*abrûta
Volume I, Column 28
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*abrûta f. n-St. (viermal belegt: auarata
11. Jh.; aueruthe 13. Jh.; aberruta 13./14. Jh.;
abruten 14. Jh.) Aberraute, auch Abraute, ab-
rotanum
(Artemisia abrotanum L.). Drei der
Formen stammen aus (spät)mhd. Zeit und las-
sen auf ahd. *abrûta schließen, dem nhd. Ab-
raute entspricht; daneben das volksetym. ent-
stellte Aberraute sowie zahllose mdartl. Sonder-
entwicklungen (s. u.).

Ahd. Wb. I, 19; E. Björkman, Zfdt. Wortf. 6
(190405), 180; Starck-Wells 14; Dt. Wb. I, 185.

Im Gegensatz zu den unter abrizza und *ebar-
eiza
verzeichneten Formen (s. d.) ist ahd.
*abrûta bzw. seine in den Gl. bezeugten Va-
rianten erst nach der hd. Lautverschiebung aus
lat. abrotanum ins Deutsche übernommen wor-
den: nur so erklärt sich die Bewahrung des inl.
-t-. Der Labial, der in intervok. Verbindung mit
-r- vom 3. Jh. an vulg.lat. als sth. Spirant ge-
sprochen wurde (Grandgent, Vulgar Latin
§ 318), erscheint als solcher auch in mfrk. For-
men, geschrieben u (v), zuweilen f, während er
obd. zum Verschlußlaut wurde (Braune, Ahd.
Gr.¹³ § 134 ff.). Weniger eindeutig ist die Erklä-
rung des u-Vokals der zweiten Silbe, doch fehlt
es nicht an Hinweisen darauf, daß die Ausspra-
che des vulg.lat. o (kurz oder lang) so geschlos-
sen war, daß es häufig als u geschrieben und so
auch in germ. Lehnwörtern wiedergegeben
wurde (Grandgent, a.a.O. § 203. 205). Dazu
kommt, wie Th. Claussen wahrscheinlich ge-
macht hat, daß gerade in Lehnwörtern aus dem
Griech. sehr häufig vulg.lat. û für gr. o eintritt,
also *aprūtanum, *aberūtonum (Rom. Forschun-
gen 15 [1904], 834. 845 f. 852. 859 mit noch
weiteren aber wenig sicheren Rekonstruktio-
nen).

Thes. ling. lat. VI, 3, 2487 (habrotonum, -tan-, apro-,
-us); Körting, Lat.-rom. Wb.³ Nr. 46; Meyer-Lübke,
Rom. et Wb.³ Nr. 39; Wartburg, Frz. et. Wb. I, 9;
(Neubearb.) XXIV, 48; Gamillscheg, Et. Wb. d. frz.
Spr.² 61.

Endlich ist auch noch volksetym. Anlehnung an
ahd. rûta Raute (Ruta graveolens L.), mit der
die Artemisia abrotanum ihren stark aromati-
schen Geruch teilt, in Rechnung zu stellen.
Dasselbe gilt von der Anfangssilbe des Wortes,
die schon im Mittelalter zu Aber- und viel-
leicht unter Einfluß von lat. Varianten mit h-
zu Haber- (Hawer-) erweitert wurde, s. Woe-
ste, Wb. d. westf. Mda. 96; Mensing, Schleswig-
holst. Wb. II, 779. Oder man wandelte mit
Hilfe dieses anl. H- den ersten Wortteil, soweit
er noch mit labialem Spiranten gesprochen
wurde, in Hof- um, vgl. Bremisch-Nds. Wb. III,
540; Mensing, Schleswig-holst. Wb. II, 849; Dt.
Wb. IV, 2, 1696. Ein ähnliches Spiel volks-
etym. Assoziationen *ebareiza (= Eber +
Reis); aber auch die Formen auf -raut(e) ha-
ben sich im ersten Teil mdartl. immer wieder an
Eber- u. ä. angeglichen, s. P. A. Nemnich, Allg.
Polyglotten-Lex. I (1793), 118; Müller-Frau-
reuth, Wb. d. obersächs. Mdaa. I, 274; Mitzka,
Schles. Wb. I, 227. Vgl. die Übersicht bei
Marzell, Wb. d. dt. Pflanzennamen I, 412 ff.
(Nicht zugänglich war Saint-Lager, Histoire de
l’Abrotanum, Paris, 1900).

Der heutigen Vielzahl von mdartl. Varianten
entsprechen schon im Mndd. Formen wie
afrūde, afrūte, āver(r)ūde, dazu als Lehnwort
averōne aus afrz. averoine. Fast identisch sind
die Gegenstücke auf ndl. Boden mit mndl. aver-
ūde, averūte, aefruy, aefruyt(e), auch āveruy,
dazu wieder āverōne und nndl. sowohl
aver(r)uit als auch averoon, haver-en-hooi.
Auch im Altengl. sind neben aprotane m. (gen.
-an) und mit -r-Metathese oportanie Formen
mit -u- (oder -ū-?) und Aphärese des anl. a-
bezeugt: prutene f. (-an), also Parallelen zu
ahd. abruten (s. o.); aber me. machten sich ang-
lonorm. Formen breit wie averoin(e), avereine,
um in frühne. Zeit schon wieder zu erlöschen.
Die skand. Entsprechungen lauten wie folgt:
ält. dän. a(m)brot (die Nasalierung wohl unter
dem Einfluß des formähnl. ambra), abrut, -d,
abrod, ndän. abrod; nnorw. abrot, aschwed. ab-
rot, aabrut, nschwed. åbrodd, abrodd, dazu mit
-m-: ambrot, ambröd (dial.). Aus dem Schwed.
ist das Wort in der Form abrotti ins Finnische
gelangt.

Lasch-Borchling, Mndd. Handwb. I, 1, 35. 132; Ver-
dam, Mndl. handwb. 7. 48; Franck, Et. wb. d. ndl.
taal² 23; Vries, Ndls. et. wb. 22; Holthausen, Ae. et.
Wb. 6; Bosworth-Toller, AS Dict. 47. 778; Pogat-
scher, Gr., lat. u. rom. Lehnw. im Ae. § 247 (mit Korr.
S. 209). 298. 318; ME Dict. AB, 551; OED I, 584;
Ordb. o. d. danske sprog I, 90; Svenska akad. ordb. A-
16; Hellquist, Svensk et. ordb.³ 1415.

Besonders weit reicht wieder die Vermittlung des lat.
Lehnworts auf dem Weg über deutsche Formen in die
östl. Nachbarsprachen: so hat Berneker sloven. ábro-
tica auf kärnt. hàbrát, die sloven. Varianten ábarat,
áborat auf das hochspr. Aberraut(e) zurückgeführt;
desgl. tschech. brotan. Ob die magyarischen Lautun-
gen abrut, abruta ihrerseits auf sloven. Vermittlung
beruhen, scheint zweifelhaft; wahrscheinlicher ist di-
rekte Entlehnung aus dem Deutschen, vgl. ahd. *ab-
rûta. Vgl. Miklosich, Et. Wb. d. slav. Spr. 1; Berneker,
Slav. et. Wb. I, 23; Sadnik-Aitzetmüller, Vgl. Wb. d.
slav. Spr. Nr. 8; Kranzmayer, Wb. d. bair. Mdaa. in
Österr. I, 48.

Auf die noch immer ungeklärte Etymologie von lat.
(h)abrotonum bzw. gr. ἀβρότονον (so Frisk, Gr. et.
Wb. I, 5, Herkunft unbekannt und Chantraine,
Dict. ét. gr. 5) genauer einzugehen, ist hier nicht der
Ort. Vielleicht handelt es sich auch bei der gr. Voka-
bel um ein volksetym. gräzisiertes Lehnwort (=
ἁβρο- zart + -τονος sich streckend), das bei He-
sych I, 10 Z. 12 (mit spiritus asper) notiert und als
πόα τις eine gewisse Pflanze glossiert wird. Aber die
wenigen bisher gemachten Vorschläge zur Erklärung
des vielleicht ursprl. thrak. (Themistokles’ angeblich
thrak. Mutter soll nach manchen Gewährsleuten Ἀβ-
ρότονος f. geheißen haben) oder phryg. (Kretschmer,
Gesch. d. gr. Spr. 203) oder maked. (Hoffmann, Die
Makedonen 40 und Anm. 7. 8.: zu germ. *am[p]ra,
ahd. ampfaro) oder am Ende doch griech. Wortes (so
Bechtel, Hist. PN d. Griech. 595; Detschew, Thrak.
Sprachreste 3 [nicht thrak.!]; P. Thieme, Lang. 34
[1958], 511 f.) haben keine allgemeine Zustimmung
gefunden. Vgl. auch J. Loewenthal, WuS 9 (19246),
179 f. (ganz abwegig); Walde-Pokorny I, 179; Po-
korny 2. 777; Walde-Hofmann, Lat. et. Wb. I, 35;
Carnoy, Dict. ét. du proto-indoeuropéen 3; ders., Dict.
ét. des noms gr. de plantes 1 f. (phonol. unannehmbare
Spekulationen).

S. auch abrizza, *ebareiza.

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