agaleia
Volume I, Column 76
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agaleia f. ō-St. (n-St.?) (1) verschiedene mit
Dornen versehene Gewächse
(Rhamnus, Paliu-
rus), (2) Pflanzen, deren Blüten gespornt sind,
bes. Akelei (Aquilegia vulgaris L.). Var.: agal-,
agel-, agil-, agl-; -eia, -aia, -ia, -ei, -ay, -ai, auch
hagal-, hagel-, daneben mit -k-Laut akileia
(Cod. St. Gall. 9./10. Jh.), acoleia 13. Jh., acco-,
acceleye 14. Jh.. Die gebräuchlichste Form im
Mhd. ist ag(e)leie f. Nhd. meist Akelei (aus
dem Ndd.), auch Aglei. Die zahllosen mdartl.
Varianten sind am besten zu überblicken bei
Marzell, Wb. d. dt. Pflanzennamen I, 359 f.

Ahd. Wb. I, 55 f.; Starck-Wells 16; Graff I, 130; E.
Björkman, Arch. f. d. St. d. neueren Spr. 107 (1901),
375 ff.; ders., Zfdt. Wortf. 6 (1904/05), 175; Lexer I,
27; Benecke I, 12; Diefenbach, Gl. lat.-germ. 44. 406.
483; Dt. Wb. I, 190; Kluge²¹ 11.

Die Etymologie des Wortes ist noch immer un-
geklärt. Sicher abwegig war der Versuch, es als
echt germ. zu deuten (so, neben anderen Mög-
lichkeiten, von R. Loewe, PBB 59 [1935],
245 ff.) und auf die idg. Wz. *a- ( agana)
zurückzuführen: dazu brauchte es neben der -l-
Erweiterung (< *agal-) die Annahme eines
idg. Suffixes *-eia/-oia, das fürs Germ. nicht zu
belegen ist. Andererseits sprechen für roman.
Herkunft von vorneherein die über die ganze
Romania verbreiteten und relativ frühen Belege
wie afrz. aquilee, italien. aquilegia (s. u.), katal.
aliguenya, span. (a)guileña, port. acoleia, nfrz.
ancolie (seit 1325: wohl über *acolie volksetym.
an mélancolie angelehnt, Chr. Faß, Rom. Forsch.
3 [1887], 492), die in ihrer Gesamtheit auf ein
mlat. *aquile(g)ia schließen lassen.

Aber damit beginnen auch für eine roman. Herlei-
tung die phonologischen Einwände: die Formen mit
-g- sind bei weitem die selteneren und späteren, so-
daß sie einer nachträglichen volksetym. botanisch
kaum zu rechtfertigenden Sinngebung als die
Wassersammelnde
verdächtig sind. Andererseits
scheitert ein Zurückführen der Form aquileia auf
aquila, also die Adlerförmige (wegen der Blütenge-
stalt?) mit Zuhilfenahme des idg. Suffixes *eio-/eiā-
auch im Lat. und zwar an dem zu erwartenden laut-
gesetzlichen Ausfall von intervok. -i- (vgl. hordeum
< *hordeio-, s. Brugmann, Grdr.² II, 1 § 122; Leu-
mann, Lat. Laut- u. Formenlehre § 137 b). Bedenklich
erscheint es auch, aus der vereinzelten Form aquileius
(Hs. A), die neben aquilegius (Hs. B) einmal im An-
schluß an aquilex in den Notae Tironianae überliefert
ist, den Ansatz einer aus älterem aquilegius entwickel-
ten mlat. Gebrauchsform auf -eius im Sinne von was-
sersammelnd
zu rechtfertigen (doch s. o.).

Wartburg, Frz. et. Wb. (Neubearb.) XXV, 73 f.; Ga-
millscheg, Et. Wb. d. frz. Spr.² 37; Meyer-Lübke, Rom.
et. Wb.³ Nr. 583; Körting, Lat.-rom. Wb.³ Nr. 789;
Mittellat. Wb. I, 845; Thes. ling. lat. II, 2, 374 (s. v.
aquilex); Walde-Hofmann, Lat. et. Wb. I, 60; Com-
mentarii notarum Tironiarum, ed. G. Schmitz (Leipzig,
1893), Tab. 73, Nr. 54.

Wie dem auch sein mag, das mlat. Wort muß
zweimal zu verschiedenen Zeiten und auf ver-
schiedenen Wegen ins Germ.-dt. entlehnt wor-
den sein: das erste Mal, wohl über das Nord-
frz., erscheint es im Mndl. als acoleie, im Nndl.
als akolei, akelei, also mit -k-Laut in der ersten
Worthälfte; eben dahin gehören wohl auch die
mndd. Formen wie akuleye und ak(e)leye, wor-
auf nicht nur die meistgebrauchte Form der dt.
Gegenwartssprache, Akelei, sondern auch sämt-
liche skand. Entsprechungen zurückzuführen
sind, wie ndän. nnorw. akeleje, nschwed. akleja
(neben mdartl. ack-, ake- und volksetym.
a(c)ker-, åker-). Ein im Engl. des 16. Jh.s einmal
bezeugtes aquilege ist gelehrte Prägung. Bei der
zweiten Übernahme des Wortes, vor allem ins
Oberdt., spiegelt sich der intervok. Velar der
ersten Worthälfte (ohne jede Spur des labialen
Elements, s. Kluge, Urgerm.³ § 17 c) entspre-
chend der Erweichung im Roman. als -g- wie-
der: agaleia u. a. (s. o.), s. Grandgent, Vulgar La-
tin § 256.

Verdam, Mndl. handwb. 33; Franck, Et. wb. d. ndl.
taal² 12; Vries, Ndls. et. wb. 11; Lasch-Borchling,
Mndd. Handwb. I, 1, 48. 50; Schiller-Lübben, Mndd.
Wb. I, 45 f.; Falk-Torp, Norw.-dän. et. Wb. 18; Torp,
Nynorsk et. ordb. 2; Ordb. o. d. danske sprog I, 382;
Svenska akad. ordb. A834 f.; Hellquist, Svensk et.
ordb.³ 7; OED I, 422.

Völlig abwegig ist der immer wieder angemeldete Zu-
sammenhang mit dem (zufällig) gleichlautenden ON
Aquileia: formal würde man für einen davon herrüh-
renden Pflanzennamen eine zusätzliche Suffixerwei-
terung erwarten, doch sind derartige Ableitungen für
Pflanzenbezeichnungen überhaupt höchst selten, zu-
mal in älterer Zeit, und für die vorzugsweise in Mit-
tel- und Nordeuropa (bis 65° nördl. Breite) heimi-
sche Akelei wäre eine namengebende Herkunft aus
der norditalien. Stadt (mit ihrem doch wohl vene-
tisch-illyrischen Namen, s. H. Krahe, ZfOrtsnamenf. 5
[1929], 148) kaum zu rechtfertigen. So bleibt nur die
bei adt. Pflanzennamen immer wieder zu berücksich-
tigende Möglichkeit, daß schon die mlat.-roman.
Form der volksetym. Angleichung einer griech. (oder
gar vorgriech.) Bezeichnung zu verdanken ist: das in
Trübners Dt. Wb. I, 55 angegebene ἀγκυλεία die mit
Blüten wie gekrümmten Sporen
versehene ist aller-
dings nirgends belegt, und wennschon lat. -qui- ein
paarmal gr. -κυ- wiedergibt (wie in lat. Anquira = gr.
Ἄγκυρα, Leumann, a.a.O. § 52 b), so bliebe noch im-
mer die formale Diskrepanz zwischen lat. aq- und gr.
ἀγκ-.

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