *--kó- > germ *-unga- ...
formal als Suffixkonglomerat von suffix-
apophonen n-Stämmen abgelöst worden ist

(Schaffner 2005: 336 f.). Durch Suff.wechsel
konnte es zu Vermischung der urspr. Ver-
wendungsbereiche kommen.

Semantisch und lautlich nahestehend ist ein
im Balt. (und hier bes. im Lit.) verbreitetes
Suff. lit. -ànga-, -ìnga-, -ùnga-, lett. -īg-,
apreuß. -ing-, das zur Ableitung denominaler
(selten auch deverbaler) Adj., die das Ver-
sehensein oder Enthaltensein des Grund-
worts zum Ausdruck bringen; vgl. lit. prótas
Verstand : protìngas klug, verständig,
lett. prātīgs dss., lit. láim Glück : lai-
mìngas glücklich, basas Stimme : bal-
sìngas mit einer guten Stimme etc. Der
Tektal des balt. Suff. erfordert aber eine Vor-
form mit uridg. *g, *gh, *g, *gh (unter der
Annahme nicht erfolgter Satemisierung kom-
men ggf. auch die entsprechenden Pal. uridg.
*, *h in Frage), wobei sich die aspirierten
mit den germ. Formen vereinigen ließen,
falls in diesen ebenfalls uridg. *gh oder *h
vorliegen sollte. Will man weder mit der
Entlehnung eines im Balt. derart produktiven
Suff. aus dem Urgerm. rechnen, noch damit,
dass die balt. und germ. Formen trotz der
semantischen Ähnlichkeit bzw. Identität
morphologisch nichts miteinander zu tun ha-
ben, muss man davon ausgehen, dass im
Germ. mind. drei urspr. verschiedene Suff.
zusammengefallen sind: o.g. uridg. *-ko- und
*-o- (das nicht unmittelbar auf die betonte
Silbe folgen durfte) einerseits und anderer-
seits auch im Balt. fortgesetztes uridg.
*-gho-, *-ho-, was ebenfalls urgerm. *-a-
ergeben würde. Dieses Suff. tritt etwa auch
als gr. -χo-, -χη- auf, dort allerdings nie in
Verbindung mit einem Nasal.

Von einer Suff.gestalt uridg. *-(V)n-gho-, *-(V)n-ho-
geht auch Vykypl 2011: 42 f. im Kontext der Be-
sprechung von urgerm. *kunina-/*kununa- König,
Herrscher
aus (s. kuning), was er dann wohl auch all-
gemein für das Suffix urgerm. *-in-/-un- anneh-
men wird: Die Herleitung der Wz.vokal- und Suff.-
vokalvar. erfolgt dabei unter Annahme eines ablau-
tenden Paradigmas nom./akk. frühurgerm. *Wz.-i-ngh-
o- > urgerm. *kunina- vs. gen. frühurgerm. *Wz.-ø-
gh-ó- > urgerm. *kununa-. Da thematische Ablei-
tungen sonst nie Ablaut innerhalb des Paradigmas
zeigen, ist diese Erklärung indes zu verwerfen. Unbe-
rührt davon bleibt aber die Wahrscheinlichkeit eines
Zusammenhangs mit den balt. Formen.

Darüber hinaus gibt es im Balt. wieder bes. im Lit.
noch ein weiteres Suff., das in erster Linie deno-
minale und deverbale Nomina agentis bildet, -ininka-
(mit den Nebenformen -inyka-, -auninka-, -elninka-).
Dem Bestandteil -inka- dieses Suff. kann durchaus
uridg. *--ko- zugrunde liegen. Das gesamte Suff.-
konglomerat wäre dann vielleicht so zu analysieren,
dass an das schwundstufige Suff. eines n-St. nochmals
ein nach Reanalyse bereits eben dieses Suff. schon
enthaltendes Suff.konglomerat uridg. *--ko- > urbalt.
*-inka- angetreten wäre.

Endzelin 1922: §§ 189 (S. 265 f.). 193; Wackernagel
[18961964] 195457: 2, 2: §§ 360 ff. (S. 515 ff.).
738 (S. 919 f.); Skardius 1943: 105 ff. 140 ff.;
Otrbski 195665: 2, 285291. 300306; W. Meid, IF
70 (1965/66), 228231; Risch 1974: 175 f.; Pakerys
1994: 4753. 145. 326329; Ambrazas 1997: 114 f.
137 f. 197199; A. Bammesberger, RBalt 4 (1998),
109111; Matzinger 2008: 269 ff. 300 f.; Ambrazas
2011: 122 f. 136 f. 142. 178 f. 200 f.

S. -inga, -unga, -iling.